Rudolf Steiner zu den Grenzorten des Erkennens

 

(GA 178 S. 12) 

Geisteswissenschaft im anthroposophischen Sinne ist in eine andere Lage versetzt. Und durch diesen Ausgangspunkt schon ruft sie zunächst, ohne daß der Mensch sich dessen klar bewußt ist, Widerspruch hervor: unklaren Widerspruch, man möchte sagen, unterbewußten Widerspruch, instinktiven Widerspruch! Und solcher Widerspruch ist viel wirksamer oftmals als der klar erkannte, klar durchdachte. Diese anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft muß ausgehen, um überhaupt zu Vorstellungen, jetzt nicht über allgemein verschwommene Geistesbegriffe, sondern über geistige Tatsachen zu kommen, sie muß ausgehen von dem Tode. Dadurch steht sie von vornherein in einem, man möchte sagen, fundamentalen Gegensatz zu dem, was heute beliebt ist: zum Ausgehen von Geburt und Jugend, Wachstum, Vorwärtsschreiten der Entwickelung. Der Tod greift ein in das Leben. Und Sie können, wenn Sie Umschau halten in der wissenschaftlichen Literatur der Gegenwart, überall finden, daß der gewissenhafte Forscher geradezu der Anschauung ist: Der Tod als solcher kann nicht in demselben Sinne in die naturwissenschaftliche Begriffsreihe hineingestellt werden wie andere Begriffe. Nun muß der Geisteswissenschafter diesen Tod, also das Aufhören, das Gegenteil der Geburt eigentlich, zu seinem Ausgangspunkt machen. Wie der Tod und das Todverwandte eingreift in das Leben im weiteren Sinne, das ist die Grundfrage. Der Tod aber schließt ab dasjenige, was Sinne schauen können; der Tod löst auf dasjenige, was wird, was vor den Sinnen sich entwickelt. Der Tod greift ein als irgend etwas, wovon man sozusagen die Vorstellung haben kann, es sei unbeteiligt an dem, was hier in der Sinneswelt wirkt und gedeiht, quillt und west. Da ergibt sich die Meinung, die in gewissen Grenzen ganz begreiflich, wenn auch eben durchaus unberechtigt ist, daß man über dasjenige, was der Tod gewissermaßen zudeckt, was der Tod verhüllt, nichts wissen könne. Und aus dieser Ecke menschlichen Fühlens heraus erheben sich eigentlich alle die Widersprüche, die sehr selbstverständlich gegen die Dinge vorgebracht werden können, die heute als Ergebnisse einer noch jungen Wissenschaft entwickelt werden. Denn jung ist diese Geisteswissenschaft, und der Geisteswissenschafter ist gerade aus den Gründen, die jetzt angeführt worden sind, in einer ganz andern Lage, auch wenn er über die Dinge seines Forschungsgebietes spricht, als der Naturwissenschafter. Der Geisteswissenschafter kann nicht in genau derselben Weise vorgehen wie der Naturwissenschafter, der irgendeine Tatsache hinstellt und dann auf Grund dessen, wovon gewissermaßen jeder Mensch überzeugt ist, daß man es sehen kann, diese Tatsachen beweist; denn der Geisteswissenschafter spricht ja gerade über dasjenige, was man nicht mit Sinnen wahrnehmen kann. Daher ist der Geisteswissenschafter zunächst, wenn er über Ergebnisse seiner Wissenschaft spricht, immer genötigt, darauf hinzuweisen, wie man zu diesen Ergebnissen kommt. 

