Rudolf Steiner: Was sind denn eigentlich Gedanken?

(GA 317 S. 28) 

Nun fassen wir zunächst das Denken ins Auge mit der zugrunde liegenden synthetischen Tätigkeit des Gehirns. So müssen wir uns darüber klar sein, was Gedanken eigentlich sind. Denn Gedanken treten ja stückweise immer in den kindlichen Organismus herein. Auch der erwachsene Mensch hat das, was überhaupt ein Mensch denken kann, mehr oder weniger in Fragmenten um sich. Der eine hat eine größere Fülle von Gedanken, der andere eine geringere. Aber was sind denn eigentlich Gedanken? Die heutige Anschauung, die dann in den Wulffenianismus ausartet, die sieht in den Gedanken etwas, was im Menschen entwickelungsgemäß stufenweise entsteht. Und wenn auch halt der Mensch dazu kommt, solche Gedanken zu haben, die in der Welt taugen, so sagt man: Er hat eben diese Gedanken aus sich heraus entwickelt. – Nun wird man, wenn man den Menschen mit anthroposophischer Anschauung wirklich prüft, gar nicht dazu kommen, irgend etwas in ihm zu entdecken, woraus Gedanken entstehen. Alle Untersuchungen, die dahin zielen, zu prüfen, woraus Gedanken entstehen könnten, die sind so vor der Geisteswissenschaft, als wenn jemand täglich morgens von irgendwoher einen gefüllten Milchtopf gestellt bekäme, einen Topf mit Milch, und eines Tages aus seiner Gescheitheit heraus anfangen würde nachzudenken, in welcher Weise der Ton, aus dem der Milchtopf geformt ist, jeden Morgen die Milch aus sich hervorbringt. Man wird im Ton, aus dem der Milchtopf geformt ist, niemals etwas finden, woraus die Milch hervorgehen konnte. Nun stellen wir uns vor, irgendein Dienstmädchen, nein, sagen wir, eine aus dem Gouvernantenstande heraus aufgestiegene moderne Hausfrau – wenn auch das fast unmöglich ist – nicht wahr, es könnte aber einmal vorkommen, dass jemand niemals wahrgenommen hätte, wie die Milch in den Milchtopf hereinkommt: man würde eine solche Persönlichkeit für dumm halten, die nachdenken könnte darüber, wie aus dem Ton die Milch heraussickert, wie das bewirkt wird. Ja es ist wirklich eine Hypothese, die sich selbst ad absurdum führt, wenn man annimmt, dass mit Bezug auf den Milchtopf jemand zu dieser Ansicht kommt. Die Wissenschaft in bezug auf das Denken kommt zu dieser Hypothese. Sie ist so dumm, sie ist ganz zweifellos so dumm. Denn wenn man ans Untersuchen mit allen Mitteln herankommt, die die Geisteswissenschaft bietet, von denen nun schon seit mehr als zwanzig Jahren gesprochen wird, wenn man mit den Mitteln herangeht, so findet man in alldem, was menschliche Organisation ist, auch nichts, was Gedanken hervorbringen könnte. Das gibt es einfach nicht. Geradeso wie die Milch in den Milchtopf hereingegossen werden muss, damit sie darinnen ist, so müssen die Gedanken in den Menschen hineinkommen, damit sie darinnen sind. 

Und woher kommen sie im Leben, das zunächst in Betracht kommt zwischen Geburt und Tod? Wo sind sie? So wie das Hervorgehen der Milch erforscht werden kann, so müssten Sie finden, wo die Gedanken sind. Wo sind diese Gedanken? Nun sehen Sie, wir sind umgeben von der physischen Welt. Aber auch von der ätherischen Welt, aus der ja unmittelbar, bevor wir heruntersteigen zu unserer physischen Inkarnation, der menschliche Ätherleib genommen wird. Der menschliche Ätherleib wird ja aus dem allgemeinen Weltenäther genommen, der durchaus überall vorhanden ist. Nun, dieser Weltenäther, meine lieben Freunde, der ist in Wirklichkeit der Träger der Gedanken. Dieser Weltenäther, den alle gemeinsam haben, er ist der Träger der Gedanken, da sind die Gedanken darinnen, da sind jene lebendigen Gedanken eben darinnen, von denen ich Ihnen immer gesprochen habe auch in anthroposophischen Vorträgen, dass der Mensch ihrer teilhaftig ist im vorirdischen Leben, bevor er auf die Erde heruntersteigt. Das alles, was überhaupt an solchen Gedanken vorhanden ist, ist im lebendigen Zustande im Weltenäther darinnen und wird niemals entnommen aus dem Weltenäther im Leben zwischen Geburt und Tod, niemals, sondern alles, was der Mensch an lebendigem Gedankenvorrat in sich enthält, empfängt er dann in dem Augenblick, wo er aus der geistigen Welt heruntersteigt, also sein eigenes lebendiges Gedankenelement verlässt, wenn er heruntersteigt und sich seinen Ätherleib bildet. Dadrinnen sind noch die lebendigen Gedanken, in dem, was am Menschen bildet und organisiert. 

