Aus Nr. 76 der Rudolf Steiner Gesamtausgabe.
Wenn man das Freiheitsproblem zu belauschen sucht, so wie ich es versuchte in meiner «Philosophie der Freiheit», lernt man zu gleicher Zeit diesen neuzeitlichen Charakter des Denkens kennen. Man lernt dasjenige Denken kennen, welches im Grunde genommen alles äußeren Erfahrungsinhaltes entleert ist, heranerzogen ist zwar an diesem äußeren Erfahrungsinhalt, aber doch nur als subjektive Tatsache lebt.
Von diesem reinen Denken kann man ebensogut sagen, und ich habe das in der Neuauflage meiner «Philosophie der Freiheit» deutlich durchmerken lassen, dass es im Bereiche des Wollens vor sich geht. Aber es ist das Wollen zum Denken ummetamorphosiert, wie man sagen kann. Es ist das Ergebnis desjenigen Denkens, das alle äußere Erfahrung abgestreift hat. Dieses reine Denken ist nur mehr Bild, und ist ganz Bild. Und man muss, wenn man überhaupt zu einem philosophischen Verständnis in unserem Zeitalter kommen will, den Boden erreichen, auf dem man dieses reine Denken hat.
Goethe hat gefühlt, was in diesem reinen Denken liegt. Die anderen können es ihm nur nachfühlen. Daher zitieren sie einen Goetheschen Ausspruch immer falsch, der etwa sagt, der gütige Gott habe ihn davor bewahrt, «über das Denken zu denken». So wie Goethe das meint, so ist es schon richtig. Goethe hat niemals «über das Denken gedacht», weil man allerdings mit dem Denken, in das man sich eingewöhnt hat, dieses reine Denken nicht erreichen kann. Man muss es als Bild anschauen. So dass man sagen kann: Das Denken selber, das man erkennen will, das reine Denken, wird zu einem Anschauen dieses reinen Denkens. Nicht dialektisch, aber anschaulich ist das reine Denken zu erreichen. Man kommt zu diesem Punkt philosophischer Entwickelung an dem Freiheitsproblem, weshalb die Freiheit, wirkliche Freiheit, gar nicht möglich ist ohne die Erreichung dieses reinen Denkens, das bloßes Bild ist.
Solange eine Realität in uns unser Handeln motivieren würde, so lange kann unser Handeln nicht frei sein. Daher ist kein instinktives, kein traditionelles Handeln, kein Handeln unter einem Gewohnten wirklich frei, sondern allein ein Handeln, welches den Bildern, die im reinen Denken weben, folgen kann. Sobald man einer Realität folgt, wird man gestoßen. Wenn man frei sein will, muss man in seinen Willen das Irreale aufnehmen. Wenn Sie sich irgendwie anstoßen, so fühlen Sie, dass der Gegenstand auf Sie eine Wirkung hat. Wenn Sie unter einem Instinkt, unter einem Triebe eine Handlung vollbringen, so müssen Sie fühlen, dass da etwas stößt, dass da keine Freiheit vorliegt. Wenn Sie aber vor einen Spiegel treten, das Bild im Spiegel sehen, so werden Sie sich klar sein darüber, dass das Spiegelbild Ihnen niemals eine Ohrfeige geben kann, dass das Spiegelbild Ihnen niemals einen Stoß geben kann. Das Bild kann nichts machen von sich aus. Der muss machen, der muss handeln, der diesem Bilde gegenübertritt. Da aber das Bild nichts macht, so wird die Handlung dann zu einer freien Handlung. So kann nur ein Denken, das nicht im Realen wurzelt, sondern das reines Bild ist, ein freies Handeln motivieren. Deshalb erlauscht man an dem Problem der Freiheit das Problem des modernen Denkens, des reinen Denkens. Aber man steht in diesem Denken in einer Bilderwelt darinnen.
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