Zu Jürgen Roths Buch: „Spinnennetz der Macht: Wie die politische und wirtschaftliche Elite unser Land zerstört“


von Ingo Hagel 

 

Jürgen Roth beschäftigt sich in seinen Büchern und Fernsehdokumentationen seit über 40 Jahren mit der organisierten Kriminalität und Korruption. Kürzlich war auf Jungle Drum Radio ein interessantes Interview mit ihm zu seinem neuen Buch „Spinnennetz der Macht: Wie die politische und wirtschaftliche Elite unser Land zerstört“ zu hören:

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Hier meine Zusammenfassung des Interviews:

Der Moderator von Jungle Drum Radio verwies zu Beginn des Interviews auf die Aussage von Kanzlerin Merkel, die sie als CDU-Vorsitzende im Juni 2005 anlässlich einer sechzigjährigen Bestehensfeier der CDU gemacht hatte:

„Wir haben wahrlich keinen Rechtsanspruch auf Demokratie und und soziale Gerechtigkeit auf alle Ewigkeit.“ 

Nach Ansicht von Jürgen Roth ist dieser Fall mit Blick auf den Sozialstaat bereits eingetreten, denn seit der Agenda 2010 ist das Sozialstaatsprinzip in erheblichem Maße von der Politik zerstört worden. Zudem führen Netzwerke und Seilschaften dazu, dass der eigentliche Souverän, das Volk, keine Chance mehr hat – beziehungsweise nur noch dann eine Chance hätte, wenn er „seinen Hintern hochheben würde und auf die Straße ginge“. Hier bedürfte es der Zivilcourage von vielen Bürgern, die jedoch gemäß der Überzeugung von Roth nicht vorhanden ist. Begünstigt werden diese Netzwerke und Seilschaften nach Roth durch die Gier nach Geld oder Macht – oder beidem – der in diesen Seilschaften tätigen Menschen.

Das Problem ist die fehlende Partizipation des Bürgers an sozialen und politischen Entscheidungsprozessen, die gerade ihn betreffen. Stattdessen werden die Entscheidungen von einer kleinen Elite abgesprochen und durchgesetzt. 

An weiterer Teil dieses Spinnennetzes sind Lobbyisten und Denkfabriken. Zudem können kritische Berichterstattung den Journalisten dessen Karriere oder Job kosten. Und das wird immer weiter zunehmen. Dazu sind die Einschaltquoten bei den kritischen Fernsehsendungen gering, die Leute wollen eben mehr Unterhaltung.

Jürgen Roth ist der Auffassung, dass zwei Drittel der politischen und wirtschaftlichen Elite mit Ethik und Moral nichts mehr am Hut haben. Aber er setzt optimistisch auf das dritte Drittel.

Roth beschreibt, wie hochkarätige, engagierte und hoch qualifizierte Staatsanwälte, die gegen dieses korrupte System kämpfen, ruiniert und kaltgestellt werden. Andere Menschen, die dem System der Spinnennetze lästig werden, werden auf andere Weise ruiniert und mundtot gemacht. Diese Entwicklung nimmt immer weiter zu, denn es ist die bequemste Art, einen Gegner auszuschalten.

Einen großen Bereich in Roths Buch nimmt das Bundesland Sachsen einen, in dem die Justiz offenbar auf beiden Augen besonders blind zu sein scheint. Auch hier wird der Justizapparat benutzt, um unbequeme Personen zu verfolgen und wirtschaftlich zu ruinieren, indem bestimmte Staatsanwaltschaften Ermittlungen gegen unliebsame Bürger einleiten, aufgrund derer diese dann erheblichen Schwierigkeiten im Leben und im Beruf ausgesetzt sind. Sie bekommen keine Aufträge mehr und werden dadurch in den Ruin getrieben. Hat man dann kein Geld mehr, kann man in einem Gerichtsverfahren auch nicht mehr in die Berufung gehen.

Ist Deutschland noch ein Rechtsstaat?

Zudem befragte Roth zahlreiche Rechtsanwälte, Politiker Kriminalisten, Staatsanwälte und Richter, ob sie Deutschland für einen Rechtsstaat hielten. Deren Antworten machten ihn fassungslos, denn fast alle waren der Auffassung, Deutschland sei kein Rechtsstaat mehr. Besonders im Strafrecht und im Wirtschaftsstrafrecht funktioniert der Rechtsstaat überhaupt nicht mehr, graduell unterschiedlich in Abhängigkeit von den jeweiligen Bundesländern. Die überwiegende Anzahl der Befragten war der Meinung, dass wir in Deutschland eine Zweiklassenjustiz haben. Das alles liegt nicht nur an den Richtern und Staatsanwälten, sondern vor allem auch an den politischen Vorgaben. Die Justiz wird personell immer weiter ausgedünnt, Staatsanwälte und Richter leiden unter extremen Arbeitsbelastungen. 

