von Ingo Hagel
Jürgen Elsässer sprach neulich einmal aus, was sicher viele Journalisten und Blogger vor allem der unabhängigen Medien etc. beschäftigt:
Liebe Leser: Ich bitte Euch herzlich, bevor Ihr wieder über Vergangenes, Prinzipielles und weit Abgelegenes diskutiert – könnt Ihr Euch bitte mal dieser aktuellen Frage widmen? Diese Frage ist nämlich keine rein griechische, sondern wird auch auf Spanien, Portugal und irgendwann auch auf Deutschland zukommen: Wie man in einer akuten Zusammenbruchskrise das Land rettet…
Das, was auf die von Jürgen Elsässer genannten – und andere – Länder zukommt, ist ein Kaputtsparen der einzelnen Staaten zugunsten der – aussichtslosen – Rettung der Banken und Finanzsysteme infolge der Finanzkrise. Das, was weiter auf diese Länder Europas zukommt, ist eine EU-Diktatur, ob sie nun unter einem ESM, einem Fiskalpakt, einem EFSF oder sich auftürmenden Target2-Salden etc. vollzieht. Dies alles soll nach dem Willen der Regierungen Europas schließlich zu den Vereinigten Staaten von Europa führen sollen, einer Bankenunion, Fiskalunion, politischen Union, wie man es nennen will, die die Souveränität der Völker und die Freiheit ihrer Menschen beenden und unter die Diktatur einer kleinen Clique von Finanzeliten und ihren bestellten EU-Gouverneuren stellen wird. Damit wird die Freiheit der Völker endgültig beendet inklusive irgendwelcher noch bestehender individueller Zukunftsperspektiven. Das Finanzsystem wird die Staaten und ihre Menschen aussaugen und plündern bis zum völligen Zusammenbruch.
Über die Hintergründe dazu, die Ursachen, Mechanismen, Wege und Auswege ist so viel geschrieben worden – auch auf Umkreis-Online -, dass ich hier nur auf einen Artikel von Prof. Diringer aufmerksam mache (Hervorhebung IH):
Der Bund der Steuerzahler (BdSt) ist mit über 300.000 Mitgliedern die größte unabhängige Interessenvertretung der deutschen Steuerbürger. Seine wissenschaftlichen Analysen, Fachpublikationen und Musterklagen finden normalerweise sowohl in den Medien als auch in der Politik viel Beachtung. Vor diesem Hintergrund erstaunt es, dass über seine seit Monaten andauernde Kampagne gegen den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) kaum berichtet wird und auch die politische Klasse die Kritik geflissentlich ignoriert. Dabei hat der Verein das Vertragswerk in einer ausführlichen Analyse mit ungewöhnlich scharfen Worten kritisiert. Er führt unter anderem aus, dass die deutsche Regierung mit dem ESM „den finanziellen Schutz des einfachen Bürgers hinsichtlich seines Einkommens und seiner Ersparnisse (…) aufgehoben und diesen zur Plünderung freigegeben“ habe. Weiter heißt es, dass, es sich bei dem Vertragswerk um eine Art „Ermächtigungsgesetz“ handele und die „Installation des ESM“ auf einen „gewollten Sturz der Nationalstaaten und offenen Staatsstreich“ hinauslaufe.
Wie sieht es in dieser Situation mit der Rettung dieser „Zivilisation“ aus? Ganz offensichtlich kann es ja um nichts weniger gehen als die Entmachtung des gesamten politischen Systems und ihrer Führer (von Schwarz, Gelb, Rot bis Grün), die das oben Beschriebene der Einführung einer EU-Diktatur durch einen „gewollten Sturz der Nationalstaaten und offenen Staatsstreich“ betreiben. Die Österreicher, die ja auch zur EU gehören, sehen das Problem recht realistisch, indem sie mehrheitlich der Ansicht sind, diese Reformierung sei auf normalem Wege nicht durchführbar und benötige daher einen Umsturz:
57 Prozent der Befragten sagten diese Woche in einer Market-Umfrage für den Standard, Österreichs Politik sei „langweilig und uninteressant“. Ebenfalls 57 Prozent – zu etwa zwei Dritteln dieselben Personen – erklärten, dass das politische System nicht reformierbar sei und einen Umsturz brauche.
Offensichtlich sind die Österreicher in der Einschätzung der Lage schon weiter als die Deutschen, denn diese sind nach einer von der Financial Times Deutschland zitierten Studie „nahezu unbekümmert“:
Glücklich sind die Deutschen – die Wirtschaft wächst und die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie lange nicht. Und das stimmt sie hoffnungsfroh fürs kommende Jahr. Die Fußball-Europameisterschaft bessert die Stimmung zusätzlich auf. …. Doch die Stimmung hat sich verändert. Jetzt machen sich nur noch drei Prozent der Deutschen „große Sorgen“ um ihre Zukunft, sechs Prozent sind „eher in Sorge“. Die restliche Bevölkerung ist nahezu unbekümmert.
