von Stella Hagel
Für mein temperamentvolles, dünnhäutiges, leicht außer sich geratendes Brüderchen entdeckte meine Mutter ein wohltuendes Beruhigungsmittel, nämlich den Kuhstall. Als sie bemerkte, wie tief beruhigend die Atmosphäre des Kuhstalls auf den Vierjährigen wirkte, hielt sie sich – so oft es möglich war – dort mit ihm auf. Es war in Schottland, und der kleine Mann lernte in dieser Zeit seine ersten englischen Worte. „The cow, the bull and the little calf.“ Das Kälbchen hatte es ihm besonders angetan, mit diesem identifizierte er sich gerne, wenn er ausdrücken wollte, dass er ganz lieb sein wollte. „Wie das Kälbchen.“
Auch hatte er gelernt, dass das Kälbchen im Stall ein kleiner Bulle war, und er verabschiedete sich von diesem eines Tages innig und liebevoll und völlig in seine ruhige Traumverlorenheit versunken „Bye, bye, Mrs. Bullcalf!“
Da das Kälbchen für das Brüderchen ein besonders liebes und wertes Tier war, hörte er auch gerne zu, wenn seiner größeren Schwester, das Märchen vom „Rotkälbchen“ (Rotkäppchen) vorgelesen wurde. Noch lange Zeit blieb für ihn die Heldin dieses Märchens das „Rotkälbchen“, ähnlich wie für meine kleine Schwester, die auch die englische Sprache lernen musste, das arme Pony fern auf der anderen Seite des Meeres schmachten musste, in dem Lied: „My pony is over the ocean.“ Und als sie etliche Jahre später ihren Irrtum bemerkte und verstand, dass mit dem „Pony“ der „Bonny“ (Geliebte) gemeint ist, machte sie ein ganz langes, enttäuschtes Gesicht und verlor das Interesse an dem Liedchen, das sie so gerne gesungen hatte.