Es gibt heute eine reiche Literatur über dasjenige Gebiet, das ich heute abend vor Ihnen zu vertreten habe. Kritiker, die sich berufen glauben, wenden gegen dasjenige, was zum Beispiel in meinen Schriften steht, immer wieder und wiederum ein, obwohl dies eigentlich nur beweist, wie ungenau, wie oberflächlich die Dinge gelesen werden: der Geisteswissenschafter behaupte, die Sachen seien so und so, aber er beweise nicht. – Ja, sehr verehrte Anwesende, er beweist schon, aber er beweist eben auf andere Art. Er sagt zunächst, wie er zu seinen Resultaten gekommen ist; er muß zuerst angeben, wie der Weg in das Tatsachengebiet hinein ist. Dieser Weg ist schon vielfach befremdlich, weil er ja für die heutigen Denk- und Empfindungsgewohnheiten ein ungewohnter ist. Zunächst muß gesagt werden: Gerade der Geistesforscher kommt durch seine Forschung zu dem zwingenden Ergebnisse, daß man mit den Methoden, mit den Verfahrungsarten, die der Geistesforscher nicht ablehnt, sondern gerade bewundert, mit denen die Naturwissenschaft zu ihren glänzenden Resultaten gekommen ist, in das Übersinnliche nicht hineinkommt. Ja, gerade von diesem Erlebnis, wie begrenzt die Verfahrungsarten des naturwissenschaftlichen Denkens sind, geht Geisteswissenschaft aus; aber nicht so, wie das heute vielfach gemacht wird, daß man einfach in bezug auf gewisse Dinge, bei denen die Naturwissenschaften an ihren Grenzen sind, sagt: Hier sind Grenzen des menschlichen Erkennens, – nein, sondern in der Weise, daß man an diesen Grenzen gerade versucht, zu ganz bestimmten Erlebnissen zu kommen, die nur erreicht werden können an diesen Grenzen. Ich habe von diesen Grenzorten des menschlichen Erkennens insbesondere in meiner neuesten, in diesen Wochen erscheinenden Schrift «Von Seelenrätseln» einiges gesprochen. 

Nun, diejenigen Menschen, welche Erkenntnis nicht als irgend etwas, was ihnen äußerlich angeflogen ist, genommen haben, welche mit den Erkenntnissen gerungen haben, welche mit der Wahrheit gerungen haben, sie haben immer wenigstens an diesen Grenzen gewisse Erlebnisse gehabt. Da muß man eben sagen: Die Zeiten ändern sich, die Entwickelung der Menschheit wandelt sich. – Noch vor verhältnismäßig kurzer Zeit standen die hervorragendsten Denker und Ringer mit der Erkenntnis an solchen Grenzorten so, daß sie eben die Meinung hatten, man kann an diesen Grenzorten nicht weiter, man muß bei ihnen stehenbleiben. Diejenigen der verehrten Zuhörer, welche mich öfter hier gehört haben, wissen, wie wenig es in meinen Gewohnheiten liegt, Persönliches zu berühren. Allein wenn das Persönliche mit dem Sachlichen in irgendeinem Zusammenhange steht, so darf das wohl in Kürze gestattet sein. Ich darf sagen: Gerade dasjenige, was ich über solche Erlebnisse an den Grenzorten des Erkennens zu sagen habe, es ist bei mir das Ergebnis einer mehr als dreißig Jahre andauernden geistigen Forschung. Und es war vor mehr als dreißig Jahren, als gerade diese Probleme, diese Aufgaben, diese Rätsel, die entstehen an den Grenzorten des Erkennens, auf mich einen bedeutsamen Eindruck machten. Aus den vielen Beispielen, die man über solche Grenzorte anführen kann, möchte ich eines herausheben, auf das hingewiesen hat ein wirklicher Ringer mit der Erkenntnis: Friedrich Theodor Vischer, der berühmte Ästhetiker, der aber auch als Philosoph eine sehr bedeutende Persönlichkeit war, wenn er auch vielleicht zu seinen Lebzeiten schon zu wenig anerkannt und schnell vergessen worden ist. Friedrich Theodor Vischer, der sogenannte V-Vischer, hat ja vor Jahrzehnten eine sehr interessante Abhandlung geschrieben über ein auch sehr interessantes Buch, das Volkelt über die «Traumphantasie» geschrieben hat. Friedrich Theodor Vischer hat dabei manche Dinge berührt, die uns hier nicht weiter interessieren. Aber einen Satz möchte ich herausheben, einen Satz, über den man vielleicht weglesen kann, einen Satz aber auch, der wie ein Blitz einschlagen kann in das menschliche Gemüt, wenn dieses vom Erkenntnisstreben durchdrungen ist, von wahrem, innerem Erkenntnisstreben. Es ist der Satz, der sich Vischer aufdrängt, als er über das Wesen der Menschenseele nachsinnt, nachdenkt. Aus dem, was sich ihm ergeben hatte über das, was Naturwissenschaft in der neueren Zeit vom Menschen zu sagen hat, deduziert er einmal: Daß diese menschliche Seele nicht bloß im Leibe sein kann, das ist ganz klar; daß sie aber auch nicht außerhalb des Leibes sein kann, das ist ebenso klar. 

