Rudolf Steiner zur Gedankenlosigkeit der heutigen Zeit

 

(aus GA 188 S. 65) 

… Es ist schon ein Resultat der Geisteswissenschaft, zu erkennen, daß unser Kopf seit dem 15. Jahrhundert ein recht viel weniger brauchbares Werkzeug geworden ist, viel vertrockneter ist, als er vorher war. Aber so recht bemerklich macht sich das erst in der Gegenwart, und es wird sich immer mehr bemerklich machen, wenn nicht ein Ersatz geschaffen wird, so daß das Ausgedünstete des Kopfes wiederum von der geistigen Welt her ersetzt wird. Denn bis in unsere Zeit, bis in das 19.Jahrhundert herein, da war noch immer die andere Natur, die Brustnatur des Menschen gewöhnt an das, was der Kopf aus dem Schlafe heraus noch während der griechisch-lateinischen Zeit bekam. Die Brustnatur war daran gewöhnt, und da haben die Menschen noch die nachwirkenden Impulse in ihre Kopflosigkeit herein gehabt. Sie war noch daran gewöhnt; ich möchte sagen, die Geste des Gedankens, den Schatten des Gedankens hatten die Menschen noch. Aber auch dieser Schatten wird vergehen, die Menschen werden gar keine Gedanken haben, wenn sie sich nur ihrem Kopfe überlassen wollen. Und so ist es ja auch, und es zeigt sich darin, daß die Menschen nicht denken wollen. Immer weniger wollen sie denken. Sie möchten auf der einen Seite sich von der Natur die Gedanken diktieren lassen, am liebsten bloß experimentieren und sich vom Experiment sagen lassen, was sie denken sollen. Selber denken möchten die Menschen nicht. Dazu haben sie auch gar kein rechtes Vertrauen, denn was sie ausdenken, das, meinen sie, ist ja doch keine Wirklichkeit. Es ist ja auch, wenn man die bloßen Gedanken nimmt, keine Wirklichkeit. Aber man kann gewahr werden: Das Denken, nicht die Gedanken, das muß aktiv werden. Dieses Aktivwerden des Denkens, das kommt von dem Hereinspielen der geistigen Welt. Und Sie können heute, wenn Sie wirklich anfangen, aktiv zu denken, gar nicht anders, als die geistige Welt in sich hereinspielen zu lassen. Sonst denken Sie nicht, sonst denken Sie so wenig, wie die Naturforscher heute denken, die sich am liebsten vom Experiment oder der Naturforschung alles diktieren lassen möchten, oder so wenig, wie heute die sozialen Forscher denken, die eigentlich, weil sie nicht aktiv sein wollen, weil sie nicht wirklich soziale Impulse erfassen, welche nur in der Aktivität erfaßt werden können, mit dem arbeiten, was historisch erforscht werden kann, was Vererbung ist. Denken Sie doch nur einmal, wie die Menschen darauf verfallen sind, weil sie nicht mehr selbst die Impulse haben, durch welche die soziale Struktur geschaffen werden kann, zurückzuschauen in die Zeit, wo noch Gedanken sich gebildet haben. Die Menschen sehen nur von einem falschen Gesichtswinkel aus die Sache an. 

Rousseau war es, der den Menschen den Naturzustand vorgemacht hatte, weil er es spürte: aus der Gegenwart kann man nichts gewinnen, wenn man nicht aktiv wird im Sinn der Erkenntnis höherer Welten. Und der moderne Sozialismus, der ergeht sich am liebsten darinnen, Urzustände der Menschheit zu studieren – das ist ja dasjenige, worein sich besonders die Sozialisten vertiefen – primitive Zustände zu studieren, zu studieren an allerwildesten Urvölkern und primitivsten Völkern, um zu verstehen, wie die Menschen in der sozialen Zusammenfassung sein sollen. Wer mit diesen Sachen bekannt ist, der weiß das. Überall eine gewisse Furcht vor dem, was so notwendig hereindringt als die erste Morgenröte des Zusammenhangs mit der geistigen Welt, eine gewisse Furcht vor dem aktiven Denken.
Daher versteht man so schwer dasjenige, was auf aktives Denken Anspruch macht, wie zum Beispiel meine «Philosophie der Freiheit». Da sind die Gedanken anders, als die heute üblichen Gedanken sind. Und beim Lesen dieses Buches hören die Menschen manchmal sehr bald auf zu lesen, aus dem einfachen Grunde: sie möchten es lesen wie ein anderes Buch. Aber, nicht wahr, die andern Bücher, die man heute besonders gern hat, nun, die liest man, setzt sich hin auf die Chaiselongue, legt etwas den Rücken zurück, dann wird man möglichst passiv und läßt so die Gedankenbilder vorbeigehen. Manche Menschen betreiben ja das Lesen schließlich überhaupt nur noch so. Betrügen Sie sich nicht, indem Sie glauben, daß sie die Zeitungen oftmals anders lesen, diese Menschen – nicht wahr, die Anwesenden sind immer ausgenommen, selbstverständlich -, es mischen sich nur manchmal Emotionen hinein, Sorgen hinein; aber auch die Zeitungen, die so sensationell aufgenommen werden, die werden auch so gelesen, daß die Bilder so vorbeihuschen. Ja, so läßt sich so etwas, wie es versucht worden ist darzustellen in der «Philosophie der Freiheit», nicht lesen. Da muß man sich immerfort einen Ruck geben, damit diese Gedanken einen nicht einschläfern. Denn darauf ist nicht gerechnet, daß man auf der Chaiselongue bloß sitzt. Man kann ja sitzen, selbstverständlich, kann sogar den Rücken zurücklehnen, aber man muß dann versuchen, aus dem ganzen Menschen, gerade dadurch, daß man die äußere Leiblichkeit in Ruhe gebracht hat, das innere geistig-seelische Wesen in Bewegung zu setzen, so daß das ganze Denken in Bewegung kommt. Anders geht es nicht vorwärts, sonst schläft man ein. Es schlafen auch viele dabei ein, und das sind nicht einmal die unehrlichsten. Die unehrlichsten sind diejenigen, welche die «Philosophie der Freiheit» lesen wie ein anderes Buch und dann glauben, daß sie wirklich die Gedanken verfolgt haben. Sie haben sie nicht verfolgt, sondern sie haben sie nur so übersetzt wie Worthülsen; sie lesen nur so die Worte und nehmen nicht heraus, was eigentlich aus den Worten erst folgt, wie wenn man am Feuerstein den Stahl schlägt. Das ist schon dasjenige, was beansprucht werden muß von dem, was in der Gegenwart und in der nächsten Zukunft in die Menschheitsentwickelung eingreifen muß, denn dadurch wird die Menschheit allmählich in gesunder Art sich in die geistige Welt hinauf erheben. An dem aktiven Denken wird sich entzünden die innere Verwandtschaft des Menschen mit der geistigen Welt, und dann wird der Mensch immer weiter hinaufkommen. …

  

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