von Ingo Hagel
Gabriel will wieder Arbeiterführer sein. Da sträuben sich mir die Nackenhaare.
Da gab es in Polen einen Mann, von dem zunächst niemand wusste, wie sein Name korrekt auszusprechen ist. Walessa? Walenza?Wawoosa? Aber dafür war sonnenklar: Der Mann von der Leninwerft ist ein Arbeiterführer. Bei Gabriel ist es umgekehrt. Niemand käme auf die Idee, diesen Namen als Chabriell, Gehbriel, oder Quabrieè auszusprechen, aber mit einem Arbeiterführer ist er bisher wohl noch kaum verwechselt worden.
Selbstverständlich können sich einem bei Sigmar Gabriel – wie bei den allermeisten Politikern heute – die Nackenhaare sträuben, ob als Arbeiterführer oder anderer Führer. Aber das ist auch gar nicht das Wichtige heute, dass die Arbeiter einen neuen – und diesmal vielleicht „guten“ – Führer bekommen. Die Arbeiter (beziehungsweise die 90 Prozent der Bevölkerung, die ihren Lebensunterhalt nicht aus Zinserträgen auf ihr Vermögen erhalten, sondern ihre Arbeitskraft verkaufen müssen) müssten eigentlich längst gelernt haben, sich selber zu führen.
Bemerkungen wie die obige können einen mit Blick auf die sozialen Zusammenhänge, die einem täglich mit jedem Blick ins Zeitgeschehen vor die Füße geworfen werden, sehr nachdenklich stimmen, wenn man sich erinnert an das, was Rudolf Steiner vor nun fast 100 Jahren aussprach, dass nämlich
die proletarische Bewegung erst etwas werden kann, wenn sie einen eigenen Impuls bekommt, wenn sie nicht das nachmacht, was die früheren Klassen gemacht haben.
Anmerkung: „Die proletarische Bewegung“ ist heute im Bürgertum aufgegangen, das habe ich hier und hier beschrieben. Siehe dazu auch hier auf Umkreis-Online die Rubrik zur nachrückenden Schicht.
Damit „die proletarische Bewegung“ einen wirklichen eigenen Impuls bekommt, dafür hatte Rudolf Steiner sein Buch „Die Kernpunkte der Sozialen Frage“ geschrieben. Mehr zu diesem Impuls der Sozialen Dreigliederung zum Beispiel hier und hier und hier auf Umkreis-Online.
Alles andere, was heute sogenannte Arbeiterführer, heißen sie nun Lech Walesa oder Sigmar Gabriel, propagieren, sind ja keine eigenen Impulse, sondern nur ein Pochen auf ein bisschen mehr Rechte oder etwas höhere Löhne (gerade eben haben das zum Beispiel die Arbeiter- und Gewerkschaftsführer der IG-Metall mal wieder „erfolgreich“ vorgeführt).
Heute sagen die allermeisten Menschen, mit denen ich über die Soziale Dreigliederung spreche, das sei doch alles viel zu schwer und nicht zu verstehen
Ganz abgesehen davon, dass sie mit der Forderung, den alten Einheitsstaat in ein dreigliedriges soziales Gebilde aufzulösen (Wirtschaftsleben, Politik beziehungsweise Rechtsleben, freies Geistesleben), überhaupt nichts anfangen können. Damals zu Zeiten Rudolf Steiners (1861 – 1925) hatte die Arbeiterschaft – die damals noch sehr viel härter und länger arbeiten musste als die heute – noch die Kraft und Energie, sich an den schwierigen Texten von Karl Marx zu schulen. Ich bin überhaupt kein Befürworter von Karl Marx und seinen sozialistischen Theorien. Aber Marx war ein Schüler Hegels, und wer jemals sich mit seinen Texten auseinandergesetzt hat, weiß, dass diese ein gehöriges Maß an Denkkraft erfordern. Damals haben die Arbeiter das aufgebracht. Warum können Sie heute nicht die Aktivität aufbringen, sich mit dem nicht einfachen aber sehr lebendigen Inhalt der „Kernpunkte der sozialen Frage“ zu beschäftigen? Rudolf Steiner war überhaupt nicht der Ansicht, dass sein Buch außerhalb der geistigen Möglichkeiten der Arbeiterschaft lag:
Rudolf Steiner: Ich habe natürlich gedacht, als ich diese «Kernpunkte» geschrieben habe, ich werde so schreiben, dass die Leute darüber nachdenken. Nun, sie haben sich ja einen Deut darum gekümmert! Sie haben gar nicht nachgedacht, und die „Kernpunkte“ sind gar nicht verstanden worden.
