Rudolf Steiner: Wie gründen wir ein wirklich freies Wirtschaftsleben? 

 

 

Aus Nr. 337a der Rudolf Steiner Gesamtausgabe, S. 183:

Es handelt sich heute gar nicht darum, dass wir uns irgendwie noch einlassen auf eine Diskussion mit all den alten Ladenhütern, seien es die der Bekenntnisse, seien es die der Parteien. Heute handelt es sich darum, dass wir ganz fest auf dem Boden desjenigen stehen, was wir zu sagen haben und es in möglichst viele Köpfe hineinbringen. Anders kommen wir nicht vorwärts. Denn es ist für vieles eben einfach zu spät geworden. Und es wird auch unter Umständen recht bald zu spät sein für manches, was noch geschehen kann, namentlich für die Verbreitung unserer Ideen, wenn wir immer wieder und wiederum nur auf irgendwelche Nebensachen bedacht sind und nicht auf die Hauptsache gehen: auszubreiten unsere Ideen. 

Ich sagte vorhin: Das, was wir begründeten als den Kommenden Tag, das kann ja im Grunde genommen nur ein unbefriedigendes Surrogat sein. Warum denn? Weil wir eben uns keine Illusionen vormachen, dass wir praktisch sein können, ohne auf praktische Taten uns zu stützen. Wir versuchen, wirtschaftlich tätig zu sein, aber da kommen dann die Leute und fragen einen: Ja, wie muss man denn einen Gewürzkrämerladen einrichten, damit er sich möglichst gut in den dreigliedrigen sozialen Organismus hineinstellt? – Gewiss, wir wollen in dem Kommenden Tag wirtschaftliche Unternehmungen begründen, aber da handelt es sich darum, dass man sie wirklich praktisch anfasst. Und wie sollte man heute praktisch die Sache anfassen, wenn man sich sagen muss: Wirtschafte ich mit einer bestimmten Sorte von Unternehmungen, so muss ich, damit ich da rationell wirtschaften kann, auch eine andere Gruppe von Unternehmungen haben – zum Beispiel zu einer bestimmten Gruppe von industriellen Unternehmungen muss ich eine bestimmte Gruppe von landwirtschaftlichen Unternehmungen haben. Ja, können Sie denn das? Das ist ja heute alles unmöglich. Der Staat macht es Ihnen ja unmöglich, eine solche praktische Einrichtung zu treffen. So groß ist heute ja die Gewalt des Staates. Nicht darum handelt es sich, dass Unpraxis vorliegt, sondern dass Gewalt auf der anderen Seite die Sache unmöglich macht. 