Dazu kommt, dass die Akteure einer Politik, die ja vom Bund der Steuerzahler als „offener Staatsstreich“ und von Christoph Hörstel als „hochverräterisch“ bezeichnet wird (bei 3:00), bei ihren – offensichtlich ahnungslosen und desinteressierten – Untertanen höchstes Ansehen genießen. Bereits die ZEIT vom Februar 2012 schrieb über eine diesbezügliche Umfrage:
69 Prozent sehen in Merkel eine „gute Bundeskanzlerin“. Sie vertrete Deutschland in der Welt gut, gaben 85 Prozent an.
Die Umfrage für den „Deutschlandtrend“ der ARD ergab im Juni 2012 für Wolfgang Schäuble, der als Finanzminister Deutschlands zusammen mit Frau Merkel verbissen den oben beschriebenen „gewollten Sturz der Nationalstaaten und offenen Staatsstreich“ betreibt, einen ersten Platz als beliebtester Politiker Deutschlands:
In der Rangfolge der beliebtesten Politiker verdrängt Finanzminister Wolfgang Schäuble mit 59 Prozent Bundeskanzlerin Angela Merkel (beide CDU) von Platz eins (58 Prozent).
Die Politiker, die den Ausverkauf und den Ruin Deutschlands am intensivsten betreiben, stehen also am höchsten in der Gunst ihrer Untertanen. Da klaffen doch gewaltig Illusionen der Menschen und reale Lage auseinander! Man muss sich angesichts dieses ahnungslosen Zustandes der Menschen fragen, ob man überhaupt eine Zivilisation retten kann, von deren Menschen sich nur 3 – 6 Prozent Sorgen um ihre Zukunft machen und der Rest überhaupt keine Notwendigkeit für ihre Rettung sieht, weil sie so „glücklich“ und zufrieden ist.
Diese Zivilisation, die gerettet werden soll, hat zwei Aufrufe zu Demonstrationen gegen den ESM fast vollständig ignoriert: Anfang Juni veranstalteten die Freien Wähler zusammen mit der Zivilen Koalition, dem Bund der Steuerzahler Bayern e.V. und dem Bündnis Bürgerwille in München am Stachus eine Demonstration, „um gegen die Aushöhlung unserer Demokratie und gegen den ESM einzutreten“. Es handelte sich also um ein Thema, das parteienübergreifend alle Menschen hätte interessieren können. Aber es interessierte kaum einen: Zu dieser Demo kamen nur 1000 Teilnehmer. Und das in einer riesigen Stadt wie München, die mit rund 1,4 Millionen Einwohnern die größte Stadt Bayerns und drittgrößte Stadt der Bundesrepublik Deutschland darstellt. In der Planungsregion München leben mehr als 2,6 Millionen Menschen. Ich rechne mal kurz: 1000 Demonstranten auf 2,6 Millionen Einwohner macht 0,038 % der näheren Bevölkerung, für die das Thema Bedeutung hatte. Da ist eine kritische Bestandsaufnahme angebracht. Was ist los? Warum stehen die Bürger nicht hinter diesen Initiativen? Kann man so einfach weitermachen und eine Zivilisation retten retten, die gar nicht gerettet werden will?
MMNews schrieb zu diesem Kampf „gegen Euro, ESM und Brüssel-Diktatur“:
Die Themen sind zwar wichtig, die Menschen interessiert es aber offenbar nicht. …. Während Zehntausende gegen Atomkraft, im „Kampf gegen Rechts“ oder Stuttgart 21 auf die Straße gehen, kamen nur knapp 1000 Demonstranten zu Aiwangers Demo auf dem Karlsplatz. Offenbar wollen die Bürger von dem Thema Euro-Rettung vor allem nichts mehr hören, denn sieht man sich an, wie viele Unterzeichner die Online-Petition oder www.stopp-esm.org haben, findet man nur knapp 5000 beziehungsweise 15000 Namen. Bei einer solchen Bürger-Beteiligung dürfte der ESM nicht gestoppt werden und den „Freien Wählern“ der selbst in den eigenen Reihen umstrittene Sprung in den Bund nicht gelingen.
Das liegt aber sicher nicht an den Freien Wählern, zudem ja auch andere Vereinigungen zu der Demo aufgerufen hatten. Denn die nächste Demo gegen den ESM fand dann am 8. Juni in Berlin vor dem Reichstag statt. Diesmal hatten nicht die Freien Wähler sondern Radio Utopie, das Aktionsbündnis Direkte Demokratie, die Zivile Koalition e. V. und noch einige andere Initiatoren zum Protest aufgerufen.