Es ist heute angesichts der geistigen Trägheit der Menschen schmerzlich, diese Kluft zu sehen zwischen diesem Anspruch, den Rudolf Steiner damals allen Ernstes an die Bewegung der Arbeiter stellte: Sich zu beschäftigen mit diesem anspruchsvollen Inhalt der „Kernpunkte der Sozialen Frage“ – und der traurigen Realität heute, indem sich die Arbeiter beziehungsweise angestellten Lohnabhängigen heute wie damals natürlich keinen Deut darum kümmern. Aber heute wie damals stehen eben für die Arbeiterschaft zum Beispiel diese Punkte an:
Arbeit darf keine Ware mehr sein; in einem Teilungsvertrag muss der in einer Firma gemeinschaftlich erwirtschaftete Erlös so verteilt werden, dass der wirtschaftlich Schwache sich nicht bei der Teilung übers Ohr gehauen findet; weitere Themen und Artikel siehe unten in den „Related Posts“.
Solange diese Dinge von den in den heutigen modernen Berufen arbeitenden Angestellten nicht aufgegriffen werden, werden die Besitzenden der Industriekartelle in Zusammenarbeit mit den diversen „Arbeiterführern“ der Politik mit dieser Arbeiterschaft weiterhin Schlitten fahren.
Und niemals wird ein fruchtbarer eigener Impuls für diese Arbeiterschaft entstehen, der nicht aus dieser Arbeiterschaft selber heraus erarbeitet und vertreten wird. Denn – wie ich es oft beschrieben habe – die Führungsklassen dieser Gesellschaft sind dekadent (siehe dazu nicht nur die grundsätzlichen Rubriken hier und hier sondern vielleicht auch ein paar Grundsatzartikel hier und hier und hier). Diese dekadente Führungsklasse wird immer neue Wege finden, um die Arbeiterschaft an der Nase herumzuführen, sei es durch Leiharbeit und Werkverträge, sei es durch Mindestlöhne, die wieder aufgeweicht werden, und die sowieso nicht zeitgemäß sind, da Arbeitskraft nicht mehr verkauft werden darf, sei es, dass man sich billige und willige Arbeitskräfte („Flüchtlinge“) aus dem Ausland hereinholt, gegen die dann die deutsche Arbeiterschaft konkurrieren muss und so weiter und sofort. Siehe zum Beispiel hier:
Billiglohnarbeit am Frankfurter Flughafen
Die Firma handling counts, eine hundertprozentige Lufthansa-Cargo-Tochter, sei „eine reine Leiharbeits-Firma mit der Lizenz zur Arbeitnehmerüberlassung“, erklärt Sunar. Der einzige Auftraggeber sei Lufthansa Cargo. „Und der einzige Sinn und Zweck besteht darin, dass sie weniger Geld für die Löhne ausgeben.“
Die Keime eines neuen sozialen Verständnisses liegen daher nicht innerhalb dieser dekadenten Führungsklasse
sondern innerhalb der nachrückenden Schicht (Proletariat beziehungsweise mehrheitlich heutige Arbeiter- und Angestelltenschaft). Um diese Keime zum Wachsen und Blühen zu bringen, muss jedoch diese heutige Arbeiterschaft beziehungsweise diese nachrückende Schicht das dekadente Denken der herrschenden Führungsklasse, das sie angenommen haben, überwinden. Gerade dieses Buch Rudolf Steiners „Die Kernpunkte der sozialen Frage“ ist ein Weg zu dieser Überwindung.
Rudolf Steiner wies auch darauf hin, dass es keine andere Lösung für diese soziale Frage gibt, als zu warten, bis sich dieses neue soziale Verständnis innerhalb des Proletariats beziehungsweise der heutigen Arbeiterschaft- und Angestelltenschaft an die Oberfläche gearbeitet hat.
Rudolf Steiner: …. ich habe den festen Glauben, den ich mir durch ein langes Leben unter dem Proletariat erworben habe, dass dasjenige, was ich (zur Sozialen Dreigliederung; Anmerkung IH) gesagt habe, zunächst nicht von den anderen Klassen, sondern gerade vom Proletariat verstanden werden wird. Und es muss leider gewartet werden, bis es vom Proletariat verstanden werden wird. Ich glaube aber, da wird es verstanden werden können.
Anmerkung: Wobei – wie gesagt – unter „Proletariat“ das verstanden werden muss, was sich im Laufe der letzten Jahrzehnte zu einem neuen großen Teil der deutschen Bevölkerung verändert hat, was ich hier und hier beschrieben habe.
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