Rudolf Steiner: Dieser Sozialismus ist nicht begründet in der Entwickelung der Menschheit. Er kann nichts anderes, als vielleicht lange Zeit die Welt erschüttern, aber niemals kann er sie erobern.

 

Aus Nr. 185 der Rudolf Steiner Gesamtausgabe, S. 141:

 

Und ich habe Jahre hindurch den Unterricht auf den verschiedensten Gebieten geleitet in der Berliner Arbeiterbildungsschule, von da ausgehend dann in allen möglichen Vereinigungen der sozialistischen Arbeiterschaft Vorträge gehalten, da ich nach und nach aufgefordert worden bin, nicht nur diese Vorträge zu halten, sondern mit den Leuten auch Redeübungen zu treiben. Die Leute waren ja nicht nur darauf aus, dasjenige klar kennenzulernen, was ich Ihnen in diesen Tagen auseinandergesetzt habe, sondern sie waren immer darauf aus, wirklich auch reden zu können, das vertreten zu können, was sie als das Richtige glaubten vertreten zu müssen. Da gab es selbstverständlich über alle möglichen Gebiete die eingehendsten Diskussionen in allen möglichen Kreisen. Es war wiederum ein anderer Gesichtspunkt, die Weltentwickelung der neueren Zeit kennenzulernen. 

Nun, gerade innerhalb dieser Kreise konnte man interessant finden, wie eines nicht hineinspielen durfte, und das ist dasjenige, was für die heutige Zeit und ihr richtiges Verständnis von so unendlicher Wichtigkeit ist. Ja, ich konnte von allem möglichen sprechen – denn wenn man sachlich spricht, kann man heute, ganz abgesehen von Standpunkten der proletarischen Bevölkerung, von allem möglichen sprechen -, just nicht von Freiheit. Von Freiheit zu sprechen, das erschien als das außerordentlich Gefährliche. Ich hatte nur einen einzigen Anhänger, der immer aufstand, wenn ich meine Freiheitstiraden, wie sie selbstverständlich die anderen nannten, gehalten hatte und der hierbei an meiner Seite stand. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist. Es war der Pole Siegfried Nacht, der immer an meine Seite getreten ist, wenn es sich darum handelte, gerade die Freiheit gegenüber dem Sozialismus mit seinem absolut unfreien Programm zu betrachten. 

Wer die heutige Zeit betrachtet mit alledem, was heraufzieht, der wird finden, dass in dem, was heraufzieht, gerade dasjenige fehlt, was die «Philosophie der Freiheit» will. Die «Philosophie der Freiheit» begründet in einer freien, geistigen Denkerarbeit eine zwar mit der Naturwissenschaft völlig im Einklang stehende, aber über die Naturwissenschaft eben frei hinausgehende Wissenschaft von der Freiheit. Dieser Teil, der macht es möglich, dass wirklich freie Geister sich innerhalb der heutigen sozialen Ordnung ausbilden könnten. Denn würde die Freiheit bloß als Wirklichkeit der Freiheit ergriffen ohne die solide Grundlage der Wissenschaft von der Freiheit, so würde im Zeitalter, in dem sich das Böse so einnistet, wie ich es gestern charakterisiert habe, die Freiheit notwendigerweise nicht führen müssen zu freien Geistern, sondern zu zuchtlosen Geistern. Einzig und allem in der strengen inneren Zucht, welche in dem nicht am Gängelbande der Sinne lebenden Denken gefunden werden kann, in wirklich denkerischer Wissenschaft ist dasjenige zu finden, was für das gegenwärtige Zeitalter, das die Freiheit realisieren muss, eben notwendig ist.

