von Stella Hagel
Wir waren zu Hause drei Kinder. Eine Seite eines jeden von uns tat sich bereits auf dem Wickeltisch kund. An meine eigene Wickeltischzeit kann ich mich natürlich nicht erinnern, wohl aber an die meiner Geschwister, da ich die Älteste bin. Man erzählte mir, ich hätte auf dem Wickeltisch immer sehr lebendig Anteil an meinem Gegenüber genommen. Mit großen Augen und Staunen, vielfältigem Mienenspiel, manchmal auch innerer Aufregung reagierte ich, wenn man sich mit mir abgab. Die Lebendigkeit beschränkte sich aber fast ganz aufs Gesicht, die Händchen fassten nur ganz zart und tastend wenige gut bekannte Dinge an. In dieser Weise habe ich mich noch lange vorsichtig an das Leben herangetastet.
Anders war es bei meiner zweieinhalb Jahre jüngeren Schwester. Wenn sie auf dem Wickeltisch lag, höre ich noch deutlich meine Mutter ganz fasziniert sagen: „Schaut mal, sie angelt.“ Das Baby reckte und streckte sich und angelte nach allem, was es zu fassen kriegen konnte, zog es zu sich heran. Puderdose, Creme, Babybürstchen, Windeln, alles machte sie zu ihrem Eigentum. Eine Weile hat sie als kleines Kind auch alles geklaut, was nicht angebunden war, und unter bitteren Tränen musste hin und wieder ihr Schränkchen mit all ihren Schätzen ausgeräumt werden. Heute ist sie eine Künstlerin geworden, die auch im Alltag ihr Leben gut im Griff hat.
Unser Brüderchen hat sich auch immer, und zwar blitzeschnell, die Wickeltischutensilien geschnappt. Aber nicht, um sie bei sich zu behalten wie das Schwesterchen, sondern um sie in hohem Bogen, schwupp, weit von sich zu werfen. Immer wieder war er schneller als seine Mutter und dann erschallte ihr verzweifelter Ruf: „Hilfe, kommt mal her und helft mir, er hat schon wieder die Puderdose runtergeworfen.“ Oder sie versuchte, wenn das Wurfgeschoss nicht all zu weit geflogen war, das Baby mit einer Hand zu halten und in ziemlichen Verrenkungen Windel, Creme oder Puderdose wieder zu ergattern. Sie musste auch damit rechnen, dass das Baby sich, sobald es sich drehen konnte, sehr behende auf den Abgrund zu bewegen würde. Als Jugendlicher wurde aus ihm ein großer Sportler. Fußball, Handball, Volleyball, alles Möglichkeiten etwas weit von sich zu schleudern und sich behende zu gebärden. Auch im Zorn ließ er so manches durch die Luft fliegen, was öfter leider durch Wände oder Türen im freien Flug gehindert wurde und zerschellen musste, wenn es zerbrechlich war. Doch das hat er sich heute natürlich längst abgewöhnt. Gottseidank!