Die Auffassung einer politisch unabhängigen Justiz sei völliger Schwachsinn, allein schon wegen der Verteilung der Ressourcen und durch Ernennungen durch das Justizministerium. Dazu werden die Forderungen von Richtern und Staatsanwälten, politisch unabhängig arbeiten zu können, bis heute von der Politik sämtlich abgebügelt. Denn selbstverständlich will man die Justiz kontrollieren.

Das Problem ist die Verbindung zwischen Wirtschaftsleben und Politik (Rechtsstaat)

Der Moderator von Jungle Drum Radio fragte Jürgen Roth nach der immer weiter zunehmenden Verzahnung zwischen Wirtschaft und Politik. Nicht mehr der Mensch steht im Zentrum des wirtschaftlichen und politischen Handelns, sondern es geht in beiden Bereichen nur noch um Gewinnmaximierung. Kann das ein Rechtsstaat auf Dauer aushalten? 

Jürgen Roth: Nein, das kann ein demokratischer Rechtsstaat natürlich nicht aushalten, weil man dann eben zwar formal noch die Gesetze hat, aber Sie werden nicht mehr mit Leben ausgefüllt, das heißt, sie werden nicht mehr umgesetzt und angewendet. 

Jürgen Roth hält die Partizipation der Bürger durch Volksbefragungen mehr denn je für notwendig. Er verweist auf das Problem, dass viele Bürger frustriert sind, sich überhaupt nicht mehr engagieren wollen – oder in „obskure Parteien wie die Alternative für Deutschland abwandern“. Wir haben die Möglichkeit etwas zu verändern, aber nur, wenn wir es wollen. Wenn wir es nicht wollen und alles hinnehmen, dann müssen wir uns nicht wundern, dass die Demokratie langsam aber sicher ihr Leben aushaucht.

Noch einmal: Die unheilvollen Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Politik

Roth verweist auf die fortwährend erfolgenden Absprachen zwischen Unternehmern, Politikern, Juristen, wo diese Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Politik beginnen und schließlich einmünden in Geheimgesellschaften und Zirkel der Eliten, wo diese Machenschaften weitergehen. Er verweist jedoch auf die großartigen Möglichkeiten des Internets, mit deren Hilfe man sich im Grunde genommen über all diese Dinge sehr gut informieren kann. Dazu muss der Bürger natürlich selber aktiv werden.

Jürgen Roth hält eine alleinige Kritik an den Banken für nicht ausreichend. Man müsse eine grundsätzliche Frage nach dem System als solchem stellen und die Kritik dort ansetzen, vor allem aber glaubhafte politische und wirtschaftliche Alternativen anbieten können. 

Und er beklagt die Stummheit der Intellektuellen in Deutschland, die offenbar alle nur noch ihr kleinbürgerliches Leben im Kopf haben und sich nicht mehr zu Wort melden. Der kritische intellektuelle Diskurs ist tot, er wird seit Jahren nicht mehr geführt.

Natürlich taucht beim Wahrnehmen der von Jürgen Roth geschilderten Krankheitssymptomen dieses sterbenden Systems bei vielen Menschen die Frage auf: Ja, was soll man denn nun tun? Da kann man doch gar nichts machen. Nun, das allererste, was man machen kann und machen muss, das ist, sich über diese Dinge zu informieren, so gut es geht. Und wenn man will, geht das sehr gut: Auch Jürgen Roth weist auf die hervorragenden Möglichkeiten des Internets hin – wo ja auch der obige Beitrag auf Jungle Drum Radio zu finden ist. Im Internet findet man eben vieles, was man in der Mainstreampresse, den System- und Propagandamedien nicht findet, weil es dort unter den Tisch gekehrt wird.

Jürgen Roths Buch ist so verdienstvoll, weil es eben diese dem normalen Menschen und Bürger völlig unfassbaren und unglaublichen Phänomene zusammenholt und fundiert darstellt, dass eben „die politische und wirtschaftliche Elite unser Land zerstört“. Das Wahrnehmen dieses so unfassbaren Treibens ist zwar schmerzvoll, aber aus diesem Schmerz werden sich schon die Impulse für ein weiteres Tun des Einzelnen erheben.

