Ist eine Volksabstimmung gegen den ESM der richtige Weg? – Das im Grundgesetz verankerte Recht auf Widerstand des Volkes ist erfüllt – Unsere marode und abgehalfterte parlamentarische Demokratie muss reformiert werden

von Ingo Hagel 

Es gibt viele verdienstvolle Initiativen, die gegen die Machenschaften fast aller unserer Politiker – fast aller Parteien – zur Einführung des Europäischen Stabilitäts-Mechanismus (ESM) beziehungsweise gegen die Installierung der Vereinigten Staaten von Europa kämpfen. Denn sie halten diese Bestrebungen für nicht konform mit der bestehenden Verfassung. Letztere müsste also für den ESM geändert werden. Und die Entscheidung darüber obliege dem deutschen Volk. Diese Initiativen, die eine Volksabstimmung zum ESM fordern, berufen sich dabei auf den Artikel 146 des GG:

Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.

Die Initiativen für eine Volksabstimmung unterschätzen die Stimmung des Volkes

Ich fürchte jedoch, diese Initiativen für eine Volksabstimmung gegen den ESM (beziehungsweise gegen die Vereinigten Staaten von Europa) unterschätzen die Stimmung des Volkes. Viele Zeitungen berichteten kürzlich über eine Umfrage. Die Zeit schrieb darüber Anfang Februar 2012:

Beliebtester Spitzenpolitiker ist der Umfrage zufolge Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), mit dessen Arbeit 65 Prozent der Befragten zufrieden sind. Ihm folgen Merkel und Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) mit 60 Prozent. Auf je 55 Prozent Zustimmung kommen die als mögliche SPD-Kanzlerkandidaten gehandelten Politiker Peer Steinbrück und Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. 64 Prozent der Befragten gaben sich mit Merkels Auftreten und ihrer Arbeit in der Euro-Krise zufrieden. 69 Prozent sehen in Merkel eine „gute Bundeskanzlerin“. Sie vertrete Deutschland in der Welt gut, gaben 85 Prozent an. Dabei empfindet über die Hälfte die Bundeskanzlerin als eine Politikerin, die über den Parteien steht.

und dann noch dies:

Kanzlerin Angela Merkel ist hingegen so beliebt wie seit zwei Jahren nicht mehr.

Das dürften die Fakten sein, die mit Blick auf eine Volksabstimmung zu beachten sind. Denn jener „beliebteste Spitzenpolitiker“ Schäuble gehört ja neben Angela Merkel und anderen zu denjenigen, die die Preisgabe der Souveränität Deutschlands ausdrücklich befürworten und betreiben. Dafür wünscht sich Schäuble sogar eine Krise, um dies durchsetzen zu können.

 

Auch mit der Opposition steht es nicht besser

Symptomatisch dafür ist Altkanzler Helmut Schmidt, der im Dezember 2011 in einer Rede auf dem SPD-Parteitag eindringlich an die Deutschen appellierte, sich in der Schuldenkrise in Europa solidarisch zu zeigen

Altbundeskanzler Helmut Schmidt hat die Deutschen eindringlich aufgerufen, sich in der Schuldenkrise in Europa solidarisch zu zeigen. „Wir brauchen auch ein mitfühlendes Herz gegenüber unseren Freunden und Nachbarn“, sagte der 92-Jährige an diesem Sonntag auf dem SPD-Bundesparteitag in Berlin. „Und das gilt ganz besonders für Griechenland.“ Ohne die europäische Integration drohe allen Staaten in Europa die Marginalisierung in der Welt.

Schmidt wurde für seine Europa-Phrasen von der SPD „mit Jubel und lang anhaltendem Beifall“ bedacht, konnten die Deutschen überall lesen, unter anderem in der Süddeutschen. Dabei könnte doch jeder wissen, dass die Griechen von dem Geld, mit dem Deutschland sich solidarisch zeigte, nichts gesehen haben, dafür aber die französischen und deutschen Banken, welche die griechischen Staatsanleihen halten oder hielten:

In seiner mit Jubel und lang anhaltendem Beifall bedachten, gut einstündigen Rede mahnte Schmidt eindringlich dazu, die europäische Einigung voranzutreiben, deren größter Profiteur Deutschland sei.