Daniel Neun, einer der Initiatoren der Demo schrieb (Hervorhebung IH):
Der zynische Versuch einer bizarren Querfront von Antidemokraten, die vom Banken-Kartell, Industrie-Magnaten und transnationalen Konzernen über sogenannte “Pro-Europäer” in allen etablierten politischen Organisationen, Parteien, Gewerkschaften bis hin zu extremistischen Gruppierungen reicht, eine durch “maximalen Marktdruck” selbst erzeugte Krise der europäischen Demokratien zu deren Sturz zu nutzen, trifft auf unseren Widerstand und die Ablehnung der Mehrheit der Bevölkerung. Und das nicht nur in Deutschland, sondern in allen Ländern mit “Euro”-Finanzsystem.
Die „Mehrheit der Bevölkerung“ interessierte das alles aber nicht: In der mit 3,5 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichsten Stadt, der Hauptstadt Deutschlands, Berlin, der Stadt, dem politischen Zentrum Deutschlands folgten nur 300 bis 500 Menschen dem Aufruf zu dieser Demonstration.
Peter Boehringer beklagte bei Infokrieg TV (bei 1:04:40), dass „wir immer noch nicht mehr als 1000 Leute auf die Straße gebracht haben pro Demo…“
Helga Zepp-LaRouche von der BÜSO sprach (bei 11:11) von einer „typischen Verdrängung“, die Leute sagen, ich will mir meinen Urlaub nicht ruinieren, ich möchte nicht über diese Sachen nachdenken.“
Die Seite Hinter der Fichte beschrieb das politische Bewusstsein der Bevölkerung dahingehend, dass zwar „400.000 auf der Fanmeile in Berlin“ erscheinen, aber nur „ein Promille davon bei Demos für Frieden in Syrien“ – und brachte einen entsprechenden Kommentar auf der tagesschau-Webseite:
„Als Fußballinteressierter finde ich den Banken/Rating-Agenturen/Rettungsschirm-Teil immer viel zu lang…“
Und Manfred Petritsch von Alles Schall und Rauch konnte mit Blick auf das allgemeine Desinteresse der Menschen an wichtigsten Ereignissen in der Welt (zum Beispiel Gaucks Verteidigung der „illegalen Kriege der Bundeswehr im Ausland“, geplante Krieg des Westens gegen Syrien) Aufruf seine Frustration nicht verbergen, indem er mit Blick auf die wenig interessierten Menschen schrieb:
Aber guckt weiter Fussball und danach Olympiade. Alles wird gut.
Aufgrund dieser Sachlage ist es daher kaum mehr als Reklame zu werten, wenn zu lesen ist: „Kampagne gegen ESM jeden Tag erfolgreicher.“
Ich sage das alles ohne Kritik. Denn man muss in diesen düsteren Zeiten des Niedergangs über die Initiativen dankbar sein, die in Berlin und München sowie an vielen anderen Orten auf Tagungen und Informationsveranstaltungen zum Widerstand gegen den ESM aufrufen, dazu die vielen Blogs im Internet etc., die dagegen täglich mobilisieren und informieren. Wie schlimm wäre es, wenn nicht ein paar Aktive dieses Ferment eines geistigen Aufbegehrens in diese schwere Masse medial gehirngewaschenen deutschen Volksteiges der Rat- und Interesselosigkeit geworfen hätten, auf dass diese schwere Masse sich – wenigstens innerlich – erhebe.
Also wie gesagt: keine Kritik. Aber ich bin der Meinung, dass nach diesen für einen Widerstand gegen den ESM vernichtenden Ereignissen einer fehlenden Unterstützung in der Bevölkerung eine kritische Bestandsaufnahme auch hinsichtlich einer weiteren Vorgehensweise am Platz ist. Wie geht es sinnvoll weiter? Ist es überhaupt möglich, eine Zivilisation zu retten, die überhaupt nicht gerettet werden will, die dazu keine Veranlassung sieht, die das im schlimmsten Falle sogar als Störung missverstehen und entsprechend darauf reagieren würde?
