von Stella Hagel
Sophia verfügt über ausgezeichnete soziale Fähigkeiten. Jetzt, da sie erwachsen ist, wird dies immer deutlicher. Sie kann wirklich überall zupacken und außerordentlich tüchtig sein. Kinder und alte Menschen kann sie gleicherweise verantwortungsvoll und selbstständig betreuen. Mit acht Jahren allerdings verärgert sie immer wieder die Familie, besonders ihre um etliche Jahre ältere, auch sehr tüchtige Halbschwester Damaris, mit wenig sozialem Reden und Gehabe. Ich versuche, eine Woche lang in der Familie die Mutter zu vertreten und Damaris ist mir eine große Hilfe dabei. Das Geschrei und Gezeter, welches sie mit Sophia veranstaltet, raubt mir allerdings fast den letzten Nerv, auch wenn ich ihren Ärger über diese manches Mal nachvollziehen kann. Auf einem Spaziergang mit den Kindern lerne ich Sophia in ihrem Wesen etwas besser verstehen. Das Gerangel, welches öfter unter den Schwestern stattfindet, bleibt auch diesmal nicht aus. Um sie abzulenken, will ich ihnen eine kleine Freude machen. Sie dürfen sich an einem Kiosk jeder eine Tüte mit Bonbons kaufen. Lang, lang wird hin und her überlegt, welches die besten Bonbons sind. Alexandra hat am wenigsten Zugang zu ihrem kleinen Ego. Deshalb kann sie sich am schwersten entscheiden und ist mit der Wahl ihrer Bonbons überfordert. Sophia wählt mit weitaus größerem Geschick. In ihrer Tüte hat sie Bonbons von unterschiedlicher Farbe, Form, Größe und Geschmack. In Alexlis Tüte ist nur eine Sorte, die nicht so lecker schmeckt. Nun jammert sie und möchte bei Sophia kosten, dieser aber gerne auch von ihren abgeben. Sophia: „Nai, nai, dini han i nit so gärn“ und hält ihr Beutelchen unerbittlich unter Verschluss. Das finden Alexandra und das Clärchen „nit so nätt“ und knötern kritisch. Vorsichtig mische ich mich ein. „Du Söffele, Du hast doch da so viele Gutzlis in Deiner Tüte, ein ganz klein wenig könntest Du doch abgeben oder tauschen.“ Bei meiner Bitte wird sie weicher, meint aber: „Jo weisch, i will eana ja öbbis geh, i wais aber no nit, wi si alli schmeket, es sind ebbe so vili verschideni (Ich will ihnen ja was abgeben, aber ich weiß noch nicht wie sie alle schmecken, weil es so viele verschiedene sind).“ Ich: „Aber Sophia, musst Du denn alle erst selbst probiert haben, bevor Du welche abgeben kannst?“ Sophia: „Jo! Natürli! Süscht wais i do gar nit, welle vo dene i nit so gär ha, und i cha eane ja nit die gä wo i am liabschte ha! (Ich weiß sonst nicht welche ich nicht so gerne esse und ich kann ihnen ja nicht die geben, die ich am liebsten mag).“ Ich versuche noch einen Vorstoß: „Ja Söffele, da hast Du natürlich ganz recht, es sind ja auch wirklich Deine Gutzlis, und mit denen darfst Du auch machen, was Du willst. Aber weißt Du, ganz manchmal, da kann man auch einem anderen mal was abgeben, was man selbst besonders gern mag. Das ist doch dann auch was sehr Schönes, was meinst Du?“ Sophia hört mir ernsthaft zu, und ich merke deutlich, das kann sie verstehen, und es leuchtet ihr auch ein. Es ist kein Sträuben und Festhalten mehr in ihr, nur ein letztes Aufbäumen: „Ja scho, aber denn müastet die anderen Mänschen au mängisch des Beschti abgäh, wo sie hend. (Ja, Du hast recht, aber dann müssten die anderen auch manchmal das Beste, was sie haben, abgeben).“ Das kann ich natürlich vollauf bestätigen, und ihr Beutelchen öffnet sich nun den Schwestern ganz selbstverständlich.
Noch einige Male an diesem Nachmittag habe ich die Möglichkeit, Ähnliches an ihr zu erleben. Sie ist durchaus zugänglich für soziale Handlungsweisen, nur ist es ihre Eigenart, im Moment noch nicht selber darauf zu kommen. Voller Freude über das, was ich erlebt habe, schildere ich der großen Schwester Damaris meine Eindrücke und Überlegungen. Aufmerksam hört Damaris zu. Am nächsten Abend schon kann auch sie berichten: „Heute Nachmittag habe ich große Wäsche gemacht und hatte einen riesig vollen Wäschekorb hier stehen. Wie Sophia kam, bat ich sie mir beim Aufhängen zu helfen. Sophia sagte sofort: „Iach häng aber nur mini Sache und die Sache von mini Puppen auf (Ich hänge nur meine eigenen Sachen und die von meinen Puppen auf.) Öppis anders mach i nüt (Was anderes mach ich nicht)!“ Damaris darauf, diesmal ohne zu schimpfen: „Jo Sophia, iach hab aber die Sache vo der ganzen Familie gwäsche und nit nur mini eigeni.“ Darauf, so berichtet Damaris erstaunt, hätte Sophia ohne Kommentar tüchtig mitgeholfen und die Wäsche wäre im Nu aufgehängt gewesen.