 

Rolle der Medien

Neben der desaströsen „Vorbild“-Rolle der Oppositions-Parteien darf man die Rolle der Medien nicht unterschätzen: Da faselt Henrik Müller, stellvertretender Chefredakteur des Manager Magazins, im Spiegel etwas von brüchiger Verfassung und empfiehlt den Lesern die Vereinigten Staaten von Europa als einzige Lösung zum Erhalt der Währungsunion.

Die brüchige Verfassung: Die Währungsunion wird auf Dauer nur halten können, wenn sich die Euro-Zone zu den Vereinigten Staaten von Euro-Land weiterentwickelt.“

Natürlich ist unsere Verfassung nicht brüchig, sondern sie wird von unseren Politikern und Verfassungsrichtern gebrochen, gedehnt und ausgehebelt. Aber so ein Unsinn wird vom Spiegel in die Welt geblasen.

Man muss wissen, dass der Einfluss des Spiegels und vieler anderer Zeitungen, die Gleiches verzapfen – denn wir haben ja mit unseren Mainstreammedien keine freie Presse mehr hier in Deutschland – auf die öffentliche Meinung ein sehr großer ist: Im Alexa Webranking der in Deutschland am häufigsten besuchten Homepages befindet sich der Spiegel auf Platz 8, gefolgt auf Platz 10 von der Bild-Zeitung. Nur Google, Facebook, YouTube, Ebay, Amazon und Wikipedia liegen im Bildungshunger und der Internet-Gunst der Deutschen noch weiter vorne.

 

 

Ich fürchte daher, der Spiegel und die Bildzeitung werden die meinungsbildenden Instanzen sein, denen die Menschen folgen werden, und nicht einem Aufruf zum Widerstand gegen den ESM beziehungsweise gegen die Vereinigten Staaten von Europa per Volksabstimmung.

 

Volksabstimmung nur ein geschickt eingefädeltes Manöver der Gegenseite?

Es wäre auch zu bedenken, ob diese Initiative für eine Volksabstimmung zum ESM möglicherweise sogar genau das beinhaltet, was sich die Gegenseite wünscht: Denn damit liegt die Verantwortung für diese Angelegenheit in den Händen des Volkes. Vermutlich weiß man an den betreffenden Stellen genau, dass die Mehrheit der Deutschen – aus den oben genannten Gründen – nicht gegen sondern für den ESM abstimmen wird. Dann könnte die Politik ihre Hände in Unschuld waschen, der Verfassung ist Genüge getan, alles ist in Butter. Besser könnte es nicht gelaufen sein.

Natürlich glaube ich nicht, dass die einzelnen Vertreter derjenigen Volksabstimmungskampagnen, die ansonsten seit langem gegen den ESM kämpfen, zu diesem Manöver dazugehören. Sie handeln im guten Sinne und wollen Deutschland die Knechtschaft des ESM ersparen.

Es sollte aber ausgesprochen misstrauisch stimmen, wenn nun sogar die FDP, also eine Partei der Regierungskoalition, auf ihrem Bundesparteitag – neben den Vereinigten Staaten von Europa (“Wir wollen die politische Union Europas ….“) ebenfalls auf diesen Volksabstimmungs-Zug aufspringt. Glaubt man denn wirklich, die FDP will den ESM und die Vereinigten Staaten von Europa verhindern? Will sie nämlich nicht:

Die FDP will, dass Europa diesen Weg der Vertiefung weitergeht und dabei zu einer politischen Union mit festen föderalen Grundsätzen, demokratischen Strukturen und einer klaren subsidiären Ordnung wird. Am Ende dieser Entwicklung sollte ein durch Volksabstimmungen in den Mitgliedstaaten legitimierter europäischer Bundesstaat stehen. Auf dem Weg hin zu einer politischen Union mit einer europäischen Verfassung fordern wir ebenso eine verstärkte Koordinierung der Wirtschafts-, Umwelt-, Finanz- und Währungspolitik wie eine Weiterentwicklung der europäischen Demokratie.”

Das bestätigt, was ich sagen will, nämlich dass eine Volksabstimmung durchaus im Interesse der herrschenden – und nicht-herrschenden –  Parteien liegen dürfte.