Aber was dem, was sich als radikale Partei herauferhebt, was schon seine Impulse geltend machen wird auch gegen die ihre Zeit gründlich missverstehenden Nationalisten aller Schattierungen, was diesem Sozialismus fehlt, das ist die Möglichkeit, zu einer Wissenschaft der Freiheit zu kommen. Denn wenn es eine für die Gegenwart wichtige Wahrheit gibt, so ist es die: Von dem Vorurteil des alten Adels, des alten Bürgertums, der alten militaristischen Ordnungen hat sich der Sozialismus freigemacht. Dagegen ist er um so mehr verfallen dem Glauben an die unfehlbare materialistische Wissenschaft, an den Positivismus, wie er heute gelehrt wird. Dieser Positivismus, von dem ich Ihnen zeigen konnte, dass er nichts anderes ist als die Fortsetzung des Beschlusses vom achten ökumenischen Konzil von Konstantinopel, 869, dieser Positivismus ist dasjenige, welches wie ein unfehlbarer abstrakter Papst gerade die radikalsten Parteien bis zum Bolschewismus hin mit eisernen Fangklammern umgibt und sie hindert, irgendwie ins Reich der Freiheit hereinzukommen.

Das ist auch der Grund, warum, auch wenn er noch so sehr sich geltend machen wird, dieser Sozialismus, der nicht begründet ist in der Entwickelung der Menschheit, nichts anderes kann, als vielleicht lange Zeit die Welt erschüttern, aber niemals kann er sie erobern. Dies ist auch der Grund, warum er nicht selber die Schuld hat an dem, was er schon verschuldet hat, sondern warum die anderen die Schuld haben, jene, die ihn nicht zu einem Druckproblem, wie ich gezeigt habe, sondern zu einem Saugproblem werden ließen, werden lassen wollen.  

Gerade diese Unmöglichkeit, aus der Umklammerung der positivistischen Wissenschaft, der materialistischen Wissenschaft loszukommen, das ist das Charakteristische der modernen Arbeiterbewegung von dem Standpunkte aus, der seinen Gesichtspunkt bei der Entwickelung der Menschheit sucht und nicht bei den, seien es veralteten Ideen des Bürgertums, oder seien es oftmals neue Ideen genannte sozialen Ideen, oder dem Wilsonismus und so weiter. 

Nun, ich habe öfter erwähnt, dass es ja sehr gut ginge, in die Arbeiterschaft geistiges Leben hineinzubringen. Aber die Führerschaft der Arbeiterschaft will das nicht haben, was nicht auf marxistischem Boden gewachsen ist. Und so wurde ich ja auch da nach und nach herauslanciert. Ich lancierte Geist, versuchte es, es gelang auch bis zu einem gewissen Grade, aber mich lancierte man nach und nach heraus. Als ich das einmal geltend machte in einer Versammlung, wo alle meine Schüler waren, die nach Hunderten zählten, und nur vier Leute waren, die von der Parteileitung gegen mich hineingeschickt waren, aber die doch bewirkten, dass ich natürlich nicht bleiben konnte – ich höre noch lebhaft, wie ich sagte: Nun, wenn man schon will, dass der Sozialismus irgendwie etwas zu tun habe mit der Entwickelung nach der Zukunft hin, so muss er doch die Freiheit des Lehrens, die freien Ideen gelten lassen -, da rief einer der abgeschickten Trabanten der Parteileitung: Es kann sich innerhalb unserer Partei und deren Schulen nicht handeln um Freiheit, sondern um einen vernünftigen Zwang. – Solche Dinge charakterisieren, ich möchte sagen, tief symptomatisch dasjenige, was pulst und west in unserer Zeit. 

Man muss die Zeit auch an ihren bedeutungsvollen Symptomen erfassen. Man soll ja nicht glauben, dass das moderne Proletariat nicht nach geistiger Nahrung drängt. Es drängt furchtbar und intensiv darnach. Aber die Nahrung, die geboten wird, sie ist zum Teil diejenige, auf die ohnedies das moderne Proletariat schwört, nämlich die positivistische Wissenschaft, die materialistische Wissenschaft, oder zum Teil ist es unverdauliches Zeug, das den Leuten eben Steine statt Brot gibt. 

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