Nun, wir stehen also vor einem vollkommenen Widerspruch, vor einem Widerspruch, der nicht ein solcher ist, daß man ihn ohne weiteres auflösen kann. Wir stehen vor einem solchen Widerspruch, der sich mit unabänderlicher Notwendigkeit hinstellt, wenn man ernst nach Erkenntnissen ringt. V-Vischer konnte noch nicht – denn die Zeit war noch nicht dazu reif – vordringen von dem, was ich nennen möchte: stehen an solchen Erkenntnisorten, an solchen Grenzorten, vordringen vom Erkennen im gewöhnlichen Sinne des Wortes zum innerlichen Erleben eines solchen Widerspruches. Hören wir doch heute noch von weitaus den meisten Erkenntnismenschen der Gegenwart, wenn sie auf einen solchen Widerspruch stoßen, das Folgende – es gibt ja davon Hunderte und Hunderte, Du Bois-Reymond, der geistvolle Physiologe, hat seinerzeit von den sieben Welträtseln gesprochen, aber man kann diese sieben Welträtsel in Hunderte vermehren – der heutige, zeitgenössische Erkenntnismensch sagt: Bis hierher geht eben das menschliche Erkennen, weiter kann es nicht kommen. – Einfach aus dem Grunde sagt er dieses, weil er sich an den Grenzorten des menschlichen Erkennens nicht entschließen kann, überzugehen vom bloßen Denken, vom bloßen Vorstellen zum Erleben. Man muß beginnen an einer solchen Stelle, wo sich ein Widerspruch, den man nicht ausgeklügelt hat, sondern der durch die Welträtsel sich einem geoffenbart hat, in den Weg stellt, muß versuchen, mit einem solchen Widerspruch immer wieder und wiederum zu leben, immer wieder und wieder, so wie man mit den Gewohnheiten des Alltags ringt, mit ihm ringen, gewissermaßen seine Seele ganz in ihn untertauchen. Man muß – es gehört ein gewisser innerer Denkermut dazu – in den Widerspruch untertauchen, keine Furcht davor haben, daß dieser Widerspruch etwa das Vorstellen der Seele zersplittern könne, daß die Seele nicht durchkönne oder ähnliches. In den Einzelheiten habe ich dieses Ringen an solchen Grenzorten gerade geschildert in meinem Buch «Von Seelenrätseln». 

