Welche Haarfarbe haben Engel? – Invasion  

 

von Stella Hagel

 

Welche Haarfarbe haben Engel? 

Die Erzieherin von Simeon singt mit einer Engelsstimme. Ich habe es mit eigenen Ohren schon öfters gehört und war immer sehr berührt davon. Simeon nimmt das auch wahr. „Wie kann es sein“, so fragt er seine Mutter, „dass sie dunkle Haare hat und trotzdem singt wie ein Engel?“

Invasion 

Als ich am Morgen in den Kindergarten komme und vor der Eurythmie die Kinder begrüße, bekomme ich von Benedikt, sechs Jahre alt, ein Geschenk. Ein winziges weißes Schnecklein mit Schneckenhaus. Das winzige Schneckenhaus ist richtig echt. Das Schnecklein selber hat Benedikt aus weißem Bienenwachs geknetet, aber so unglaublich fein und zierlich und mit winzigen Fühlerchen, dass es wie ein echtes wirkt. Ich betrachte es staunend. „Das hast Du gemacht, Benedikt?“, frage ich verwundert und drehe und wende das feine Gebilde, um es von allen Seiten zu bewundern. Benedikt strahlt voller Stolz. Die Erzieherin macht sich bemerkbar. „Ja, liebe Frau Hagel. Du bist nicht die Einzige, die ein solches Schnecklein bekommen hat. Schau doch nur mal auf unserem Tischchen hier, was Du da siehst.“ In der Mitte des Stuhlkreises steht immer ein kleines Tischchen mit Kerze und schönen Steinen und Blumen. Und heute, o Wunder, kriechen unzählige winzige, zierlichste Schnecklein mit echten Schneckenhäuschen auf dem Rücken über das Tischchen, dass es darauf nur so wimmelt. 

 

Eine Aufgabe für mich 

Eines Morgens hat Benedikt etwas für mich gebastelt. Ein winzig kleines Heftchen, welches er mir mit den Worten in die Hand drückt: „Da, Frau Hagel, das ist für dich! Da kannst Du Deinen Namen und Deine Adresse und Deine Telefonnummer reinschreiben, und dann kannst Du’s mir wiedergeben!“ Etwas perplex bedanke ich mich und stecke das Heftchen ein. Niemals würde ich es wagen, die Anweisungen meiner kleinsten Mitmenschen nicht zu befolgen, wenn sie solcher Art sind. Also schreibe ich brav das Gewünschte in das kleine Heftchen hinein, gebe mir Mühe, es in der nächsten Woche auch ja nicht zu vergessen, und übergebe es Benedikt bei der nächsten Begrüßung. Der macht darob ganz große Augen. Ich glaube, er hat nicht wirklich damit gerechnet, dass ich seinen Wunsch erfülle. Jetzt strahlt er aber vor Freude und bedankt sich am Ende der Eurythmiestunde, indem er das Heftchen hochhält: „Und Dank auch schön, Frau Hagel!“ 

 

Schon wieder? 

Marie freut sich riesig auf ihren ersten Schultag. In vollen Zügen genießt sie ihn, ist stolz auf ihre feine, große Schultüte und natürlich auch auf ihren neuen Schulranzen. Am nächsten Morgen wird sie früh geweckt. Sie will aber nicht aufstehen. „Komm, Marie“, fordert die Mutter sie auf, „aufstehen! Du musst doch in die Schule.“ „Nein“, brummt Marie schlaftrunken, „da geh ich heute nicht hin.“ Die Mutter konsterniert: „Ja, wieso denn nicht?“ Marie, die sich nun ebenfalls wundert: „Aber wieso, da war ich doch gestern schon.“ 

 

Annähern 

Christopher, drei Jahre, ist neu im Kindergarten. Deshalb bin ich ihm, wenn ich zur Eurythmie kommen, noch ungewohnt und nicht ganz geheuer. Er vergewissert sich in den ersten Wochen: „Gehst Du dann auch wieder?“ Ich beruhige ihn: „Ja Christopher, nach der Eurythmie gehe ich wieder.“ Sichtlich erleichtert macht er dann ganz vergnügt mit. Nach ein paar Wochen der Gewöhnung – die Eurythmie macht ihm sichtbar Freude – vergewissert er sich am Ende: „Kommst Du dann auch wieder?“ Ich bestätige: „Ja, Christopher, ich komme nächste Woche wieder zu Euch.“ 

So stellt er mir eine Zeit lang vor und nach der Eurythmie seine beiden Fragen. Eines Tages bleibt die Frage am Anfang aus. Nach der Eurythmie beim Verabschieden ertönt sein Stimmchen freundlich: „Tschüß, Frau Hagel, Du kannst uns gerne mal wieder besuchen.“