Rudolf Steiner zum Abtasten des inneren Menschen durch ein richtiges Lesen der „Philosophie der Freiheit“ 

 

(GA 232 S. 9) 

Gehen wir zunächst heute von etwas möglichst Einfachem aus. Betrachten wir das Seelenleben des Menschen, wie es sich darstellt, wenn der Mensch etwas weiter die innere Selbstbesinnung treibt, als bis zu dem Punkte, den ich vorzugsweise im Auge hatte, als ich die Artikel im «Goetheanum» über «Das Seelenleben» geschrieben habe. Wollen wir also jetzt in den Betrachtungen etwas weiter nach dem Seelenleben nach innen gehen, als das im «Goetheanum» der Fall war. Dafür ist eben das, was im «Goetheanum» steht in diesen vier Artikeln über das Seelenleben (siehe GA 36, Seite 349 – 370; Anmerkung IH), eine Art Introduktion, eine Vorbereitung zu dem, was wir nun betrachten wollen. 

Wenn wir Selbstbesinnung in einer zunächst großen, umfassenden Weise üben, so kommen wir ja darauf, wie in einer gewissen Weise dieses Seelenleben sich steigern kann. Es beginnt ja damit, daß wir die äußere Welt auf uns wirken lassen – wir tun das von Kindheit auf – und daß wir dann das haben, was die innere Welt in uns wirkt, die Gedanke ist. Dadurch sind wir ja eigentlich Menschen, daß wir das, was die äußere Welt in uns wirkt, in unseren Gedanken weiterleben lassen, in unseren Gedanken uns innerlich vergegenwärtigen, eine Welt der Vorstellungen schaffend, die in einer gewissen Weise spiegelt dasjenige, was von außen auf uns Eindruck macht. Wir tun vielleicht dem Seelenleben nichts besonders Gutes, wenn wir gerade darüber uns viele Gedanken machen, wie die Außenwelt sich in unserer Seele spiegelt. Da kommen wir ja doch zu nichts anderem, als, ich möchte sagen, zu einem abgeschatteten Bilde der Vorstellungswelt in unserm Innern selber. Wir üben doch bessere Selbstbesinnung, wenn wir mehr, ich möchte sagen, auf das Kraftmoment sehen, so daß wir versuchen, auch einmal uns selbst auszuleben im Gedankenelemente, ohne daß wir auf die Außenwelt schauen; daß wir weiter verfolgen in Gedanken dasjenige, was als Eindrücke der Außenwelt vor uns gewesen ist. Der eine Mensch kommt dabei, je nachdem er veranlagt ist, mehr in abstrakte Gedanken hinein. Er bildet Weltensysteme aus oder auch nicht, er macht sich Schemata über alles mögliche in der Welt und dergleichen. Der andere Mensch folgt dabei, indem er über die Dinge, die auf ihn Eindruck gemacht haben, nachgedacht hat und dann die Gedanken weiter ausspinnt, er folgt mehr vielleicht irgendwelchen Phantasievorstellungen. Wir wollen darauf, wie nach dem Temperament, nach dem Charakter, nach der sonstigen Veranlagung des Menschen dieses Denken im Innern ohne äußere Eindrücke verläuft, nicht weiter eingehen, aber wir wollen uns bewußt machen, daß es doch für uns etwas Besonderes ist, wenn wir uns in bezug auf unsere Sinne zurückziehen von der Außenwelt und in unseren Gedanken, in unseren Vorstellungen einmal leben, sie weiter ausspinnend, vielleicht auch manchmal nur nach der Richtung der Möglichkeiten. 

Manche Menschen halten das ja für unnötig, nach der Richtung der Möglichkeiten zum Beispiel das Dasein im Gedanken weiter auszubilden. Es wird ja auch heute noch in dieser schweren Zeit einem öfter begegnen, daß man die Leute sieht, die sich den ganzen Tag damit beschäftigt haben, in ihrem Geschäft zu sein, da allerlei, was selbstverständlich für die Welt notwendig ist, zu verrichten, daß solche Leute dann sich zusammensetzen in kleinen Gruppen bei Kartenspiel, Dominospiel oder was es halt an ähnlichen Dingen gibt, um, wie man ja sehr häufig sagt, die Zeit zu vertreiben. Es wird aber nicht sehr häufig vorkommen, daß sich Leute in ähnlichen Gruppen zusammensetzen und zum Beispiel ihre Gedanken darüber austauschen, was alles aus denselben Dingen, die bei Tag geschehen sind, in denen man drinnen gesteckt hat, hätte herauskommen können, wenn das oder jenes etwas anders gewesen wäre. Dabei würden sich die Menschen nicht so amüsieren, wie beim Kartenspiel; aber es wäre ein Fortspinnen in Gedanken. Und wenn man sich dabei nur gesunden Sinn genug für die Wirklichkeit bewahrt, dann braucht ein solches Fortspinnen in Gedanken eben durchaus nichts Phantastisches zu werden. 