Man muss ins Auge fassen, dass es dem Volk bis jetzt – mit wenigen Ausnahmen – völlig gleichgültig ist, ob es einen ESM gibt, die Vereinigten Staaten von Europa, einen Nord-Euro, eine New World Order oder die alten souveränen und selbständigen Nationalstaaten mit ihrer gammeligen sogenannten „freien Marktwirtschaft“ etc.. Das Volk wird der einen oder der anderen Lösung wie immer mehr oder weniger willig oder murrend hinterhertrotten – wenigstens, so lange die sozialen Verhältnisse noch einen Rest von Erträglichkeit beinhalten. Daher müsste aber auch eine Strategie zur „Rettung der Zivilisation“ entsprechend angepasst werden. Es ist nicht zu erwarten, dass diese Fragen von einer Volksbewegung entschieden werden. Dies bedeutet nicht das Einstellen aller Aufklärungs- und Informationsversuche. Natürlich müssen alle diese Aktivitäten, das Volk zu informieren, weitergehen und gesteigert werden – und da ist noch viel zu tun! Aber erwartet man wirklich als Ziel dieser Bemühungen vom Volk mit Blick auf den ESM – sowie überhaupt die damit zusammenhängenden komplizierten Währungsfragen zur Sicherung der Wirtschaft und des übrigen gesellschaftlichen Lebens des Landes eine – und zwar – kompetente Entscheidung? Das Volk sagt: Wir sind nicht zuständig, wir sind die falsche Adresse – und hat damit – nicht mit seinem beklagenswerten Mangel an politischem Desinteresse – vielleicht sogar recht. Aber wer ist zuständig? Das Parlament?
Erwartet man wirklich, dass „unsere“ Volksvertreter nach dieser Willensbekundung des Volkes – also des Souveräns – auf einigen Demos dieser gehorchen und sie umsetzen würden? Das ist doch heute mehr denn je eine Illusion, denn diese Politikerkaste, dieses politische System selber muss ersetzt werden, da es hoffnungslos mit der (vor allem Finanz-) Wirtschaft und Kräften, die den Untergang der freien Völker wollen, verfilzt ist. Nur mit einer Demo oder einem Volksentscheid gegen den ESM ist es also nicht getan. Alle diese Fragen werden nicht als Volksbewegung beziehungsweise vom kleinen oder größeren Mann auf der Straße entschieden werden – außer es gibt eine Revolution (s. dazu Sozialer Neuanfang statt Revolutionen und Bürgerkriege), von der ich hoffe, dass sie abzuwenden ist, da dies fürchterlich werden wird.
Es ist an der Zeit, den Gedanken Rudolf Steiners über eine grundsätzliche Neuordnung des wirtschaftlichen, politischen und geistigen Lebens im Sinne der Sozialen Dreigliederung eine größere Aufmerksamkeit zu schenken. Man muss die heute hoffnungslos miteinander verbundenen Systeme des Wirtschaftslebens und des politischen Lebens voneinander trennen. Dazu muss ein selbständiges und freies Geistesleben (sämtliche Bereiche der Bildung, Ausbildung, des schulischen und universitären Lebens etc.) eingerichtet werden, in das weder das Wirtschaftsleben noch der Staat hereinzureden hat. Der Staat wird wieder ein wahrer Rechtsstaat werden, indem er sich nur über die Dinge zu entscheiden haben wird, die das Verhältnis von Mensch zu Mensch angehen, also die Rechtsverhältnisse und die dazu gehörigen Organe (diesbezügliche Gesetzgebung, Rechtsprechung, Gerichtsbarkeit, innere (Polizei) und äußere (Armee) Sicherheit). Nicht der Staat (das politische Leben) oder ein freies Geistesleben werden über Währungs-, Finanz- und Wirtschaftsfragen zu entscheiden haben, sondern das Wirtschaftsleben, da es dazu – im Gegensatz zum Rechtsleben oder dem freien Geistesleben – den Sachverstand und die Erfahrung hat. Dass sich dazu das Wirtschaftsleben, das wir heute sehen, verwandeln muss, steht außer Frage. Aber es wird sich verwandeln, wenn man es von der Politik und der Einflussnahme auf das freie Geistesleben trennen wird. Dagegen werden alle Tarifangelegenheiten (sogenannter „Lohn“) aus dem Wirtschaftsleben herausgegliedert werden müssen in das Rechtsleben. Nicht das Wirtschaftsleben wird über „Löhne“ zu bestimmen haben. Denn das Wirtschaftsleben kann niemals etwas anderes tun als alles, womit es umgeht, zur Ware zu machen. Die menschliche Arbeitskraft darf aber nicht als Ware behandelt werden. Sie betrifft ein Verhältnis von Mensch (Unternehmer) zu Mensch (Arbeiter), das heißt das Rechtsleben. In Zukunft darf menschliche Arbeit und die Sicherung des Lebensunterhaltes nichts mehr miteinander zu tun haben.
Natürlich halten das viele Menschen für lächerlich, da sie die Zeichen der Zeit, die dieses fordern, nicht lesen können oder wollen. Aber die Menschen sind eben aufgerufen durch die Zeichen eines drohenden tatsächlichen Zusammenbruchs, der deutlich am politischen und gesellschaftlichen Horizont steht, das Illusionäre des alten gesellschaftlichen Systems durch etwas grundsätzlich Neues und Fruchtbareres zu ersetzen.