Daher sollten diejenigen Menschen, die nun tatsächlich auf irgendeinem Gebiete des wirtschaftlichen Lebens stehen, doch heute wahrhaftig nicht über untergeordnete Fragen sich unterhalten, sondern sie sollten sich darüber unterhalten, wie die verschiedenen wirtschaftlichen Berufsstände, die wirtschaftlichen Assoziationen überhaupt loskommen von dem, was politischer Staat ist, wie sie sich aus ihm herausschälen können. Solange zum Beispiel die Techniker, solange diese und jene Leute nichts anderes denken, als Einrichtungen zu treffen, die am besten hineinpassen in das gegenwärtige Staatsleben, solange kommen wir keinen Schritt weiter. Erst dann kommen wir vorwärts, wenn darüber diskutiert wird: Wie kommen wir los? Wie gründen wir ein wirklich freies Wirtschaftsleben, in dem nicht organisiert wird von oben herunter, sondern assoziiert wird, wo sich Berufsstände an Berufsstände sachlich angliedern? Es ist ja noch nicht einmal das allererste ABC von der Dreigliederung in den praktischen Diskussionen drinnen, sondern immer wieder wird unter der Rücksichtnahme auf die gegenwärtigen Verhältnisse weiter gequacksalbert und herumgeredet. Aber all dieses Herumreden führt zu nichts heute. Erwehren wir uns der Leute, die immer wieder und wiederum sagen: Wie ist es denn mit dem und jenem? – Wir werden erst anfangen, vernünftig reden zu können, wenn wir ein Stück weiter sind in der Dreigliederung, wenn wir wirklich so drinnenstehen in dieser Propaganda für die Dreigliederung, dass eine genügend große Anzahl von wirtschaftenden Menschen wissen: Wir können überhaupt nichts Vernünftiges reden, solange wir noch immer darauf kalkulieren, dass uns das Wirtschaftsleben durch Staatseinrichtungen gemacht wird. Nur in dem Maße, in dem man drinnensteht in einem freien Wirtschaftsleben, das nichts zu tun hat mit Politik, kann man erst vernünftig reden – vorher ist es Unsinn. Ebenso kann man nicht über Reformen des Geisteslebens sprechen, solange man sich nicht klar ist, dass man überhaupt nicht anfangen kann, darüber sich zu unterhalten, ehe man nicht in einer freien geistigen Organisation drinnensteht. Man muss sich wenigstens bewusst sein: Solange man in einer geistigen Organisation drinnen ist, die vom Staate abhängt, solange muss man Unsinn reden, solange kann man nicht reformieren. Sehen Sie, damit ist scharf der Punkt bezeichnet, auf den es ankommt. Es handelt sich nicht um Kleinigkeiten, sondern um Großigkeiten. Und je mehr man das einsehen wird, desto mehr wird man gerade auf dem Gebiete der Lebenspraxis erreichen. 

Sie werden sagen: Was haben wir nun, wenn eine solche Philippika gehalten wird über die Frage, wie sollen wir Propaganda treiben? Aber wenn Sie überlegen, was ich gesagt habe, so werden Sie doch finden, dass, solange man sich auch in unseren Kreisen unterhält über die kleinste Art und Weise der Propaganda – ich möchte das nennen eine «Siebenundzwanzig Kreuzer»-Propaganda, wie man in Österreich sagt, weil man dort einmal Geschäfte gegründet hatte, wo jeder Artikel für siebenundzwanzig Kreuzer zu haben war -, solange werden wir nicht weiterkommen. Wir werden dann erst weiterkommen, wenn man Herz und Sinn hat für die großen, treibenden Kräfte, denn auf diese großen, treibenden Kräfte kommt es heute an. 

Nun, meine sehr verehrten Anwesenden, ich habe schon vieles vergeblich geredet in der Richtung hin, dass es auf die großen, treibenden Kräfte ankommt. Aber ich werde nicht müde werden, doch in der Hauptsache wiederum ablehnend zu sein gegen alles dasjenige, was heute Kompromisse schließen und im Kleinlichen aufgehen möchte. Ich werde nicht müde werden, immer wieder und wiederum hinzuweisen darauf, wie es notwendig ist, heute die großen weltbewegenden Fragen wirklich zum Verständnis der breitesten Massen zu bringen. Deshalb fühle ich mich auch immer genötigt, die öffentlichen Vorträge in dem Stile zu halten wie gestern und zu trotzen all den superklugen Leuten, die sagen, man müsste verständlicher zur großen Masse reden. Sie meinen damit gewöhnlich nur sich selbst, ihr eigenes Niveau. Ich werde immer die Anschauung vertreten: die Menschen, die so reden, das sind gerade die Schädlinge, das sind die, die wir überwinden müssen. 

Und dazu müssen wir kommen, den Mut zu haben, uns zu sagen: Ja, es muss etwas ganz Neues begründet werden. Es ist so, wie ich neulich in unserer Zeitschrift geschrieben habe, dass die alten Parteien im Grunde genommen gar nicht mehr da sind, dass sie nur noch als Lüge und Phrase da sind und aus Leuten bestehen, die, weil sie nichts Neues wissen, mit den Schlagworten der alten Parteien sich drapieren. Das ganze Parteiengetriebe, auch der letzten Tage, beweist gerade, wie sehr in radikalster Beziehung ein Neues notwendig ist. 

 

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