Radio Utopie bemerkte zu dem Vorgang:

Die FDP stellt sich mit diesem Beschluss außerhalb unserer Verfassungsordnung und reiht sich ein in die Pan-Europa-Extremisten, die mit allen Kräften, unter Aufbietung aller inneren Ressourcen von Verrat und Abscheulichkeit, unter perfider Heuchelei und ohne Skrupel dabei sind, die europäischen Völker und ihre Demokratien zu zerstören, zugunsten des “systemrelevanten” weltweiten Bankenkartells. Das ganze “pro-europäische” oder “europäische” Getue der pan-europäischen Antidemokraten und ihrer “föderalistischen” Netzwerke dient nur dazu, diesen Umstand zu vernebeln.

Sogar von einem Europäischen Superminister, als Pendant zum amerikanischen Präsidenten träumt man in Deutschland und in Brüssel – natürlich alles mit „demokratischer Legitimation“. Wenn das alles vorher noch vom Volke selber per Volksabstimmung sanktioniert worden wäre, dann wäre alles bestens, und die Politiker, die das eingefädelt haben, wären aus dem Schneider, denn es wurde ja der Wille des Volkes vollzogen.

 

ESM ist ein Rechts- und Verfassungsbruch

Im Grunde ist die Sache vielleicht nicht für die „Experten“ aber für jeden gesunden Menschenverstand doch klar: beim ESM, dem Fiskalpakt und dem Ziel der Vereinigten Staaten von Europa handelt es sich um ein schweres Unrecht zum Schaden nicht nur des deutschen Volkes, auch wenn die allermeisten Politiker, Bundespräsident Gauck und viele Staatsrechts-Professoren das anders sehen (s. zum Beispiel hier und hier). Das Internet ist prall gefüllt mit Darstellungen zum rechtlosen und zerstörerischen Charakter des ESM, des Fiskalpaktes, der Vereinigten Staaten von Europa sowie der ganzen Bankenrettungen, mit denen alles angefangen hatte. Das kann alles hier nicht aufgezählt werden können. Ich verweise hier nur auf einige wenige Beispiele:

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Der bekannte Staatsrechtler und Kämpfer gegen den ESM und die Vereinigten Staaten von Europa Prof. Schachtschneider, sagte kürzlich mit Blick auf die europäische Union und den ESM:

Der ESM macht die Union endgültig zum Bundesstaat, sogar einem mit zentralistischer Tendenz. Wenn noch der Fiskalpakt dazu kommt, bleibt von der Souveränität der mitgliedsstaatlichen Völker und deren Demokratie nicht viel übrig. Das Bundesverfassungsgericht müsste das endlich feststellen.

Prof. Schachtschneider sieht die Demokratie so weit zerstört, dass jeder Bürger das Recht zum Widerstand gemäß Artikel 20 Absatz 4 des Grundgesetzes hat: 

So habe ich auch Anfang Juli vor dem Bundesverfassungsgericht argumentiert: Unsere freiheitliche demokratische Grundordnung ist in Gefahr. Durch die Griechenland- und Euro-Rettungsaktionen werden wichtige Rechtsgrundsätze ruiniert, wie etwa die Eigentumsgewährleistung, das Sozialstaatsprinzip, das Rechtsstaatsprinzip. Die demokratischen Institutionen werden entmachtet und es gibt keine Gewaltenteilung mehr. …. Es geht auch um den Europäischen Gerichtshof, der über Leiturteile Unionsrecht mit großer praktischer Wirkung für alle Mitgliedstaaten definieren kann, obwohl er genau so wenig demokratische legitimiert ist wie die EU-Kommission. Jedenfalls hat diese politische Ordnung mit unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung längst nichts mehr zu tun, und deshalb hat jeder Bürger nach dem Grundgesetz das Recht zum Widerstand.

Nun schien Bundespräsident Gauck ja bereits tief in die Neigungen des Bundesverfassungsgerichtes eingeweiht, als er vor kurzem in seiner naiv-hemdsärmeligen Art die Chancenlosigkeit möglicher Verfassungsklagen gegen den Euro-Rettungsschirm und den Europäischen Fiskalpakt verkündete. „Er glaube nicht, dass die Karlsruher Richter die Politik der Regierung konterkarieren würden“ schrieb die Süddeutsche.

