Die Piloten streiken für Schmerzensgeld, weil sie nicht Wirtschaftsingenieure werden durften – Die absurden Argumente zeigen den Tiefpunkt der sozialen Debatte – Ohne neue Ideen nur immer weiter soziales Chaos


 

von Ingo Hagel

 

 

Der Spiegel fragte Jörg Handwerg, Flugkapitän bei der Lufthansa und Sprecher der Vereinigung Cockpit:

Piloten bei der Lufthansa verdienen mit Zulagen und Spesen zwischen 78.000 und 260.000 Euro pro Jahr. Dennoch werden Ihre Mitglieder nun wahrscheinlich Streiks beschließen, weil sie zehn Prozent mehr Gehalt fordern und sich gegen eine Umstellung der Altersversorgung wehren. Dafür muss man als deutscher Normalverdiener kein Verständnis haben, oder?

Aber die Argumente, die hier von Jörg Handwerg, Flugkapitän bei der Lufthansa und Sprecher der Vereinigung Cockpit, für eine Gehaltserhöhung der Piloten vorgebracht werden, sind mehr als haarsträubend:

Handwerg: Mag sein, aber das gibt es nicht umsonst. Wir sind alle relativ gut ausgebildet und intelligente Menschen. Ich selbst hatte schon einen Studienplatz als Wirtschaftsingenieur, in dem Beruf hätte ich bei guter Leistung schneller aufsteigen und mehr verdienen können. Und wir sind teilweise verantwortlich für mehr als 500 Menschenleben und Flugzeuge, die zwischen 40 und 250 Millionen Euro wert sind.

Würden die Argumente von Herrn Handwerg zutreffen, dann müssten die Mitarbeiter bei der Flugsicherung, die für zigtausende von Menschenleben jeden Tag verantwortlich sind, eigentlich noch viel mehr Geld verdienen als die Piloten. Und was ist mit den Mechanikern, die die Triebwerke warten? Hängen von diesen nicht ebenfalls hunderte und tausende von Menschenleben ab? Dazu kommen die wachen und konzentrierten Mitarbeiter der Gepäckkontrolle: Wenn sie nur einen Moment unaufmerksam sind, dann flutscht ihnen die Bombe im Koffer oder irgendein mitgeführtes Teppichmesser unbemerkt durch den Monitor und in Amerika stürzen wieder die Hochhäuser ein.

Man kann Handwergs Argumentation aber noch weiter auf die Spitze treiben, indem man sagt: Ein Mitarbeiter in einem Stellwerk der Bahn ist jeden Tag für tausende von Menschenleben in den vorbeifahrenden Zügen verantwortlich, und er könnte daher nun ebenso wie die Piloten mit enormen Gehaltsforderungen auftreten. Und was ist mit der Krankenschwester, die beim Verabreichen einer Bluttransfusion sehr gut unterscheiden muss zwischen Blutgruppe A oder B? Ist sie denn in ihrer verantwortungsvollen Tag- und Nachtarbeit nicht

verantwortlich für mehr als 500 Menschenleben,

wie die Piloten das nur von sich glauben?

Wie weit kann man mit Gehaltsforderungen gehen, nur weil eine elitäre Gruppe meint, sie seien alle

relativ gut ausgebildet und intelligente Menschen?

 

Schmerzensgeld, weil man Pilot werden musste?

Dazu ist das Argument von Herrn Handwerg, dass er ja schon einmal einen Studienplatz als Wirtschaftsingenieur gehabt hatte und in diesem Beruf bei guter Leistung sehr viel höhere Gehälter hätte erwarten können als in seinem Beruf als Pilot, mehr als schwach. Hat ihn denn irgend jemand gezwungen, auf einen geliebten Beruf als Wirtschaftsingenieur zu verzichten, so dass er für dieses Opfer nun Entschädigungen geltend machen kann in Form von Gehaltsforderungen? Das war doch seine eigene freie Entscheidung, und vielleicht hat er deutlich gespürt, dass er ein schlechter Wirtschaftsingenieur aber dafür ein besserer Pilot werden würde. Vielleicht macht ihm auch ein Beruf als Pilot mehr Freude und er findet eine größere Erfüllung darin als in einer Tätigkeit als Wirtschaftsingenieur. Aber deshalb nun mit Gehaltsforderungen zu kommen, diese Argumentationsweise ist abstrus.

Ich vertrete keinen Sozialismus, der glaubt, alle Menschen seien gleich und die Gehälter müssten es auch sein. Ich anerkenne, dass Menschen mit besonderen Qualifikationen mehr verdienen können als andere. Aber die Frage ist, wie die Entscheidung darüber zustande kommt.

Das grundsätzliche Problem der Argumentationsweise der Piloten – und anderer Berufsgruppen – liegt darinnen, dass ein Mensch für seine Tätigkeit nicht nach seinem Menschsein beurteilt und bezahlt wird sondern nach dem Marktwert seiner Intelligenz und nach dem Muster: Hast Du weniger Intelligenz und dafür mehr Muskeln, bist Du also nur körperlicher Arbeiter, kannst also mit Deinen Fähigkeiten nur den Frachtraum eines Flugzeugs mit Koffern vollstapeln oder das Flugzeug nach Gebrauch reinigen, dann hast Du leider Pech gehabt. Diese Argumentationsweise – besonders in Tarifverhandlungen – ist eines Menschen unwürdig. Diese Denkweise ist allerdings im Bürgertum, das sich auf seine Intelligenz viel einbildet, sehr verbreitet. Diese Intelligenz hat allerdings – neben einer hoch entwickelten Technik – nicht mehr geleistet, als dieses Gesellschaftssystem an den Rand des Kollapses zu bringen.

