Weltwirtschaftskrise: Einige Notoperationen stehen an, um das Schlimmste für die Menschen zu verhindern

von Ingo Hagel

Vor kurzem gab der Berater des Internationalen Währungsfonds, Robert Shapiro, BBC-Journalisten ein beunruhigendes Interview:

„Wenn sie (die Politiker) nicht in der Lage sind, die Finanzkrise auf eine glaubwürdige Art anzugehen, dann werden wir, so denke ich, vielleicht innerhalb von zwei bis drei Wochen einen Zusammenbruch bei den Staatsschulden haben, was im gesamten europäischen Bankensystem zu einer Kernschmelze führen wird. Wir sprechen hier nicht nur von einer relativ kleinen belgischen Bank, wir sprechen von den größten Banken der Welt, den größten Banken in Deutschland, den größten Banken in Frankreich. Das wird auf Großbritannien überspringen, es wird überallhin springen, weil das weltweite Finanzsystem so stark miteinander vernetzt ist.“

In der Tat stehen einige Notoperationen für die verunglückten Gesellschaftssysteme an, um das Schlimmste für die Menschen zu verhindern. Und es ist nicht so, dass zu diesen Notoperationen keine fruchtbaren Vorschläge gemacht wurden und werden – zwar nicht von der Regierung, aber von Stellen, die offenbar mit mehr Durchblick auf die Lage sehen. Hier eine kleine Auswahl. Bereits vor zwei Jahren forderte Jürgen Elsässer die Wieder-Einführung eines Trennbankensystems (das heißt die Trennung von Investmentbanking und dem normalen Kreditvergabegeschäft der Banken), um im Falle ruinöser Spekulationen der Investmentbanken diese dann insolvent gehen zu lassen, ohne die Einlagen des normalen Sparers zu gefährden.

Vor kurzem wies Webster Tarpley auf folgende durchzuführende  Rettungsmaßnahmen hin:

keine weiteren Sparmaßnahmen seitens der Regierungen, keine Bankenrettungen, Nein zu Eurobonds, keine Rekapitalisierung der Banken, denn die sind nicht zu retten, keine Spekulation mit dem europäischen Stabilitätsfonds, um mit diesem Geld noch mehr Geld am internationalen Kapitalmarkt aufzunehmen.

Stattdessen:

Einführung einer Tobin- beziehungsweise Finanztransaktionssteuer in Europa, aber dieses Geld darf nicht für Bankenrettungen verwendet werden, sondern um die sozialen Sicherungsnetze zu erhalten,

Verbot von Credit Default Swaps und Collateralized Debt Obligations, Zombie-Banken in die Insolvenz gehen lassen

Annullierung sämtlicher Schulden, die durch Derivate entstanden sind, beziehungsweise Aussetzung der Derivateschulden in der Art des Hoover Moratoriums vom Juni 1931

Ulrike Herrmann forderte in der taz eine Regulierung der Derivategeschäfte:

Erstens: Jedes Derivatgeschäft ist mit Eigenkapital zu unterlegen. Zweitens: Alle Derivatgeschäfte werden verboten, die der reinen Spekulation dienen. Letzteres bedeutete, dass man nicht mehr einfach auf den Ölpreis wetten könnte – man müsste auch die Tankerladung in Empfang nehmen. Ölhändler hätten damit kein Problem, Spekulanten schon. Deswegen wäre eine solche Regelung so effektiv.

