Übersetzung: Ingo Hagel
Am 24. Sept. 2011 hielt Webster Tarpley auf World Crisis Radio eine wichtige Rede zur problematischen Finanzsituation in der Welt. Er machte mit Blick auf Europa bedeutende Vorschläge, was zu tun (beziehungsweise was nicht zu tun) wäre. Hier Auszüge aus seiner Ansprache.
Webster Tarpley: Diese Woche hat die Realität begonnen, Einzug zu halten selbst in abgelegene Ecken des Weltbewusstseins. Wir haben eine weltwirtschaftliche Depressionen, ich betone: eine welt-wirtschaftliche Depression. Es handelt sich nicht um einen Double Dip, es hat nichts zu tun mit einer periodisch auftretenden Rezession, wie sie in den vergangenen Jahrzehnten aufgetreten ist. Soros liegt falsch. Er sagt, wir sind in einem Double Dip. Aber die Realität ist – und das zeigt die Entfremdung von der Realität von vielen dieser Wortführer – dass es eben schon die ganze Zeit über eine Depression ist. Man konnte es schon kommen sehen im späten Sommer von 2007, als es zu Bankruns auf Northern Rock kam, und dann kam es schließlich zu der Insolvenz von Bear Stearns im Frühling 2008. Es war ganz klar eine Depression, und die panische Phase setzte dann ein mit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers, Merill Lynch, AIG, und dem gesamten Komplex des Geldzentrums der Wall Street – und nicht zu vergessen der Royal Bank of Scotland. Es war also eine totale Krise des Zusammenbruchs des gesamten angloamerikanischen Bankensystems, die nur maskiert wurde durch die Bankenrettungen und dadurch, dass die FED massenweise Geld auslieh. Also diese gesamte Debatte, ob es ein Double Dip ist, ist absolut idiotisch. Es handelt sich um eine weltwirtschaftliche Depression. Es ist eine Krise des Zusammenbruchs. Es handelt sich nicht um einen Boom und Bust Zyklus oder irgend so etwas. Es handelt sich um die Art einer wirtschaftlichen Zusammenbruchskrise, die die Existenz der gesamten Menschheit gefährden kann.
Und nun konzentriert sich diese ganze Sache auf Europa, wie wir wissen. Dies ist die zweite Welle der Depression, wie wir sie in den Depressionen von 1929 und 1933 gehabt haben. Wir befinden uns nun auf dem Höhepunkt der zweiten Welle der Depression. Wir haben eine europäische Bankenkrise. Und im speziellen handelt es sich um den Angriff auf Frankreich. Italien wurde bereits im Juli angegriffen, davor waren es die so genannten PIGS Staaten, angefangen mit Griechenland und den kleineren peripheren Länder des Mittelmeerraumes – aber eigentlich fing es schon mit Dubai. Und dann, immer mehr zunehmend in den letzten Wochen, war es Frankreich. Und die Ratingagenturen spielen bei der ganzen Sache eine absolut kritische Rolle.
Nach einem Blick auf den Absturz des Dow Jones Index und dem Absturz verschiedener Banken-, Aktien- und Währungskurse kommt Webster Tarpley mit Bezug auf Europa auf folgendes zu sprechen:
Die Depression erfordert ein Erholungsprogramm. Was sollte Europa tun? Aber zuerst: Was sollte Europa nicht tun? Hier ist, was Europa nicht tun sollte:
Punkt 1: keine Sparmaßnahmen! Als Ergebnis der wahnwitzigen Sparmaßnahmen, die der IWF und die Europäische Union gefordert hatte, die Eurokraten, die Eurogarchen und die internationale Finanzoligarchie – ist die griechische Wirtschaft um 8 Prozent zurückgegangen. Und es gibt Leute, die dazu noch die Entlassung von hunderttausenden von Menschen des öffentlichen Dienstes verlangen. Das ist ganz einfach nationaler Selbstmord. Dies ist die Zerstörung der Gesellschaft ! Sparmaßnahmen sind nicht das Richtige! Von Brüning zu Schwarzenegger zu Papandreou, Sparmaßnahmen haben alle versagt. Es ist einfach so: wenn man das Budget des Haushaltes kürzt, dann vergrößert sich das Defizit. Das ist es, was wir hier wieder sehen. Wie oft müssen wir das noch durchexerzieren? Sollen wir diese Menschen, die entlassen werden, in allen Flüssen dieser Welt ersäufen, wie – ich glaube – Einstein einmal sagte? Keine Sparmaßnahmen! Das soziale Netz muss erhalten bleiben. Vergrößert es ! Und die Hauptsache: Man muss Papandreou loswerden, und dazu die Leute, die genauso sind wie er. Also: Keine Sparmaßnahmen!
