Rudolf Steiner: Was ist denn eigentlich dieses Üben, damit man zum imaginativen Denken kommt?

 

(GA 84 S. 83) 

Was ist denn eigentlich dieses Üben, damit man zum imaginativen Denken kommt? Es besteht darin, dass, während man sonst immer bloß bis zum Spiegel seines Innern sieht, zu dem, was innen herausgespiegelt ist, was aber nichts anderes ist als die äußere Natur, man sich jetzt die Fähigkeit erwirbt, hinter den Spiegel zu sehen. Da ist nicht dasselbe, wie in der äußeren Natur; da sind die menschenschöpferischen Kräfte. Das ist die andere Seite des Denkens. Hier ist das tote Denken, auch abstraktes Denken genannt. Da ist das lebendige Denken. Und im lebendigen Denken sind die Gedanken Kräfte. 

Das ist eben das Geheimnis bezüglich des Denkens, dass dasjenige, was man im gewöhnlichen Denken eigentlich in sich hat, nur das Schattenbild dessen ist, was das wahre Denken ist. Aber das wahre Denken durchzieht die Welt, ist als Kräftestruktur in der Welt, nicht bloß im Menschen. 

Es ist gar nicht sehr gescheit, wenn der Mensch glaubt, das Denken sei nur in ihm. Das ist ungefähr so, wie wenn er Wasser aus einem Bache schöpft und das trinkt und nun die Meinung hat: Ja, meine Zunge, die hat fortwährend das Wasser hervorgebracht. Wir schöpfen das Wasser aus dem gesamten Wasservorrat der Erde. Wir geben uns dabei natürlich nicht der Illusion hin, dass unsere Zunge das Wasser hervorbringe. Nur beim Denken tun wir das. Da reden wir davon, dass das Gehirn das Denken hervorbringt, während wir bloß aus dem Gesamtdenken, das in der Welt universal ausgebreitet ist, schöpfen, was wir dann in uns als Gedankensumme haben. 

 

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