von Stella Hagel
Ungefähr fünfjährig wurde ich von meinen viel älteren Cousinen und Cousins auf ein großes Pferd gesetzt. Man erwartete, dass es mir dort oben gefiele, doch ich fand es grauenvoll, mich erfasste große Angst, und so musste man mich schleunigst vom hohen Rosse wieder herunterholen.
Ähnlich erfasste mich furchtbares Grauen, als meine Mutter mir drei oder vier Jahre später das Schwimmen beibringen wollte. Sie hielt mich, und ich sollte Schwimmbewegungen machen. Ich fühlte mich aber gar nicht sicher und wollte sofort wieder runter. Beide Beine im Sand, das war mir lieber. Doch meine Mutter meinte es gut mit mir, hielt mich fest und ließ mich nicht runter. Da schrie ich in meiner Todesangst: „Bitte lass mich runter, ich will lieber sterben!“
Als ich sechs Jahre alt war, standen unserer Familie mehrere Jahre des Umherziehens in der Welt mit Sack und Pack bevor. Wie viel vom geplanten Umzug an mein Bewusstsein herangedrungen war, kann ich nicht erinnern, und ich weiß nicht einmal, ob der Alptraum, welcher mich in einer Nacht befiel, ausgelöst worden war durch Gespräche der Erwachsenen, die in mein Unbewusstes eingedrungen waren. Ich erinnere mich nur deutlich, wie sehr dieser Traum die Jahre des Umherziehens überschattete. Der Traum war ganz unspektakulär und für das Bewusstsein des Erwachsenen wahrscheinlich kein Grund zur Sorge.
Mir träumte, ich stehe mit meinen Eltern, der Schwester und viel Gepäck auf einem Bahnsteig und der Zug fährt ein. Das Gepäck wird eingeladen, alle steigen ein, der Zug fährt ab und ich allein habe es nicht geschafft, mit einzusteigen. Ganz allein stehe ich auf dem Bahnhof. Für mein kindliches Bewusstsein, sowohl dasjenige im Traum wie auch mein Tagesbewusstsein, gab es keine Möglichkeit, mit einem anderen Zug hinterherzufahren, noch gab es für diejenigen, welche mit dem Zug davon gefahren waren, die Möglichkeit der Rückkehr. Mein Zurückbleiben auf dem Bahnhof war etwas Endgültiges, denn kein Wissen und logisches Kombinieren, stand mir ja in diesem Alter zur Verfügung.
Als ich im Gegensatz zu dem jahrelang mich verfolgenden Traum einmal mit meinem Großvater in eine übervolle Straßenbahn stieg, der Großvater es geschafft hatte, mich hineinzubugsieren, selbst aber zu langsam war, und ihm die Türen vor der Nase zugingen und die Straßenbahn losfuhr, schaffte ich es, völlig über meinen überschüchternen Schatten zu springen und die Straßenbahn mit meinem mörderischen Geschrei zum Anhalten zu zwingen. Sie hielt wirklich an, und das war der Lohn und der Triumph der Angst und ich wurde dafür hoch gelobt.