Diskussion um Gehälter bewegt sich auf einem völlig falschen Boden

Herausgekommen ist dabei – historisch und bis heute, das belegt das Interview mit Herrn Handwerg – nichts anderes als das, dass der körperlich Arbeitende von den geistig Arbeitenden übervorteilt, betrogen und ausgenutzt wurde und wird. Rudolf Steiner nannte dieses Vorgehen einen Missbrauch der geistigen Fähigkeiten:

….. dass wir nicht bemerken, wie wir in der Lebenslüge leben, wie dem Arbeiter sein Teil abgenommen wird. Aber worauf beruht denn das Abnehmen? Nicht auf der Wirtschaftsordnung, sondern darauf, dass eigentlich durch die gesellschaftliche Ordnung selber die Möglichkeit geboten ist, dass die individuellen Fähigkeiten des Unternehmers (aber das gilt ja nicht nur für diesen, sondern auch für andere geistige Arbeiter (zum Beispiel die intelligenten Piloten), die an der Produktion eines Produktes beteiligt sind; Anmerkung IH) nicht in der richtigen Weise teilen mit dem Arbeiter. Bei Waren muss man teilen, denn sie werden gemeinsam produziert von dem geistigen und körperlichen Arbeiter. Was heißt es denn aber, durch seine individuellen Fähigkeiten jemandem anderen etwas abnehmen, was man ihm nicht abnehmen soll? Das heißt, ihn betrügen, ihn übervorteilen! Diesen Verhältnissen muss man nur gesund und unbefangen ins Auge schauen, dann kommt man darauf: nicht in dem Kapitalismus liegt es, sondern in dem Missbrauch der geistigen Fähigkeiten. 

Was angestrebt werden muss

Die von der Pilotenvereinigung vorgebrachten Argumente zeigen – wie so vieles heute auf diesem Gebiet – dass sich die Diskussion um Gehälter heute auf einem völlig falschen Boden bewegt. Angestrebt werden muss allerdings folgendes:

Ihr Piloten, Stewardessen und alle übrigen Arbeiter inklusive der „Manager“, die, wie Jörg Handwerk andeutete, zehn bis zwanzig Mal so viel verdienen als ein Pilot, kommt alle gemeinsam zusammen und sagt Euch offen ins Gesicht, wie Ihr den Erlös dieser gemeinsamen hergestellten Ware (zum Beispiel Flugtickets) unter Euch verteilen wollt. Sagt, was Ihr braucht als Lebensgrundlage und bedenkt, dass es andere gibt, die für Hungerlöhne arbeiten müssen. Das wird mit Sicherheit nicht dazu führen, dass nun in einer Firma und in einem Unternehmen jeder das gleiche verdienen wird. Aber es wird dazu führen, dass ein Mensch dem anderen Menschen gegenübertreten wird und ihm seine Forderungen offen mitteilt. Kein Vorstand einer Firma wird sich mehr selbst seine unverschämt hohen Gehälter zuteilen können, keine privilegierte Mitarbeitergruppe aufgrund ihrer „Intelligenz“ Forderungen durchsetzen können. Denn diese Gemeinschaft von gleichberechtigten Menschen, die dort zusammenkommt, wird es sein, die einen Bestimmungsschlüssel (Teilungsvertrag) über die Verteilung des gemeinsam erwirtschafteten Erlöses erarbeiten wird – nicht eine kleine Clique von „Arbeitgebern“, denen der wirtschaftlich unterlegene Arbeiter wie ein Sklave seine Arbeitskraft als eine Ware verkaufen muss. Dazu müssen die Tarifverhandlungen aus dem Bereich des Wirtschaftsleben herausgelöst werden. Denn sie haben mit diesem nichts zu tun. Arbeit ist ein Menschenrecht, und darüber muss auf dem Boden des Rechtslebens verhandelt werden, nicht auf dem des Wirtschaftslebens.

Das wird eine völlig andere Art der Atmosphäre in solchen Verhandlungen geben, als es heute der Fall ist, wo die Menschen ihre Arbeitskraft verkaufen müssen. Heute sind es einzelne Interessengruppen, die gegenüber dem „Arbeitgeber“ Ihre Interessen und Forderungen kundtun und eventuell durch Streiks untermauern – solange sie keine völlig entrechteten Arbeitsklaven unserer „modernen“ Gesellschaft sind, das heißt Leiharbeiter, Werkvertragler und Niedriglöhner etc., durch deren Erpressung die Industrie subventioniert wird

Aber darum geht es überhaupt nicht in der Zukunft, wenn die soziale Frage, die immer drängender werden wird, auf fruchtbare Bahnen kommen soll. Sondern es geht darum, dass Arbeit keine Ware mehr sein darf.

 

 

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