Ich glaube nicht, dass Gaucks Aussagen die selbständige Leistung einer juristischen Durchdringung der Sachverhalte zugrunde liegt. Vermutlich hat ihn mal jemand beiseite genommen und ihm gesagt, er brauche sich keine Sorgen machen: Das wäre alles schon richtig eingetütet, auch das Bundesverfassungsgericht wüsste, was zu tun ist. Sollte es jedenfalls zu dem kommen, was Gauck schon herausposaunt hat, dann wird das deutsche Volk auch ein Recht zum Widerstand gegen sein eigenes Bundesverfassungsgericht haben. Und damit wäre dann das völlige Ende nicht nur dieses Parlamentarismus sondern überhaupt unserer durch eine Verfassung begründeten Demokratie gekommen.

 

Was soll also geschehen? Dieser ganze Apparat unserer sogenannten parlamentarischen Demokratie muss entmachtet und reformiert werden

Beim ESM, dem Fiskalpakt, den Vereinigten Staaten von Europa etc. handelt es sich um ein schweres Unrecht zum Schaden des deutschen Volkes und aller Menschen in Europa. Das sehen heute natürlich nur wenige, aber spätere Generationen werden es so sehen. Dieses Unrecht wird allerdings von der Mehrheit aller Politiker, Parlamentarier, Verfassungsrechtler, „Experten“, Medien und sehr großen Teilen der Bevölkerung unterstützt.

Natürlich kann man über den ESM abstimmen, das Grundgesetz sieht diese Möglichkeit einer Volksabstimmung für eine Änderung des Grundgesetzes ja ausdrücklich vor. Abgesehen von einem für die Gegner des ESM unerfreulichen Abstimmungsergebnis (pro ESM) sitzt dann weiterhin dieser ganze Apparat unserer sogenannten parlamentarischen Demokratie, der in dieser Angelegenheit völlig versagt hat, weiter in den Sesseln, und darf – vom Volk bestätigt – Demokratie spielen.

Wir leben nicht mehr in einer Zeit, in der durch artig-demokratische Maßnahmen wie zum Beispiel einer Volksabstimmung der bestehende verkommene, verdorbene und marode Parlamentarismus bestätigt und einfach zum alten Leben zurückreanimiert werden darf. Wir leben in einer Zeit, in der es nicht mehr darum gehen darf, durch restaurative Maßnahmen dieser Art zur Wiederbelebung dieser ruinierten Demokratie beizutragen, von etwas, was seinen Geist schon längst ausgehaucht hat. Dieser Parlamentarismus gehört abgeschafft und durch ein wirklich zukunftsfähiges Modell eines demokratischen Rechtsstaates ersetzt. Denn diese „Demokratie“ gibt es längst nicht mehr.

Jens Berger, einer der Redakteure der Nachdenkseiten sowie Herausgeber des Spiegelfechters sprach neulich (bei 23:55) mit Blick auf das politische Geschehen im Zusammenhang mit der Finanzkrise von der „Suspendierung der Demokratie“, was so viel heißt, wie: die Demokratie wurde entlassen, wurde nach Hause geschickt – wenn sie denn wüsste, wo sie ein Zuhause hätte ….

 

Diese „Demokratie“ ist längst erledigt und fertig, das muss jetzt nur noch erkannt werden, damit etwas Neues entstehen kann

In dieser Stunde der Not tauchen die Piraten am politischen und gesellschaftlich-sozialen Horizont Deutschlands auf. Die Proteststimmung der Wähler spülte sie in die Landtage von Berlin und dem Saarland, und wenn am nächsten Sonntag in Deutschland gewählt würde, würden sie 13 % der Stimmen erhalten, mehr als die FDP (5 %), die Linke (7 %), und die Grünen (12 %), wie eine Forsa-Umfrage ermittelte. Zudem haben die Piraten ein Potenzial zu 30 % Stimmen bei der nächsten Bundestagswahl. Das größte Potenzial haben die Piraten mit 50 Prozent bei den jungen Wählern bis 29 Jahren.“ 

Allerdings stehen sie ahnungslos wie Parzival vor dem Gral vor dem (allerdings unheiligen) politischen Geschehen und ernten dafür Hohn und Spott. Gregor Gysi hält die Piraten für „apolitisch“, andere ihrer „gesellschaftlichen Verantwortung nicht gewachsen“:

Die Piraten erwecken in den letzten Wochen den Eindruck, eine Truppe von Wirrköpfen zu sein, die konzeptlos und ohne Anstand versucht, Politik zu machen. Der «Spiegel» titelte diese Woche prompt: «Avanti Dilettanti». Verschärft wird das Chaoten-Image dadurch, dass die Partei zu vielen Fragen immer noch keine Antworten hat. Ob Eurorettung, Auslandseinsätze der Bundeswehr oder Wirtschaftspolitik: Selbst bei zentralen Punkten erklären die Piraten, man müsse eine Position erst ausarbeiten. Entsprechend leicht fallen der Konkurrenz die Attacken. Die Grünen versuchen es dabei mit der Rechtsextremismus-Keule. Die Bundesgeschäftsführerin der Grünen, Steffi Lemke, fordert empört, die Piraten müssten sich «klar gegen Nazis» positionieren. Andere Öko-Politiker feixen, offenbar sei die neue Partei ihrer «gesellschaftlichen Verantwortung nicht gewachsen».

Und dann stimmte auch noch der Landesparteitag der Piratenpartei Nordrhein-Westfalen der “Ablehnung des ESM-Vertrags” einstimmig zu. Das ist natürlich für unser System politisch so unkorrekt wie ein Eimer Jauche keimfrei ist. Und so prasselt der gesammelte demokratische Shitstorm umso heftiger auf die Piraten ein.

 

Piraten könnten die Partei zur Abschaffung der Parteien sein

Die Angst der „Altparteien“ bringt Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) auf den Punkt, indem sie den Piraten vorwirft, die parlamentarische Demokratie abschaffen zu wollen. Nun, überflüssig haben die bestehenden Parteien sich selber gemacht mit ihrem unverantwortlichen, perspektivlosen, dummen und dilettantischen politischen Handeln, das gegen die Menschen gerichtet ist. Jetzt bekommen sie von 13 % der Wähler die Quittung, indem diese aus Protest den Piraten die Stimme geben.

Trotzdem hat Leutheusser-Schnarrenberger den Punkt angesprochen, um den es geht – ob dieser nun von den Piraten realisiert wird oder nicht: Diese sogenannte parlamentarische Demokratie ist am Ende und gehört abgeschafft. Ich vermute sehr, dass dieser Aspekt noch gar nicht im Bewusstsein der Piraten angekommen ist. Jedoch deuten alle Phänomene des Agierens der Piraten darauf hin, dass hier eine Gruppe von jungen Menschen in chaotischer Weise vom Rand in das zentrale Gebiet der Politik katapultiert worden sind, die den dort üblichen Gepflogenheiten völlig widerspricht – aber etwas Zutreffendes und Zukünftiges im Grunde ihrer Seelen tragen dürfte. Die sogenannten politischen „Gepflogenheiten“ sind morsch, brüchig, verlogen, eine Ruine – und immer mehr Menschen verachten die Politik und die Politiker. Das alte Parteiensystem, die alte Demokratie, der alte Parlamentarismus sind tot, gehören längst auf den Müllhaufen der Geschichte. Und wenn die Piraten sich selbst erkennen würden, müssten sie sehen, dass sie die Partei darstellen könnten zur Abschaffung der Parteien.

 

Kommen muss etwas anderes

Es muss darüber nachgedacht werden, über welche Bereiche des sozialen Lebens denn in Zukunft das Parlament eines Rechtsstaates überhaupt zu bestimmen hat. Gehört wirklich die Wirtschaftspolitik dazu, oder sollte man das nicht besser dem Wirtschaftsleben selber überlassen?