Dann, wenn der Mensch statt mit dem bloßen Vorstellen, bloßen Ausklügeln, Fixieren, mit seiner vollen Seele an einem solchen Grenzort ankommt, dann kommt er weiter. Aber er kommt nicht auf bloß logischem Wege weiter; er kommt auf einem Erkenntnislebenswege weiter. Und was er da erlebt, ich möchte es durch einen Vergleich ausdrücken; denn das, was geistesforscherische Wege sind, sind wirkliche Erkenntniserlebnisse, sind Erkenntnistatsachen. Die Sprache hat heute noch nicht viele Worte für diese Dinge, weil die Worte geprägt sind für die äußere sinnliche Wahrnehmung. Man kann sich daher oftmals über dasjenige, was klar vor dem Geistesauge steht, nur vergleichsweise ausdrücken. Wenn man in solche Widersprüche sich einlebt, fühlt man sich wie an der Grenze, wo die geistige Welt heranschlägt, die in der sinnlichen Wirklichkeit nicht zu finden ist, wo sie zwar heranschlägt, aber gewissermaßen von außen heranschlägt. Es ist so, wie – ob nun die Vorstellung naturwissenschaftlich gut begründet ist oder nicht, darauf kommt es nicht an, vergleichsweise kann sie herangezogen werden – es ist so, wie wenn ein niederes Lebewesen es noch nicht bis zum Tastsinn gebracht hat, sondern nur innerlich erlebt, in dem sich regenden, steten Bewegen innerlich erlebt und die Grenze der physischen Welt, die Oberfläche der einzelnen Dinge erlebt. Ein Wesen, das noch nicht den Tastsinn ausgebildet hat und so die Oberfläche der sinnlichen Dinge erlebt, das ist noch ganz in sich beschlossen, das kann gewissermaßen noch nicht erfühlen, ertasten dasjenige, was da draußen an sinnlichen Eindrücken ist. Geradeso fühlt sich rein geistig-seelisch – wir dürfen da an gar nichts Materielles denken – der Ringer mit der Erkenntnis, wenn er an einer solchen Stelle ist, wie ich sie eben geschildert habe. Wie aber dann beim niederen Lebewesen gewissermaßen der Organismus durchbricht durch das Anstoßen an die äußere sinnliche Welt, sich differenziert zum Tastsinn, wodurch man die Oberfläche ertastet, wodurch man weiß, ob etwas rauh oder glatt, warm oder kalt ist an der Oberfläche, wie sich eröffnet nach außen dasjenige, was nur im Innern lebt, so erringt man sich die Möglichkeit, gewissermaßen durchzubrechen gerade an solchen Stellen, sich einen geistigen Tastsinn zu erwerben. Dann erst, wenn man vielleicht oftmals jahrelang an solchen Grenzorten des Erkennens gerungen hat durchzubrechen in die geistige Welt hinein, dann gelangt man zum Realen von geistigen Organen. Ich spreche nur elementar von dem, wie sich dieser Tastsinn entwickelt. Aber man kann, um diese oder jene Ausdrücke in einem vollkommeneren Sinne zu gebrauchen, davon sprechen, daß sich durch immer weiteres und weiteres inneres Arbeiten, Herausarbeiten aus dem In-sich-Beschlossensein Geistesaugen, Geistesohren entwickeln. Heute erscheint es vielen Menschen noch absurd, davon zu sprechen, daß die Seele ein ebenso undifFerenziertes Organ zunächst ist, wie der Organismus eines niederen Wesens, das seine Sinne aus seiner Substanz heraus bildet, und daß sich aus dieser Substanz seelische Begriffe, seelisch differenzierte Geistesorgane herausbilden können, die ihn dann der geistigen Welt gegenüberstellen. 

Man darf sagen: Geisteswissenschaft, wissenschaftlich in aller Berechtigtheit systematisch dargestellt, stellt sich heute neu in den Erkenntnisfortschritt der Menschheitsentwickelung hinein. Aber sie ist nicht in jeder Beziehung etwas Neues. Das Ringen nach ihr, das Streben nach ihr, wir sehen es gerade bei den hervorragendsten Erkenntnismenschen der Vergangenheit. Und auf einen von ihnen, auf Friedrich Theodor Vischer habe ich ja hingewiesen. Ich möchte gerade noch einmal zeigen an seinen eigenen Aussprüchen, wie er an einer solchen Erkenntnisgrenze gestanden hat, wie er allerdings davor stehengeblieben ist, wie er nicht den Übergang gemacht hat von dem inneren Regen zum Durchbrechen der Grenze, zum geistigfen Tastsinn. Und da möchte ich gerade diejenige Stelle aus Friedrich Theodor Vischers Abhandlungen Ihnen vorlesen, wo er schildert, wie er an eine solche Grenze, wo der Geist heranschlägt an die menschliche Seele, gekommen ist gelegentlich seines Ringens mit den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen. Es war in der Zeit, in der die materialistisch gesinnte Naturwissenschaft den ernsten Erkenntnisringern viele Rätsel vorgelegt hat, wo zahlreiche Menschen gesagt haben, man könne gar nicht von Seele anders sprechen, als daß sie nur ein Produkt sei des materiellen Wirkens. 

