Aus Nr. 173 der Rudolf Steiner Gesamtausgabe, S. 208:
Es geschieht ja überhaupt sehr leicht, dass mitteleuropäisches Wesen missverstanden wird. Wirkliches mitteleuropäisches Wesen wird jetzt noch in Westeuropa fast immer missverstanden. Wie sollte das auch anders sein? Die Bildung Mitteleuropas war so sehr vom französischen Elemente durchdrungen, dass eines der größten, bedeutendsten Werke, die den Ton angegeben haben in der größten deutschen Zeit, Lessings «Laokoon», sogar das Schicksal gehabt hat, dass Lessing sich überlegte, ob er das Buch französisch oder deutsch schreiben solle. Die gebildetsten Leute des 18. Jahrhunderts in Mitteleuropa haben schlecht deutsch und gut französisch geschrieben. Das muss man nicht vergessen. Und im 19.Jahrhundert stand Mitteleuropa vor der großen Gefahr, ganz zu verengländern, ganz durchdrungen zu werden von englischem Wesen. Es ist kein Wunder, wenn man dieses mitteleuropäische Wesen so schlecht kennt, da es ja immerfort von allen Seiten her überflutet wird, auch in geistiger Beziehung. Bedenken Sie nur, was Goethe als Evolutionstheorie der Tiere und Pflanzen geliefert hat. Das ist wirklich um eine Stufe höher als der materialistische Darwinismus, so wie gemäß dem Lautverschiebungsgesetz das Deutsche um eine Stufe höher liegt als das Gotisch-Englische. Aber in Deutschland selber ist der materialistische Darwinismus vom Glücke begünstigt gewesen, nicht das eigentlich deutsche Goethesche. Es ist also gar nicht zu verwundern, dass man das deutsche Wesen schlecht versteht und dass man sich keine Mühe gibt, dieses deutsche Wesen auch wirklich so zu verstehen, wie es verstanden werden muss, wenn man ihm gerecht werden will.
Nun, wie gesagt, namentlich in politischen Wissenschaften war alles beeinflusst von englischer Gedankenrichtung. Aber was dringend notwendig wird, ist eine gewisse Selbsterkenntnis der Volkstümer. Und ehe es nicht zu dieser Selbsterkenntnis kommt, zu der nun nicht Herbert Spencer und John Stuart Mill ausreichen, sondern der Geisteswissenschaft zugrunde liegen muss, und das Empfinden dessen, was durch die Geisteswissenschaft gegeben ist, eher kann kein Heil entstehen.
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Das Deutsche hat die Eigentümlichkeit, nicht bis zum Worte zu gehen mit dem Gedanken. Und nur durch diese Tatsache sind Philosophen, die sonst nirgends in der Welt möglich gewesen wären, wie Fichte, Schelling, Hegel, möglich geworden, dass das Deutsche nicht bis zum Worte den Gedanken trägt, sondern den Gedanken im Gedanken erhält. Dadurch aber werden sich die Menschen sehr leicht missverstehen können. Denn ein wirklich richtiges Übersetzen ist ja nicht möglich, ist immer nur Surrogat. Es gibt keine Möglichkeit, das, was Hegel gesagt hat, auch auf englisch zu sagen oder auf französisch. Das ist ganz ausgeschlossen, solche Übersetzungen können immer nur ein Surrogat sein. Eine Verständnismöglichkeit ist nur dadurch vorhanden, dass gewisse romanische Grundelemente noch durchgängig sind, denn ob man sagt «association», französisch, oder «association», englisch, ist gleich, das geht alles zurück auf das Romanische. In solchen Dingen werden Brücken gebaut. Aber jedes Volkstum hat seine besondere Mission, und man kann ihm nur beikommen aus der Sehnsucht heraus, zu einem solchen Verständnis zu gelangen.
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Die stärkste Koinzidenz zwischen Gedanke und Wort, so dass der Gedanke verschwindet gegenüber dem Worte, ist im Französischen. Das stärkste Selbstausleben des Gedankens ist im Deutschen, weshalb auch nur im Deutschen das Wort einen Sinn hat, das Hegel und Hegelianer geprägt haben: «Das Selbstbewusstsein des Gedankens.» Was für den Nichtdeutschen ein Abstraktum ist, ist für den Deutschen das größte Erlebnis, das er haben kann, wenn er es im lebendigen Sinne versteht. Das Deutsche geht darauf aus, die Ehe zu begründen zwischen dem Spirituellen an sich und dem Spirituellen des Gedankens. Nirgends in der Welt, in keinem Volkstum kann das erreicht werden außer im Deutschen.
Das hat nichts zu tun mit irgendeinem Reiche, aber es ist gefährdet für Jahrhunderte, wenn die Menschen sich ablehnend verhalten gegen das, was jetzt als Friedensgedanke durch die Welt geht. Denn dann wird nicht bloß ein Reich in der Mitte gefährdet, sondern das ganze deutsche Wesen wird gefährdet. Daher sind dieseTage wirkliche Schicksalstage für den, der die Dinge versteht. Und man darf, dürfte wenigstens hoffen, dass die Dinge anders beurteilt werden als das erste Mal, als gewissermaßen Schicksal hineingeworfen worden ist, Schicksalsimpuls, und wo man hätte nachdenken müssen, aber nicht nachgedacht hat, damals, als man sich in Österreich freiwillig bereit erklärte, Italien das zu geben, was es hätte veranlassen können, abzukommen vom alten Irredentagedanken und dem Grand-Orient. Da hat man aber in der Peripherie keinen Gedanken dafür gehabt, was es eigentlich damals hieß, nicht nachzudenken über das, was Italien, beziehungsweise die drei Leute da taten. Hoffentlich wird jetzt, wie die Dinge auch kommen werden, die Welt geneigter sein, diese Dinge etwas ernst zu nehmen.
Das deutsche Element hat schon seine bestimmte Aufgabe gerade durch die besondere Stellung des Gedankens. Daher wird es niemals möglich sein, dass ohne das Mittun dieses in sich selbst lebenden Gedankens jene geistige Evolution sich vollzieht, die sich vollziehen muss. Man muss die Dinge nur betrachten, wie sie sind.
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