Anmerkung: siehe auch Zum Ende unseres Rechtsstaates sowie zum Beispiel:

Christoph Hörstel: „Die Regierungen sind die Feinde der Völker geworden.“

 

Jürgen Roth stellt zurecht die Systemfrage. Und im Grunde genommen beantwortet er sie im Prinzip aus den Phänomenen heraus, die er beschreibt: Dieses unheilvolle Spinnennetz der Macht kann nur aufgelöst werden, wenn man diese katastrophale Verflechtung und enge Verzahnung zwischen Finanzindustrie, Wirtschaft und Politik, d.h. dem Rechtsstaat, der ja keiner mehr ist, auflöst. Wirtschaftsleben und Politik müssen zwei völlig getrennte und selbstständige Gebiete werden. Ich habe dies an vielen Stellen hier auf Umkreis Online beschrieben.

Das Wirtschaftsleben muss für sich alleine arbeiten, und die Konsequenzen seines Handelns tragen. Es darf nicht mehr den Staat gefügig machen, auf dass dieser dem Wirtschaftsleben – auf Kosten der Menschen – durch seine Gesetzgebung die Wege ebnet. Und genauso muss sich ein wirklicher Staat, ein wirklicher Rechtsstaat, die Politik, aus dem Wirtschaftsleben – und auch aus dem geistigen (zum Beispiel Bildungs- und Erziehung-) Leben –  eines sozialen Organismus völlig heraushalten. So wie das Wirtschaftsleben nur zu tun haben darf mit der Produktion, dem Handel und dem Verbrauch (Konsum) der aus der Natur heraus durch menschliche Arbeit hergestellten Güter, so darf ein wirkliches Rechtsleben auch nur zu tun haben mit den rechtlichen Beziehungen von Mensch zu Mensch.

Dazu muss es dann ein wirklich freies und unabhängiges Geistesleben geben. Jürgen Roth beklagt ja die völlige Kapitulation der Intellektuellen und das Fehlen eines intellektuellen Diskurses. Bereits damit weist er auf einen Mangel der bestehenden Verhältnisse hin, wenn er die Systemfrage anschneidet. Jürgen Roth und sein journalistischer Kampf gegen die Krankheit des bestehenden Systems ist ein bestes Beispiel für dieses Geistesleben.

Anmerkung: Dass ich den intellektuellen Diskurs, den Jürgen Roth anspricht, nicht gleichsetze mit einem geistigen Leben beziehungsweise einem freien Geistesleben, das dürfte den Lesern meiner Homepage klar sein. Gerade der in den heutigen Wissenschaften und dem heutigen Leben herrschende Intellektualismus stellt ein großes Hemmnis für die Entwicklung eines wirklich freien und umfassenden geistigen Lebens dar. Trotzdem weist Jürgen Roth mit seiner Forderung und seiner Symptomenbeschreibung dieser Kulturkrankheit des sozialen Organismus verdienstvoll in die richtige Richtung.

Es ist schon erstaunlich, wie die herausragendsten und mutigsten geistigen Persönlichkeiten dieser Zeit in ihrer Kritik an den bestehenden Systemen eigentlich das fordern müssen, was Rudolf Steiner vor fast 100 Jahren als Soziale Dreigliederung dargestellt hat. Es wäre an der Zeit, nicht nur die Krankheitssymptome dieses im Verfall begriffenen Systems zu schildern, so verdienstvoll diese Tätigkeit auch ist, sondern die Existenz einer Therapie auf diese Krankheit zu sehen. Und diese Therapie lautet eben Soziale Dreigliederung. Jürgen Roth hat 40 Jahre mit seinen Büchern und Dokumentationen gegen diese kriminellen Machenschaften gekämpft, ohne damit – wie er sagt – viel erreicht zu haben. Er verdient gr0ße Anerkennung. Seine Arbeit und Bücher haben immer mehr Menschen die Augen für die kranken Verhältnisse geöffnet – und daher denke ich, er hat mehr erreicht, als äußerlich sichtbar ist. Heute muss die Therapie gegen diese bestehende Kulturkrankheit – die Soziale Dreigliederung – immer mehr in den Mittelpunkt des Handelns gerückt werden, wenn nicht der an vielen Stellen beschworene Bankrott und zivilisatorische „Untergang des Abendlandes“ die Folge sein soll. Es ist erstaunlich, wie viele Menschen sich heute mit ihrer zutreffenden Systemkritik eigentlich für die Forderungen der Sozialen Dreigliederung einsetzen, wenn sie die Konsequenzen ihrer gesellschaftlichen Bestandsaufnahmen nur einen Schritt weiterdenken würden. Dafür könnte man etliche prominente Beispiele anführen. Die an vielen Stellen dargestellten Verfallserscheinungen der Kultur zeigen, dass die Zeit überreif ist für die Heilung, und die lautet: Soziale Dreigliederung.

 

 

 

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