Hier seine Worte: «Kein Geist, wo kein Nervenzentrum, wo kein Gehirn, sagen die Gegner. Kein Nervenzentrum, kein Gehirn, sagen wir, wenn es nicht von unten auf unzähligen Stufen vorbereitet wäre; es ist leicht, spöttlich von einem Umrumoren des Geistes in Granit und Kalk zu reden, – nicht schwerer als es uns wäre, spottweise zu fragen, wie sich das Eiweiß im Gehirn zu Ideen aufschwinge. Der menschlichen Erkenntnis schwindet die Messung der Stufenunterschiede. Es wird Geheimnis bleiben, wie es kommt und zugeht, daß die Natur, unter welcher doch der Geist schlummern muß, als so vollkommener Gegenschlag des Geistes dasteht, daß wir uns Beulen daran stoßen;» – ich bitte Sie zu beachten, wie der Erkenntnisringer schildert, daß wir uns Beulen daran stoßen; hier haben Sie ein inneres Erlebnis eines Erkenntnisringers: dieses Anschlagen eines Erkenntnisringers ! – «es ist eine Diremtion von solchem Scheine der Absolutheit, daß mit Hegels Anderssein und Außersichsein, so geistreich die Formel, doch so gut wie nichts gesagt, die Schroffheit der scheinbaren Scheidewand einfach verdeckt ist. Die richtige Anerkennung der Schneide und des Stoßes in diesem Gegenschlag findet man bei Fichte, aber keine Erklärung dafür.» 

Hier haben wir die Schilderung, die ein Mensch von seinem Erkenntnisringen gibt in der Zeit, bevor der Entschluß entstehen konnte, der geisteswissenschaftliche Entschluß: nicht bloß bis zu diesem Schlag und Gegenschlag zu kommen, sondern zu durchbrechen die Scheidewand gegenüber der geistigen Welt. — Ich kann nur ganz im Prinzipiellen über solche Dinge sprechen; Sie finden sie im einzelnen ausgeführt in meinen Büchern. Namentlich in «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» und im zweiten Teil meiner «Geheimwissenschaft im Umriß» finden Sie in allen Details dasjenige ausgeführt, was die Seele in innerer Regsamkeit, in innerer Übung – wenn der Ausdruck erlaubt ist – mit sich vornehmen muß, um dasjenige, was in ihr undifferenziert ist, zu geistigen Organen, die dann die geistige Welt schauen können, wirklich umzugestalten. 

Aber gar vieles ist notwendig, wenn man auf diesem Wege wirklich zu Forschungen, kommen will. Es ist deshalb gar vieles notwendig, weil in unserer Zeit durch die Gewohnheiten, die sich gerade auf naturwissenschaftlichem Gebiete, auf dem Gebiete naturwissenschaftlicher Weltanschauung herausgebildet haben, das auf seinem Felde seine volle Berechtigung hat, eine besondere Art zu denken in das Menschenleben eingegriffen hat, die entgegengesetzt ist den Wegen, die in die geistige Welt führen; so daß es ganz selbstverständlich ist, daß man von naturwissenschaftlicher Seite nur Dinge hört, die eigentlich von der geistigen Welt, wie sie wirklich ist, in ihren Tatsachen nichts wissen wollen. Ich will nur eines anführen – wie gesagt, das Genauere finden Sie in den genannten Büchern – ich will anführen, daß der Mensch sozusagen sich eine ganz andere Art des Vorstellens erringen muß. Im gewöhnlichen Leben ist man zufrieden mit den Begriffen, den Vorstellungen, wenn man sich sagen kann: Diese Begriffe, diese Vorstellungen sind so geartet, daß sie ein Abbild irgendeiner äußeren Tatsache oder eines äußeren Dinges sind. – Damit kann sich der Geistesforscher nicht befriedigen. Schon die Vorstellungen, die Begriffe werden etwas ganz anderes in seiner Seele, als sie nach den Denkgewohnheiten der Gegenwart sind. Wenn ich wiederum einen Vergleich gebrauchen darf, so möchte ich daran zeigen, wie heute der Geistesforscher der Welt gegenübersteht. Materialistische, spiritualistische, pantheistische, individualistische, monadistische und so weiter, alle solche Leute glauben, in die Weltenrätsel irgendwie eindringen zu können; man versucht mit bestimmten Vorstellungen, Begriffen, ein Bild zu bekommen von den Vorgängen der Welt. So kann der Geistesforscher schon Begriffe gar nicht auffassen, sondern er muß sich zu einem Begriff in der Weise stellen, daß er immer sich klar bewußt ist: In einem Begriff, in einer Vorstellung hat er nichts anderes, als was man in der äußeren Sinneswelt hat, wenn man zum Beispiel einen Baum oder einen andern Gegenstand von einer gewissen Seite her photographiert, man bekommt ein Bild von einer gewissen Seite, von einer andern Seite ein anderes Bild, von einer dritten Seite wieder ein anderes, von einer vierten Seite wiederum ein anderes Bild. Die Bilder sind voneinander verschieden; sie alle geben erst zusammen, wenn man sie im Geiste kombiniert, den Baum als gestaltete Vorstellung. Aber man kann sehr gut sagen, das eine Ding widerspricht dem andern! Sehen Sie nur, wie ganz verschieden oftmals ein Gegenstand aussieht, wenn Sie ihn von der einen und von der andern Seite her photographieren! Allen diesen Vorstellungen von Pantheismus, Monadismus und so weiter steht der Geistesforscher so gegenüber, daß sie nichts anderes sind als verschiedene Aufnahmen der Wirklichkeit. Denn die geistige Wirklichkeit ergibt sich in Wahrheit dem Vorstellungsleben, dem Begriffsleben gar nicht so, daß man sagen kann, irgendein Begriff ist ein Abbild, sondern man muß immer um die Sache herumgehen, man muß immer von verschiedenen Seiten her sich die mannigfaltigsten Begriffe bilden. Dadurch ist man in die Lage versetzt, ein viel größeres inneres, seelisch regsames Leben zu entwickeln, als man für die äußere Sinneswelt gewohnt ist; dadurch ist man aber auch genötigt, die Begriffe zu etwas viel Lebendigerem zu machen. Sie sind nicht mehr Abbilder, aber indem man sie erlebt, sind sie etwas viel Lebendigeres, als sie im gewöhnlichen Leben und seinen Dingen sind.