Und was ist mit den vielen Aspekten des kulturellen Lebens (Bildungspolitik, Forschung, Kultur, etc.)? Wie und was soll gelehrt werden? Soll man die Entscheidung darüber nicht den Professoren und Lehrern an den Schulen, Universitäten, Ausbildungsstätten etc. überlassen, die aus ihrer täglichen Praxis und einem freien geistigen Leben heraus das wohl selber am besten entscheiden könnten? Vor allem sollte es den Eltern und Studenten überlassen werden, sich frei für eine bestimmte Schule oder Ausbildungsstätte entscheiden zu können, ohne Nachteile erleiden zu müssen, indem Privatschulen und -universitäten kostenpflichtig sind. Die Kritik über die neuen verschulten Bachelor- und Masterstudiengänge ist groß. Diese produzieren nur noch Arbeitskräfte für die Industrie, aber keine Bildung und keinen selbständig denkenden Menschen mehr. Aber kaum jemand wagt grundsätzlich diesen bankrotten Einheitsstaat, der in alles hineinredet, in Frage zu stellen. Dieser hat sich über die Jahrhunderte so in die Köpfe und die Konstitutionen der Menschen gebrannt, dass sie gleich einen Staatsstreich wittern, wenn jemand dies in Frage stellt.

Zudem ist die bisherige Wahl von Abgeordneten (Parlamentariern, MdBs) wohl mehr als reformbedürftig. Dieses Verfahren einer sogenannten repräsentativen Demokratie, die aber natürlich keine Demokratie ist, befördert bei den Wählern nur den politischen Tiefschlaf und die Ausgrenzung aus den eigentlichen Zentren der Macht. Viele Menschen wollen sich heute in die Diskussionen und Entscheidungsprozesse einbringen. Auch der Abgeordnete selber ist, wie sich immer wieder zeigt, mit den Entscheidungsprozessen fachlich und zeitlich überfordert. Das sieht auch die repräsentative Demokratie so, daher werden diese Entscheidungsprozesse immer mehr in undurchsichtige Hinterzimmer verlagert, und die Parlamentarier haben diese nur noch abzunicken. Das wollen die Menschen nicht mehr.

So bestätigte die Welt auf der einen Seite die Inkompetenz der Parlamentarier mit Blick auf den ESM, auf der anderen Seite das Bemühen der Regierung, dem Abgeordneten das (verbrecherische) Treiben zu verschleiern, ohne natürlich in irgend einer Weise die konkreten Konsequenzen dieses für das Volk katastrophalen Geschehens denken zu wollen. Hier nur ein kurzer Ausschnitt des bezeichnenden Textes:

Nein, das Hauptproblem ist, dass viele Abgeordnete, die über diese Regelungen entscheiden werden, wichtige Details samt den Folgen mit Sicherheit nicht verstehen werden. Das liegt weniger daran, dass mancher Parlamentarier sich für die Materie nicht interessiert oder intellektuell damit überfordert wäre. Das Problem ist: Wichtige Regelungen sind entweder bewusst schwammig oder offensichtlich absichtlich kompliziert formuliert worden. Man könnte auf die Idee kommen, die Bundesregierung wollte die Parteien im Bundestag bewusst von allzu kritischen Detailfragen abhalten. ….. Die Folgen für die Finanzlage Deutschlands und damit die Bürger dieses Landes können verheerend sein, wenn die Volksvertreter die Bedeutung ihrer Abstimmung nicht verstehen. Davon aber kann man bei der Kompliziertheit dieses Gesetzestexts getrost ausgehen.

Ich denke also an ein offenes, durchlässiges System einer neuen Demokratie. Dieses könnte zum Beispiel fähigen Menschen für den Zeitraum der Bearbeitung einer bestimmten politischen Aufgabe ein Mandat verschaffen, das aber nach Beendigung der Aufgabe wieder zurückgegeben wird. Ich denke an Arbeitsgruppen der Städte, Regionen, Länder, die selber bestimmen, welche Menschen ihrer Gruppe, die sie aus der Zusammenarbeit kennen und zu denen sie Vertrauen haben, in die nächsthöheren Gruppen delegieren. Auch das kann – ohne diese alberne Wahl von Abgeordneten oder Parteien alle vier Jahre – sehr sachlich, schnell, kompetent und konkret erfolgen, in einem kontinuierlich fließenden Prozess, der nach Bedarf und Fähigkeiten sich orientiert, und nicht nach Wahlperioden. Der Parlamentarismus von morgen wird keine abstrakten Parteiprogramme vertreten, sondern die konkreten Fragen und Bedürfnisse der Menschen behandeln.

Sicher wäre dazu noch viel zu sagen, jedoch sollte hier nur ein kleiner Ausschnitt zur Verdeutlichung gegeben werden.