Rudolf Steiner: Dasjenige, was in der Scholastik als Denktechnik enthalten war, das sollten die Menschen wiederum sich aneignen

 

Aus Nr. 225 der Rudolf Steiner Gesamtausgabe.

Jenes Hervorquellen und Hervorsprossen des Denkens, jenes Formen von eigenen Gedanken und logischen Zusammenhängen, das kam eben erst in späterer Zeit auf. Aristoteles ahnte es, ausgebildet wurde es erst von der zweiten Hälfte des 4. nachchristlichen Jahrhunderts an. Aber man gab sich dann während des Mittelalters alle Mühe, gewissermaßen das Denken als solches auszubilden und alles dasjenige auszubilden, was mit dem Denken zusammenhängt. Ein ungeheures Verdienst um die Gesamtentwickelung der Menschheit hat nach dieser Richtung hin das Mittelalter, namentlich die mittelalterliche Scholastik. Sie entwickelte die Praxis des Denkens in der Ideenbildung, in dem Ideenzusammenhang. Sie bildete eine reine Technik des Denkens aus, eine Technik, die jetzt schon wieder verlorengegangen ist. 

Dasjenige, was in der Scholastik als Denktechnik enthalten war, das sollten die Menschen wiederum sich aneignen. Aber man tut es in der Gegenwart nicht gern, weil in der Gegenwart alles darauf ausgeht, die Erkenntnis passiv zu empfangen, nicht sie sich aktiv zu erwerben, aktiv zu erobern. Die innere Tätigkeit und der Drang zur inneren Tätigkeit fehlen in der Gegenwart; diese hatte die Scholastik in der großartigsten Weise. Daher ist derjenige, der die Scholastik versteht, heute noch immer in der Lage, viel besser, viel eindringlicher, viel zusammenhängender zu denken, als etwa, sagen wir, in der Naturwissenschaft heute gedacht wird. Dieses Denken in der Naturwissenschaft ist Schematik, ist kurzatmig, dieses Denken ist inkohärent. Und es sollten eigentlich die Menschen der Gegenwart an dieser Denktechnik und -praxis von der Scholastik lernen. Aber es müsste ein anderes Lernen sein als das, was man heute liebt, es müsste ein Lernen des Tätigen, des Aktiven sein und nicht bloß im Aneignen des fertig Vorgebildeten oder dem Experiment Abgelesenen bestehen.  Und so war das Mittelalter die Zeit, in welcher der Mensch sich innerlich seelisch-denkerisch ausbilden sollte. 

Anmerkung IH: Zur Aneignung dieser scholastischen Denktechnik muss man allerdings nicht die Scholastik selber studieren, denn sie ist in Rudolf Steiners „Philosophie der Freiheit“ enthalten.

 

 

 

 

 

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