von Rudolf Steiner
Diese Kurzbeschreibung der Sozialen Dreigliederung veröffentlichte Rudolf Steiner in seinem Aufruf „An das deutsche Volk und an die Kulturwelt!“ „Dieser Aufruf, von Rudolf Steiner verfasst und von einer Anzahl bekannter Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens unterzeichnet, wurde im März 1919 als Flugblatt gedruckt und weit verbreitet.“ Enthalten in „Aufsätze über die Dreigliederung des sozialen Organismus und zur Zeitlage 1915-1921“, Nr. 24 der Gesamtausgabe, sowie als Anhang in den „Kernpunkten der sozialen Frage“, Nr. 23 der Gesamtausgabe.
Der soziale Organismus ist gegliedert wie der natürliche. Und wie der natürliche Organismus das Denken durch den Kopf und nicht durch die Lunge besorgen muss, so ist dem sozialen Organismus die Gliederung in Systeme notwendig, von denen keines die Aufgabe des anderen übernehmen kann, jedes aber unter Wahrung seiner Selbständigkeit mit den anderen zusammenwirken muss.
Das wirtschaftliche Leben kann nur gedeihen, wenn es als selbständiges Glied des sozialen Organismus nach seinen eigenen Kräften und Gesetzen sich ausbildet, und wenn es nicht dadurch Verwirrung in sein Gefüge bringt, dass es sich von einem anderen Gliede des sozialen Organismus, dem politisch wirksamen, aufsaugen lässt. Dieses politisch wirksame Glied muss vielmehr in voller Selbständigkeit neben dem wirtschaftlichen bestehen, wie im natürlichen Organismus das Atmungssystem neben dem Kopfsystem. Ihr heilsames Zusammenwirken kann nicht dadurch erreicht werden, dass beide Glieder von einem einzigen Gesetzgebungs- und Verwaltungsorgan aus versorgt werden, sondern dass jedes seine eigene Gesetzgebung und Verwaltung hat, die lebendig zusammenwirken. Denn das politische System muss die Wirtschaft vernichten, wenn es sie übernehmen will; und das wirtschaftliche System verliert seine Lebenskräfte, wenn es politisch werden will.
Zu diesen beiden Gliedern des sozialen Organismus muss in voller Selbständigkeit und aus seinen eigenen Lebensmöglichkeiten heraus gebildet ein drittes treten: das der geistigen Produktion, zu dem auch der geistige Anteil der beiden anderen Gebiete gehört, der ihnen von dem mit eigener gesetzmäßiger Regelung und Verwaltung ausgestatteten dritten Gliede überliefert werden muss, der aber nicht von ihnen verwaltet und anders beeinflusst werden kann, als die nebeneinander bestehenden Gliedorganismen eines natürlichen Gesamtorganismus sich gegenseitig beeinflussen.
Zum Beispiel in Nr. 337a Seite 244 der Gesamtausgabe nahm Rudolf Steiner einleitend Stellung zu der Frage, warum sein Aufruf in Deutschland derart missverstanden worden ist:
Wir gehen vielleicht davon aus, dass mein Aufruf, der im Frühling 1919 erschienen ist, in einzelnen Kreisen Deutschlands deshalb so missverstanden worden ist, weil der Aufruf seinen Ausgangspunkt davon genommen hat, dass Deutschland seit den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts seine eigentliche Aufgabe für dasjenige, was es staatlich zu umgrenzen und nach und nach zu konsolidieren versucht hat, verloren hat. Man möchte sagen: Dieses Deutschland hat sich darauf beschränkt, eine Art von sachlichem Rahmen zu schaffen, aber dieses Deutschland hat nicht dazu kommen können, innerhalb dieses Rahmens tragende Ideen, einen wirklichen substantiellen Inhalt, einen Kulturinhalt, auszubilden. Nun kann man ja ein sogenannter praktischer Mensch sein und die Ideenträger als Idealisten verketzern; aber die Welt kommt eben mit solchen praktischen Menschen doch nicht weiter als bis zu Krisen, zu einzelnen oder dann zu solch universellen Krisen, wie sich eine solche im Jahre 1914 eingeleitet hat. Man kann, wenn man in diesem Sinn ein praktischer Mensch ist, Geschäfte machen, kann einzelne Interessen befriedigen, scheinbar auch Interessen bis ins Große befriedigen; aber so gut es auch den einzelnen gehen mag und so gut dem einzelnen auch seine Unternehmungen scheinen mögen – immer wieder und wiederum muss es unter solchen Voraussetzungen zu Krisen führen, und diese müssen sich endlich zusammenschürzen in einer solchen Katastrophe, wie wir sie seit dem Jahre 1914 als die größte Weltkatastrophe erlebt haben.
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