Zweitens: Keine Bankenrettungen! Keine weiteren Bankenrettungen! Man kann keine schwarzen Löcher mit Bankenrettungen füllen. Diese Derivateblase ist ein schwarzes Loch. Und sie wird so viel Liquidität schlucken, wie auch nur unter dem Mond generiert werden kann , und wird immer noch bankrott sein. Man kann sich fragen, wie kann es sein, dass diese Verluste so riesig sind? Wie kann es sein, dass zum Beispiel diese irischen Banken solche gigantischen Verluste aufweisen? Das liegt an der bizarren Magie dieser Derivate, dass sie ihre Verluste ins astronomische multiplizieren und quadrieren können. Man kann das nicht durch Bankenrettungen ausgleichen. Diese Verluste müssen einfach annulliert werden. Darüber gleich mehr. Keine Bankenrettungen! Und auch nicht von außerhalb von Europa. Also an China gerichtet: beteiligt euch bloß nicht an den europäischen Bankenrettungen. Das ist einfach lächerlich.
Ein weiteres Nein: Nein zu Eurobonds! Sorry Barroso! Barroso, der portugiesische Faschist in der „großen“ Tradition eines Salazar. Er möchte gerne Eurobonds. Nein! Keine Eurobonds und keine Bankenrettungen.
Und was ist mit der Rekapitalisierung der Banken? Man kann niemals Banken rekapitalisieren, die doch vom Wesen her wegen der Derivatespekulationen bankrott sind. Und diese Derivate stecken in allem drin.
Was ist mit dem Sixpack (s. dazu auch hier; Anmerkung IH)? Für die, die nicht verfolgen, was in den Eingeweiden der Bürokraten und Oligarchen in Brüssel vor sich geht: Der Sixpack betrifft diese Maastricht-Kriterien: Man darf kein Haushaltsdefizit von mehr als 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes haben usw.. Der Sixpack ist nun ein Versuch, um dieses Korsett, diese neoliberale Monstrosität, diese Strangulation, die verhängt wurde von diesen Monetaristen, noch fester anzuziehen. Die Antwort darauf ist: Nein!
Was ist mit dem Vorschlag der USA, der europäische Stabilitätsfonds brauche mehr Geld. Nun, in dem Fonds stecken 450 Milliarden Euro. Man will dieses Kapital zur Spekulation benutzen, um ein Zehnfaches dieser Summe zu leihen (s. dazu auch hier). Nein dazu! Denn in dem Moment, wo man dies tut, ist man den Rating-Agenturen Standard & Poor‘s, Moody‘s und Fitch ausgeliefert, die einen dann angreifen und sagen können: Ihr seid nicht mehr AAA, denn Ihr habt Länder bei Euch, die wir herabstufen werden. Und sobald eines dieser Länder heruntergestuft worden ist, wird auch der gesamte Europäische Stabilitätsfonds heruntergestuft werden – aber dieses wird vermutlich sowieso geschehen.
