Bericht eines Offiziers (!!) von der Antrittsvorlesung des Philosophen Friedrich Wilhelm Schlegel in Erlangen 1821.

 

Es war im Jahre 1821, da erlebte die kleine bayrische Provinzuniversität Erlangen, die damals noch ein viel versteckteres Dasein führte als heute, eine große Zeit. Schelling, in seiner amtlichen Stellung damals »Generalsekretär der Akademie der bildenden Künste« in München, begann einen Zyklus von Vorlesungen mit einem Vortrag über die Natur der Philosophie als Wissenschaft. Mit Spannung sah man seinem Kommen entgegen, begeistert nahm man ihn auf. Damals war’s, daß ein ehemaliger bayrischer Offizier, ein noch gänzlich unbekannter Graf Platen-Hallermünde, über den Gefeierten in sein Tagebuch die denkwürdigen Worte schrieb: 

»Dieser außerordentliche Mann verbreitet ein reiches, unabsehbares Leben über die ganze Universität. Sein erstes Kollegium nach einem vierzehnjährigen Stillschweigen hielt er am 4. Januar im Glückschen Hörsaale, der aber die Menge nicht fassen konnte. Er liest von 5 Uhr abends bis 6 oder 7 Uhr. Lange vor 5 Uhr waren alle Bänke voll Sitzender, alle Tische voll Stehender, das Gedränge an der Tür war so groß, daß sie ausgehoben wurde und viele zu den Fenstern hereinstiegen. Viele, die nicht mehr hereinkonnten, hielten die Gangfenster offen, um von außenher zuzuhören. Fast alle Professoren waren gegenwärtig. Endlich kam er, und die Antrittsrede, die er hielt, bezog sich auf seine bisherigen Verhältnisse, auf seine in der Stille gepflogenen Forschungen in München und sein Verlangen, wieder öffentlich aufzutreten. Dann begann er die Einleitung zu seinem Vortrage, den er »initia universae philosophiae« angekündigt. In der zweiten Stunde schloß er die Einleitung und sprach von den Forderungen, die er an seine Zuhörer mache. Er machte kein Geheimnis daraus, daß es Seelenstärke und Anstrengung erfordere, seinem Ideengange zu folgen und das Ganze als Ganzes zu überschauen. Er bestimmte eine Sonnabendstunde, um ihn zu besuchen und ihm Zweifel und Einwürfe vorzutragen, und fügte hinzu, er scheue sich nicht zu bekennen, durch die Einwürfe seiner Schüler mehr gewonnen zu haben, als durch Gelehrte, die ganze Bücher gegen ihn geschrieben hätten. Er erinnerte sich mit Liebe des wissenschaftlichen Zusammenlebens in Jena und ermahnte uns, kleine Zirkel von Freunden zu stiften, in welchen seine Ideen besprochen würden. Mit Wärme berief er sich auf den hohen Genuß einer intellektuellen Freundschaft, und, gegen geistlose Zerstreuungen gerichtet, wiederholte er die schönen Worte: severa res verum gaudium. Schellings ganzer Vortrag ist trotz der anscheinenden Trockenheit hinreißend. Er erfüllt den Geist mit einer unbeschreiblichen Wärme, die bei jedem Worte zunimmt. Eine Fülle von Anschaulichkeit, und eine wahrhaft göttliche Klarheit ist über seine Rede verbreitet, dabei eine Kühnheit des Ausdruckes und eine Bestimmtheit des Willens, die Verehrung erwecken. So sprach er von dem Subjekte der Philosophie und von der Auffindung des ersten Prinzips, die nur erreicht werden könne durch eine Zurückführung seiner selbst zum vollkommenen Nichtwissen, wobei er den Spruch anführte: Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder usw. »Nicht etwa«, setzte er hinzu, »muß man Weib und Kind verlassen, wie man zu sagen pflegt, um zur Wissenschaft zu gelangen, man muß schlechthin alles Seiende, ja – ich scheue mich nicht, es auszusprechen – man muß Gott selbst verlassen.« Als er dies gesagt hatte, folgte eine solche Totenstille, als hätte die Versammlung den Atem an sich gehalten, bis Schelling sein Wort wieder aufnahm und sich darüber verbreitete, um nicht mißverstanden zu werden, wobei er sich wieder des bildlichen Ausdrucks der Schrift bediente: die alles behalten, werden alles verlieren. Mir selbst fiel bei dieser ganzen Darstellung das to be or not to be mit seiner ganzen Zentnerlast aufs Herz, und es war mir, als wäre mir zum erstenmal das wahre Verständnis desselben durch die Seele gegangen.«

Das war Schelling, noch bevor er in den späteren Münchener Vorlesungen den Gipfel des Ruhmes erklomm: auf den ersten Blick schon etwas ganz anderes, als ein ordentlicher Professor der Philosophie, der seine Kollegien mit schöner Regelmäßigkeit nach Pflicht und Ermessen liest. Er war eine Macht im geistigen Leben seiner Zeit, war es schon in seinen ersten Schriften, die er als junger Jenaer Professor erscheinen ließ und die ihn mit einem Schlage Fichte ebenbürtig zur Seite stellten. Was war das doch für ein Ton, der plötzlich die schulmäßigen Spitzfindigkeiten verknöcherter Kantianer überhallte!

Hat Ihnen dieser Artikel etwas gegeben? Dann geben Sie doch etwas zurück! – Unterstützen Sie meine Arbeit im Umkreis-Institut durch eine

Spende!

Das geht sehr einfach über eine Überweisung oder über PayPal.

Sollte Ihnen aber Ihre Suchmaschine diesen Artikel nur zufällig auf den Monitor geworfen haben, Sie das alles sowieso nur für (elektronisches) Papier beziehungsweise nur für Worte – also für Pille-Palle – halten, dann gibt es 

hier 

einen angenehmen und lustigen Ausgang für Sie.

Falls Ihnen dieser Artikel jedoch unverständlich, unangebracht, spinnig oder sogar „esoterisch“ vorkommt, gibt es vorerst wohl nur eines: 

Don‘t touch that!