Schicksalsbewusstsein – Schwierige Koordination – Gespräch beim Frühstück

 

von Stella Hagel

 

Schicksalsbewusstsein 

Nach der Eurythmie in einem meiner Kindergärten habe ich einen zweiten zu besuchen, zu welchem ich mit dem Zug fahren muss. Die Kinder wissen das und wünschen mir jedes Mal eine gute Fahrt. Henrik, fünf Jahre alt, fügt immer noch fürsorglich hinzu: „Und kein Stau und kein Unfall!“ – Nachdem in der letzten Zeit viele schlimme Katastrophen und Unfälle in der Welt geschehen sind, lautet Henriks letzter guter Wunsch für mich seither: „Und dass nur geschieht, was geschehen muss!“ 

 

Schwierige Koordination 

Elmar und Helge, rotlockige Zwillinge und echte Originale, drücken mir bei der Begrüßung ganz fest die Hand, damit ich ihre große Kraft bewundern kann. Dabei pressen sie auch fest ihre Augen und ihre Münder zusammen. 

Eines Tages tönt ein kleiner Junge: „Augen auf!“ Elmar und Helge geben sich große Mühe, reißen ihre himmelblauen Augen weit auf, während sie meine Hand fest drücken, und weil das für sie ganz schwer ist, sperren sie auch ihre Münder weit auf dabei. Die anderen Kinder lachen. Es sieht auch sehr lustig aus. „Mund zu!“, tönt es nun von allen Seiten. Helge, der noch meine Hand fest drückt, versucht den Mund zu schließen. Prompt sind auch wieder die Augen zu. Wieder lachen die Kinder und amüsieren sich köstlich. Dann rufen sie ihm zu: „Augen auf, Mund zu!“ Helge kapituliert: „Das können wir nicht!“ 

 

Gespräch beim Frühstück 

Nach der Eurythmie laden mich die Kinder manchmal zum Frühstück ein. Während einer solchen Frühstücksrunde habe ich die Gelegenheit, ein lustiges, kleines Gespräch mit anzuhören. Es bezauberte mich, weil die Kinder mit einem Begriff umgingen, den sie nicht kannten und versuchten, ihn einzuordnen. Um diese Geschichte lebendiger wiederzugeben, möchte ich ein wenig die Kinder beschreiben. Denn was sie sagen, ist für ihre besondere Art sehr typisch. Die Kinder sind alle fünf Jahre alt. Hermann, etwas rundlich, sitzt neben mir, lässt sich’s ganz besonders gut schmecken. Ein halbes Jahr vorher kam er neu in den Kindergarten und weinte, weil ihm das selbst gebackene Brot ungenießbar erschien. Inzwischen liebt er es und hört gar nicht mehr auf zu futtern. Catalina, ein niedliches, winziges, aber energisches Mädchen mit einem süßen Stimmchen sitzt völlig selbstvergessen da. Sie ist so intensiv mit den Sachen auf ihrem Teller beschäftigt, dass sie ansonsten nichts zu sehen und zu hören scheint. Direkt gegenüber sitzt Anton. Seine dunklen Augen funkeln mich an. Er ist klug und hält mir schon die ganze Zeit über kleine Vorträge. Dabei fuchtelt er abwechselnd mit beiden Zeigefingerchen vor meiner Nase herum, Aufmerksamkeit heischend und mich belehrend. Neben ihm Ingolf, der mit beiden Händen und Füßen lebhaft erzählt, wie er in der Nacht von einer Riesenspinne geträumt hat, wie er geschrieen hat und der Vater die Spinne mit dem Besen zum Haus rausgejagt hat. Und das Komische, so endet seine dramatische Geschichte: „Es war eigentlich gar keine Spinne da.“ Daphne steht am Tisch, stopft sich etwas in den Mund, hört gleichzeitig den Kindern am einen und am anderen Ende des Tisches zu, antwortet und gibt ihre Kommentare mal nach dieser und mal nach jener Seite. Ich kann nicht fassen, dass Christopher noch ein Brot verlangt und taste auf seinem Bäuchlein, ob da überhaupt noch Platz ist. Christopher mit vollem Mund mampfend: „Ja, ja, da is’ schon noch Platz. Ich bin ja noch im Wachstum.“ Kurze Pause. Dann war das Wort Wachstum in Catalinas Versenkung gedrungen. Hell lacht sie auf: „Ha, ha, Wachstuch! Lustig!“ „Ja“, lacht Ingolf und wirft seine Ärmchen vor Belustigung hoch, „Wachstuch! Das ist wirklich lustig. Aber gibt’ das überhaupt?“ „Ja!“ Antons Fingerchen schießen in die Höhe: „Ja, das gibt’s, ich weiß bloß nicht genau wo.“ Daphne, mit halbem Ohr auf unserer Seite des Tisches zuhörend, bietet freundlich eine Gegend an: „Vielleicht in Afrika?“ „Ja“, schreit Catalina begeistert, „und wie ich ein kleines Baby war, da waren meine Eltern auch in Amerika und da habe ich sooo einen großen Walfisch gegessen.“ Sie breitet weit ihre Ärmchen aus. Und so wurde aus dem für die Kinder nicht verständlichen Wort „Wachstum“ ein „Wachstuch“, beheimatet in Afrika, und hernach ein „Walfisch“ aus Amerika.