Ich kann mich da in der folgenden Weise verständigen. Nehmen Sie an, Sie haben eine Rose, abgeschnitten vom Rosenstock, vor sich; Sie bilden sich die Vorstellung davon. Nun ja, diese Vorstellung können Sie sich bilden; Sie werden auch oftmals bei dieser Vorstellung das Gefühl haben: sie drückt Ihnen etwas Wirkliches aus, die Rose ist etwas Wirkliches. Der Geistesforscher kann niemals auf seinem Wege vorwärtskommen, wenn er bei solchen Vorstellungen sich befriedigt, die Rose sei etwas Wirkliches. Die Rose, vorgestellt für sich als Blüte mit einem kurzen Stengel, ist gar nichts in sich Wirkliches; sie kann so, wie sie ist, nur da sein am Rosenstock drauf. Der Rosenstock ist etwas Wirkliches! Und der Geistesforscher muß sich nun angewöhnen, für alle einzelnen Dinge, für welche die Menschen sich Vorstellungen bilden, indem sie glauben, das sei auch etwas Wirkliches, immer sich bewußt zu sein, in welch eingeschränktem Sinne solch eine Sache etwas Wirkliches ist. Er muß fühlen, indem er die Rose mit dem Stiel vor sich hat: das ist nichts Wirkliches; er muß den Grad von Unwirklichkeit mitempfinden, mitfühlen, miterleben, der in dieser Rose als bloßer Blüte enthalten ist. 

Dadurch aber, daß man das für die ganze Weltbetrachtung ausdehnt, belebt sich das Vorstellungsleben selbst; dadurch bekommt man nicht die schon abgelähmten, die getöteten Vorstellungen, mit denen sich die heutige naturwissenschaftliche Weltanschauung zufrieden gibt, sondern man bekommt Vorstellungen, die mit den Dingen mitleben. Allerdings, man erlebt, wenn man von den Denkgewohnheiten der Gegenwart ausgeht, mancherlei Enttäuschungen zunächst, Enttäuschungen, die sich ergeben, weil dasjenige, was man so erlebt, sich wirklich recht sehr unterscheidet von den Denkgewohnheiten der Gegenwart. Man muß schon manchmal recht paradox sprechen, wenn man aus den Erkenntnissen der geistigen Welt heraus spricht, gegenüber den Dingen, die heute allgemein gesprochen und geglaubt werden. 

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