Und Prof. Max Otte forderte im Focus:

Wir brauchen keinen Sozialismus für Banken und Superreiche, in dem diese Gruppen auf Kosten des Staates leben, ohne sich angemessen an der Wertschöpfung und der Wirtschaft zu beteiligen. Was wir brauchen ist ein faires marktwirtschaftliches Finanzsystem, das nicht leistungsfreie Kapitaleinkommen belohnt sondern ermöglicht, dass jeder Arbeitswillige Arbeit finden, man mit einer Vollzeitstelle eine Familie ernähren kann und eine hinreichende Altersversorgung besteht. Dazu ist keine Revolution notwendig. Um wieder zu einer marktwirtschaftlichen und freiheitlichen Ordnung zu gelangen bedarf es nur weniger Reformen. Mit vier einfachen Regelwerken könnten wir das Finanzsystem deutlich gerechter und stabiler machen:

1. Feste Mindest-Eigenkapitalanforderungen für alle Finanzakteure würden das System erheblich transparenter und sicherer gestalten.

2. Größenbegrenzungen für Finanzdienstleister würden deren Marktmacht limitieren und Erpressungen ganzer Staaten durch Megainstitute unmöglich machen.

3. Die Trennung von Geschäfts-und Investmentbanking und die Regulierung der Geschäftsmodelle würden die Spekulationen der Banken mit Einlagen ihrer Privat-und Geschäftskunden verhindern.

4. Die Einführung einer Finanztransaktionssteuer würde die Spekulation dämpfen und Kleinsparer kaum belasten.

Schon mit diesen Reformen wäre viel erreicht. Außerdem müssen wir in der Währungs- und Finanzpolitik die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank wieder beleben und darauf achten, dass kein Mitgliedsland für die Schulden eines anderen Mitgliedslandes einsteht. Nur so können wir die Schuldenspirale stoppen.“

Diese Notoperationen bestehen aber sicher nicht darin, immer weiter die nicht zu sättigenden Spekulationsschulden des Finanzsektors mit Steuergeldern zu füttern, denn das Volumen der Devisengeschäfte sowie außerbörslich gehandelten Finanzderivate übersteigt mit 1556 Billionen Dollar das der welweiten Bruttoinlandproduktes von 63 Billionen Dollar um das 25fache (Spiegel 2011, Nr. 34). Webster Tarpley schrieb dazu:

Der europäische Anteil an dieser Welt-Derivate-Blase beträgt sicher mehr als ein Drittel, das heißt mehr als 500 Billionen Dollar. Allein schon diese Summe übersteigt die Möglichkeiten des Planeten Erde, irgendwelchen Kredit zu gebenund Liquidität zu schaffen. Es handelt sich um ein schwarzes Loch, das in der Lage ist, die Bemühungen aller Zentralbanken der Welt zu verschlingen. Dieses Loch kann niemals durch Bankenrettungen gefüllt werden. Diese Schulden können nur zerschlagen, das heißt geschreddert und gelöscht werden. Das Schicksal der Zivilisation selber hängt vom Verstehen dieses Problemes ab. Frau Merkel ist auf dem falschen Weg.

Alle diese durchaus möglichen Maßnahmen werden jedoch von unserem nutzlosen Parlamentarismus sabotiert. Stattdessen hat dieser am 29. Sept. 2011 mit den Stimmen fast der gesamten Oppositionsparteien (nur die Linke stimmte dagegen) für das sogenannte „Eurorettungspaket“ gestimmt, was auf eine unverantwortliche Weise die zukünftigen Generationen zu Zahlungen an eine marode Finanzindustrie verpflichtet. Wissen die Regierenden wirklich nicht, dass diese Schulden der Banken niemals zurückgezahlt werden können, das heißt sie müssen gestrichen werden, wenn das Leben der Menschen weitergehen soll.

Die Welt schrieb zu dem oben erwähnten Interview mit Robert Shapiro:

Die Politik braucht einen überzeugenden Plan, sagt Shapiro und drückt damit indirekt das aus, was die meisten befürchten. Dass nämlich die Politik in Wahrheit keinen Plan hat, wie sie diese Krise in den Griff bekommen soll.

Das liegt aber nicht daran, dass es keine Lösungsmöglichkeiten gibt, sondern nur daran, dass die Politik ahnungs- und perspektivlos und dazu fest im Griff der Finanzwelt ist.