Eine Schilderung der drei Glieder des sozialen Organismus aus Rudolf Steiners Buch „Die Kernpunkte der sozialen Frage“ (Hervorhebungen IH). Weitere Aspekte zur Sozialen Dreigliederung sowie einige Links finden sich in einem früheren Artikel von mir.
„Eines dieser Glieder ist das Wirtschaftsleben. Hier soll mit seiner Betrachtung begonnen werden, weil es sich ja ganz augenscheinlich, alles übrige Leben beherrschend, durch die moderne Technik und den modernen Kapitalismus in die menschliche Gesellschaft hereingebildet hat. Dieses ökonomische Leben muss ein selbständiges Glied für sich innerhalb des sozialen Organismus sein, so relativ selbständig, wie das Nerven-Sinnes-System im menschlichen Organismus relativ selbständig ist. Zu tun hat es dieses Wirtschaftsleben mit all dem, was Warenproduktion, Warenzirkulation, Warenkonsum ist.
Als zweites Glied des sozialen Organismus ist zu betrachten das Leben des Öffentlichen Rechtes, das eigentliche politische Leben. Zu ihm gehört dasjenige, das man im Sinne des alten Rechtsstaates als das eigentliche Staatsleben bezeichnen könnte. Während es das Wirtschaftsleben mit all dem zu tun hat, was der Mensch braucht aus der Natur und aus seiner eigenen Produktion heraus, mit Waren, Warenzirkulation und Warenkonsum, kann es dieses zweite Glied des sozialen Organismus nur zu tun haben mit all dem, was sich aus rein menschlichen Untergründen heraus auf das Verhältnis des Menschen zum Menschen bezieht. Es ist wesentlich für die Erkenntnis der Glieder des sozialen Organismus, dass man weiß, welcher Unterschied besteht zwischen dem System des Öffentlichen Rechtes, das es nur zu tun haben kann aus menschlichen Untergründen heraus mit dem Verhältnis von Mensch zu Mensch, und dem Wirtschafts-System, das es nur zu tun hat mit Warenproduktion, Warenzirkulation, Warenkonsum. Man muss dieses im Leben empfindend unterscheiden, damit sich als Folge dieser Empfindung das Wirtschafts- von dem Rechtsleben scheidet, wie im menschlichen natürlichen Organismus die Tätigkeit der Lunge zur Verarbeitung der äußeren Luft sich abscheidet von den Vorgängen im Nerven-Sinnesleben.
Als drittes Glied, das ebenso selbständig sich neben die beiden andern Glieder hinstellen muss, hat man im sozialen Organismus das aufzufassen, was sich auf das geistige Leben bezieht. Noch genauer könnte man sagen, weil vielleicht die Bezeichnung „geistige Kultur“ oder alles das, was sich auf das geistige Leben bezieht, durchaus nicht ganz genau ist: alles dasjenige, was beruht auf der natürlichen Begabung des einzelnen menschlichen Individuums, was hineinkommen muss in den sozialen Organismus auf Grundlage dieser natürlichen, sowohl der geistigen wie der physischen Begabung des einzelnen menschlichen Individuums. Das erste System, das Wirtschaftssystem, hat es zu tun mit all dem, was da sein muss, damit der Mensch sein materielles Verhältnis zur Außenwelt regeln kann. Das zweite System hat es zu tun mit dem, was da sein muss im sozialen Organismus wegen des Verhältnisses von Mensch zu Mensch. Das dritte System hat zu tun mit all dem, was hervorsprießen muss und eingegliedert werden muss in den sozialen Organismus aus der einzelnen menschlichen Individualität heraus.
Ebenso wahr, wie es ist, dass moderne Technik und moderner Kapitalismus unserm gesellschaftlichen Leben eigentlich in der neueren Zeit das Gepräge gegeben haben, ebenso notwendig ist es, dass diejenigen Wunden, die von dieser Seite her notwendig der menschlichen Gesellschaft geschlagen worden sind, dadurch geheilt werden, dass man den Menschen und das menschliche Gemeinschaftsleben in ein richtiges Verhältnis bringt zu den drei Gliedern dieses sozialen Organismus. Das Wirtschaftsleben hat einfach durch sich selbst in der neueren Zeit ganz bestimmte Formen angenommen. Es hat durch eine einseitige Wirksamkeit in das menschliche Leben sich besonders machtvoll hereingestellt. Die andern beiden Glieder des sozialen Lebens sind bisher nicht in der Lage gewesen, mit derselben Selbstverständlichkeit sich in der richtigen Weise nach ihren eigenen Gesetzen in den sozialen Organismus einzugliedern. Für sie ist es notwendig, dass der Mensch aus den oben angedeuteten Empfindungen heraus die soziale Gliederung vornimmt, jeder an seinem Orte; an dem Orte, an dem er gerade steht. Denn im Sinne derjenigen Lösungsversuche der sozialen Fragen, die hier gemeint sind, hat jeder einzelne Mensch seine soziale Aufgabe in der Gegenwart und in der nächsten Zukunft.“