Also: dies sind viele Dinge, die Europa nicht tun darf: Keine Sparmaßnahmen, keine Bankenrettungen, keine Eurobonds, keine Rekapitalisierung der Banken, keine Verschärfung der Maastrichtkriterien: kein Sixpack, keine spekulative Vermehrung des Kapitals des Europäischen Stabilitätsfonds.
Stattdessen: Macht, was Ihr bis jetzt nicht getan habt! Zuerst die Tobinsteuer in Europa. Die Europäische Kommission -wieder unter Druck von Sarkozy und Merkel, wenigstens ein bisschen zu tun – ist dabei, eine sehr kleine, eigentlich viel zu winzige Steuer auf Finanztransaktionen zu erheben. Also: setzt diese Euro-Tobinsteuer auf 1 Prozent fest, zahlbar an die Finanzministerien der einzelnen Staaten. Dieses Geld darf nicht für Bankenrettungen verwendet werden, sondern um die sozialen Sicherungsnetze zu erhalten, das menschliche Kapital, das das Wichtigste von Europa ist. Einige Hedgefonds werden protestieren, dass dies ihnen das Geschäft versaut: Zu dumm für Euch, aber wir haben sowieso zu viele Hedgefonds, es ist an der Zeit, die reale Produktion in der Wirtschaft zu stützen.
Verbietet Credit Default Swaps, verbietet Collateralized Debt Obligations. Schließt diese Zombie-Banken. Lasst ab von dem Ziel: Too big to fail. Dazu ergab der europäische Bankenstresstest, dass 12 bis zu 15 Banken rekapitalisiert werden müssten. Aber sie können nicht rekapitalisiert werden, außer man streicht diese Derivate, die sie besitzen.
Dies bedeutet dann natürlich auch ganz klar – und ich empfehle dies als Ansatz für eine Verteilungsgerechtigkeit, so dass man nicht einige Länder hat, die Bankrott gehen und andere nicht: Sorgt für eine allgemeine Annullierung sämtlicher Schulden, die durch Derivate entstanden sind. Derivate waren so ziemlich weltweit illegal unter dem US Commodities Exchange Act von 1936. Von 1936 bis 1982, und in vielen Kategorien bis 1989, waren Derivate illegal. Sie müssen wieder illegal werden. ….
Aber was machen wir mit den alten Derivateschulden? Ich glaube, was wir diesbezüglich brauchen, ist etwas in der Art des Hoover Moratoriums vom Juni 1931. Hoover (Präsident der USA von 1929 – 1933; Anmerkung IH) nahm sich der bedeutendsten, bedrückendsten und zerstörerischsten Arten der internationalen Schulden an, und was er tat war, die Deutschen Reparationen und die französischen und britischen Kriegsschulden an die USA für ein Jahr einzufrieren. Also: warum nicht mit diesen 1,5 Trillionen an weltweiten Derivaten etwas ähnliches machen wie dieses Hoover Moratorium. Für fünf Jahre oder für die Dauer der weltweiten Depression, die ja länger dauern wird, werden alle Schulden, die aus Derivaten entstanden sind, eingefroren. Polen hat nun die Präsidentschaft innerhalb der Europäischen Union in Brüssel, und einer muss die Initiative ergreifen, um die EZB zu zwingen, etwas anderes als bisher zu machen. Anstatt dass immer weiter sinnlos Banken gerettet werden, indem man Schuldentitel aufkauft, warum gibt die EZB nicht mal Kredite? Zum Beispiel brauchen wir eine Billion Euros für Infrastruktur, Autobahnen, ein neues modernes Elektrizitätsnetz, Wasserversorgung, Abwassernetzerneuerung, Wohnungen, etc.. Daher die Idee, die Kapitalversorgung der Staaten zu erhöhen, die Produktivität der Arbeit zu erhöhen, und solange mit Tranchen von 1 Billion Euros zu kommen, bis das Problem der Depression gelöst ist, und die Natur dieses Problems ist: 40 Millionen neuer produktiver Arbeitsplätze, die für Europa gebraucht werden.