Dieses Leben in Gedanken, das führt ja zuletzt zu dem, was Ihnen entgegentritt, wenn Sie in der richtigen Weise die «Philosophie der Freiheit» lesen wollen. Wenn Sie in der richtigen Weise die «Philosophie der Freiheit» lesen wollen, so müssen Sie dieses Gefühl eben kennen: in Gedanken zu leben. Die «Philosophie der Freiheit» ist ganz etwas, was aus der Wirklichkeit heraus erlebt ist; aber zu gleicher Zeit ist sie etwas, was ganz und gar eben aus dem wirklichen Denken hervorgegangen ist. Und daher sehen Sie eine Grundempfindung gerade in dieser «Philosophie der Freiheit». Diese «Philosophie der Freiheit », ich habe sie konzipiert in den achtziger Jahren, niedergeschrieben in dem Beginne der neunziger Jahre, und ich darf wohl sagen: bei denjenigen Menschen, die dazumal eigentlich sogar die Aufgabe gehabt hätten, den Grundnerv dieser «Philosophie der Freiheit» irgendwie wenigstens ins Auge zu fassen, fand ich mit dieser «Philosophie der Freiheit» überall Unverständnis. Und das liegt an einem bestimmten Punkte. Das liegt an folgendem: Die Menschen, auch die sogenannten denkenden Menschen der Gegenwart, kommen mit ihrem Denken eigentlich nur dazu, in ihm ein Abbild der sinnlichen Außenwelt zu erleben. Und dann sagen sie: Vielleicht könnte einem in dem Denken auch etwas kommen von einer überphysischen Welt; aber es müßte dann das auch so sein, daß geradeso, wie der Stuhl, wie der Tisch draußen ist, und von dem Denken vorausgesetzt wird, daß es drinnen ist, so müßte nun dieses Denken, das da drinnen ist, auch auf irgendeine Weise erleben können ein außerhalb des Menschen zu erfassendes Übersinnliches, wie der Tisch und der Stuhl außerhalb sind. – So ungefähr dachte sich Eduard von Hartmann die Aufgabe des Denkens. 

Nun trat ihm gegenüber dieses Buch, die «Philosophie der Freiheit ». Da ist das Denken so erlebt, daß innerhalb des Denk-Erlebnisses man dazu kommt, gar nicht anders vorstellen zu können, als: Wenn du im Denken richtig drinnen lebst, lebst du, wenn auch zunächst auf eine unbestimmte Weise, im Weltenall. Dieses Verbundensein im innersten Denk-Erlebnis mit den Weltgeheimnissen, das ist ja der Grundnerv der «Philosophie der Freiheit». Und deshalb steht in dieser «Philosophie der Freiheit» der Satz: In dem Denken ergreift man das Weltgeheimnis an einem Zipfel. 

Es ist vielleicht einfach ausgedrückt, aber es ist so gemeint, daß man gar nicht anders kann, wenn man das Denken wirklich erlebt, daß man sich fühlt nicht mehr außer dem Weltgeheimnis, sondern im Weltgeheimnis drinnen, daß man sich fühlt nicht mehr außerhalb des Göttlichen, sondern im Göttlichen. Erfaßt man das Denken in sich, so erfaßt man das Göttliche in sich. 

Diesen Punkt konnte man nicht erfassen. Denn erfaßt man ihn wirklich, hat man sich Mühe gegeben, das Denk-Erlebnis zu haben, dann steht man eben nicht mehr in der Welt drinnen, in der man vorher drinnen gestanden hat, sondern man steht in der ätherischen Welt drinnen. Man steht in einer Welt drinnen, von der man weiß: sie ist nicht von da und dort im physischen Erdenraum bedingt, sondern sie ist bedingt von der ganzen Weltensphäre. Man steht in der ätherischen Weltensphäre drinnen. Man kann nicht mehr zweifeln an der Gesetzmäßigkeit der Weltenäthersphäre, wenn man das Denken so erfaßt hat, wie es in der «Philosophie der Freiheit» erfaßt ist. So daß da erreicht ist dasjenige, was man ätherisches Erleben nennen kann. Daher wird es einem so, wenn man in dieses Erleben hineinkommt, daß man einen eigentümlichen Schritt in seinem ganzen Leben macht. 

Ich möchte diesen Schritt so charakterisieren: Wenn man im gewöhnlichen Bewußtsein denkt, denkt man, wenn man hier in diesem Raume ist, Tische, Stühle, selbstverständlich Menschen und so weiter; man denkt vielleicht auch noch etwas anderes, aber man denkt die Dinge, die außerhalb sind. Also sagen wir – es sind da verschiedene Dinge außerhalb – man umfaßt gewissermaßen mit seinem Denken von dem Mittelpunkt seines Wesens aus diese Dinge. Dessen ist sich ja jeder Mensch bewußt: er will mit seinem Denken die Dinge der Welt umfassen.

Kommt man aber dazu, dieses eben charakterisierte Denk-Erlebnis zu haben, dann ergreift man nicht die Welt; man hockt auch, möchte ich sagen, nicht in seinem Ichpunkte bloß drinnen, sondern es passiert etwas ganz anderes. Man bekommt das Gefühl, das ganz richtige Gefühlserlebnis, daß man mit seinem Denken, das eigentlich nicht an irgendeinem Orte ist, nach dem Innern alles erfaßt. Man fühlt: man tastet den inneren Menschen ab. So wie man mit dem gewöhnlichen Denken, ich möchte sagen, geistige Fühlfäden nach außen streckt, so streckt man mit seinem Denken, mit diesem Denken, das in sich selbst sich erlebt, fortwährend sich in sich selber hinein. Man wird Objekt, man wird sich Gegenstand. 

Das ist eben ein sehr wichtiges Erlebnis, das man haben kann, daß man weiß: du hast früher immer die Welt erfaßt; jetzt mußt du, indem du das Denk-Erlebnis hast, dich selbst erfassen. Da ergibt sich im Laufe dieses recht starken Sich-Selbst-Erfassens, daß man die Haut sprengt. Und ebenso, wie man sich innerlich erfaßt, so erfaßt man von innen aus eben den ganzen Weltenäther, nicht in seinen Einzelheiten selbstverständlich, aber man kommt zur Gewißheit: dieser Äther ist ausgebreitet über die Weltensphäre, in der man drinnen ist, in der man zugleich drinnen ist mit Sternen, Sonne und Mond und so weiter. 

 

 

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