Wenn ich also das Schema von gestern noch einmal mache, wenn Sie hier den Menschen sehen, wenn wir hier das symptomatische Seelenleben, Denken, Fühlen, Wollen haben, wenn wir dahinter haben das Seelenleben, das wirkliche Seelenleben, so haben wir einen Teil des wirklichen Seelenlebens in den Gedanken. – Und diese Gedanken, die wir aus dem allgemeinen Weltenäther herausnehmen, die bilden uns vorzugsweise unser Gehirn und im weiteren Sinne unser Nerven-Sinnessystem. Das ist das lebendige Denken, das bildet uns das Gehirn zum Abbauorgan, zu dem Organ, das gewissermaßen in folgender Art die Materie behandelt. 

Wenn wir hinausschauen auf die Umgebung, da haben wir die Substanz des Irdischen um uns herum, in ihren verschiedenen Prozessen und Wirkungsarten. Diese Prozesse, die da in der Natur leben, die werden stufenweise abgebaut von der Tätigkeit des lebendigen Denkens, so dass fortwährend hier (siehe Tafel 2) abgebaut wird, das heißt, die Prozesse gestoppt werden, die die Naturprozesse sind. Also im Gehirn wird der Anfang damit gemacht, dass die Naturprozesse gestoppt werden und die Materie fortwährend in Absonderung herausfällt. Die herausgefallene Materie, die also ausgeschiedene und unbrauchbar gewordene Materie: das sind die Nerven. Und diese Nerven bekommen dadurch, dass sie in dieser Weise vom lebendigen Denken bearbeitet werden, bekommen dadurch, dass sie fortwährend ertötet werden, eine Fähigkeit, die der Spiegelungsfähigkeit ähnlich ist. Dadurch bekommen sie die Fähigkeit, dass sich durch sie die Gedanken des umliegenden Äthers spiegeln, und dadurch entsteht das subjektive Denken, das oberflächliche Denken, das nur in Spiegelbildern besteht, das wir in uns tragen zwischen Geburt und Tod. Wir werden also dadurch, dass wir das lebendige Denken in uns wirkend tragen, fähig gemacht, der Weit unser Sinnes- und Nervensystem entgegenzustellen, die Eindrücke, die im umliegenden Äther leben, in Spiegelbildern zu erzeugen und in unser Bewusstsein zu schmeißen. So dass also dieses Denken und Vorstellen des oberflächlichen Seelenlebens nichts anderes ist, als der Reflex der im Weltenäther lebenden Gedanken. 

Nun, wenn Sie sich selber mit Ihrem Spiegelbild vergleichen, so werden Sie darauf kommen, dass Sie etwas anderes sind als das Spiegelbild. Ebenso können Sie die Gedanken mit ihren Spiegelbildern vergleichen und bekommen dadurch das tote Denken, wie das Spiegelbild tot ist Ihnen gegenüber, der Sie als Lebender vor dem Spiegelbild stehen. Es kann ein verzerrter, ein unlogischer, ein verrückter Gedanke niemals im Weltenäther vorhanden sein. Die Gedanken aber, welche das gewöhnliche, das oberflächliche Seelenleben enthält, sind ja nur die Spiegelungen der Gedanken im Weltenäther. Woher kann nun ein verrückter, ein querköpfiger Gedanke kommen? Dadurch, dass der Spiegel, all dasjenige, was da entstanden ist im Aufbau des Gehirns, nicht in Ordnung ist. Also handelt es sich darum, dass wir in richtiger Weise den Weg zurückfinden von den verzerrten Gedanken zu dem, was im menschlichen Gehirn beziehungsweise im Sinnes-Nervensystem eigentlich wirkt, was der Mensch sich aufgebaut hat aus dem wirklichen lebendigen Gedankenleben heraus. Daraus ersehen Sie, dass es sich eigentlich ungeheuer stark darum handeln wird, dass wir von dem Bewusstsein ausgehen: an den Gedankeninhalt selber, an die eigentlichen Gedanken können wir gar nicht herankommen, denn die sind ja im Weltenäther in ihrer absoluten Richtigkeit vorhanden. 

 

 

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