Schottische Taufe 

 

von Stella Hagel

 

Kurz vor der Geburt des ersten Kindes verschlägt es meine Schwester nach Edinburgh in Schottland. Ich halte mich ebenfalls für einige Monate dort auf, und wir leben uns in das schöne, interessante Land gemeinsam ein. Auch eine Taufe in der Christengemeinschaft wollen wir erleben, bevor der eben geborene Sohn Kieran selbst getauft wird. Bisher kannten meine Schwester und ich nur sehr feierliche Taufen (vorwiegend in der Schweiz). Wir erleben hier aber einen kleinen Kulturschock. Von Stille und Feierlichkeit ist dort keine Spur. Eher ein grandioses Volksfest spielt sich vor unseren erstaunten Augen und Ohren ab. Statt einer kleinen Taufgemeinschaft, bei welcher nur einige wenige Kinder anwesend sind, ist hier der Saal brechend voll. Es sind einfach alle gekommen, um begeistert das neue Wesen in ihre Gemeinschaft aufzunehmen. Viele, viele Kinder sind da. Es lacht und quiekt und rangelt und schnieft, die Stühle knarren, die Kinder klettern zum Teil darauf herum. Die Musik vor der Taufe, die wir zart im Hintergrund als innige, einfühlsame Leiermusik gewöhnt sind, die auffordert zum Stillwerden und Lauschen, ist hier eine fröhliche, kräftige Quartettmusik. Die Musiker, platziert ganz in der Nähe des Altars, haben durch ihre Lautstärke auch mehr Chance, von den Anwesenden etwas gehört zu werden. Der Vater des Täuflings sitzt auch nicht dort, wo wir immer die Väter gewöhnt sind, nämlich in der ersten Reihe bei seiner Familie, nein, er spielt die erste Geige im Quartett. Das kleine Täuflingsmädchen, schon über ein halbes Jahr alt, kräftig, fröhlich, hängt unruhig im Arm seiner Mutter und fährt mit dem ganzen Körperchen und Köpfchen rauf und runter, immer mit dem Geigenbogen ihres Vaters mit, der neben ihr fiedelt. Rauf, runter, rauf, runter. Wir sind schockiert! Nach der Musik gibt es nichts mehr, was das Baby vorne interessieren könnte. Die Taufe ist sehr schwer an ihm zu vollziehen, da es nur bei Laune zu halten ist, wenn es ins Publikum schauen darf, wo es lebhaft Kontakt mit seinen etwas älteren kleinen Kollegen aufnimmt. Die Worte und Handlungen des Priesters sind nur mit Mühe und am Rande wahrzunehmen. Der kleine Sohn des Priesters hat sein großes Autobilderbuch mit schönen Oldtimern mitgebracht, und nachdem er fleißig und ziemlich geräuschvoll eine Weile hin und her geblättert hat, will er seine Erlebnisse unbedingt mit der Mutter teilen. Penetrant ruft er gegen die Unruhe im Saal und die heiligen Worte seines Priester-Vaters an: „Look mummy! Mummy! Mummy look! This car!” 

Wie betäubt verlassen wir nach der Taufe den Saal. „Ich will auf keinen Fall mein Kind so taufen lassen. Was mach’ ich bloß?!“ stöhnt die junge deutsche Mama ganz unglücklich. „Es ist ja schön, dass Kinder da sind, und dass es die Menschen hier so zueinander zieht, aber so eine unruhige Taufe möchte ich dann doch nicht für mein Kind.“ 

Nun, die Taufe von Kieran wurde ernst, feierlich und in großer Würde und Stille begangen. Es kamen viele Erwachsene, doch kein einziges Kind. Der Anlass dafür war der Ausbruch des Keuchhustens unter den Kindern und die Gefahr, dass Kieran sich anstecken könnte war so groß, dass die lebhafte Kinderschar teils zu unserer Erleichterung, teils aber wirklich zu unserem Bedauern, ausgeladen werden musste.