Anmerkung IH: Ich bitte, mich nicht misszuverstehen: Ich mache keine Werbung für die Durchführung dessen, was Rudolf Steiner in diesem Buch mit Blick auf die Aneignung übersinnlicher Erkenntnisse anführt.
Denn das ist etwas, was jeder mit sich selber abmachen muss. Und die gesunde Seele weiß schon, wann bestimmte Grenzen der Erkenntnis erreicht und ausreichend durchschritten sind, so dass ein Fortschreiten im Sinne des oben angeführten Buches notwendig und gesund erscheint. Auf der anderen Seite finden sich in diesem Buch so viele gesundende Gedanken-, Seelen- und Willensübungen, bei denen ich mich frage, wie man ohne diese in unserer kranken und krankmachenden Zeit durchkommen und gesund bleiben soll, die man durchführen kann, auch wenn man nicht selber in übersinnliche Gebiete erkennend eindringen will.
Der Grund, warum ich in meinem Artikel auf dieses Buch verweise, ist allein der, dass in diesem unten angeführtem Nachtrag zu diesem Buch Rudolf Steiner eine sehr hilfreiche und plastische Übung zum reinen Denken anführt:
… wenn er sich über das von außen Wahrgenommene oder das im Innern Gewünschte, Gefühlte, Gewollte Gedanken macht, die nicht aus dem Wahrgenommenen, Gefühlten, Gewollten selbst herrühren.
Es ist überraschend, dass diese stilistisch und inhaltlich völlig unphilosophisch erscheinende Schrift Rudolf Steiners
doch letzten Endes ebenfalls genau damit zu tun hat –
und mehr noch: überhaupt erst die gesunde Grundlage für alles das darstellt, was (unter anderem) in diesem Nachtrag (und in diesem Buch) verhandelt wird –
und was auch in der „Philosophie der Freiheit“ die Grundlage für die Freiheit ist: das reine Denken.
Nicht nur die heutigen Denk-Eliten, also Wissenschaftler und sonstige Führungskräfte auf geistigem Gebiete,
die es ja auch im Wirtschaftsleben und in der Politik gibt, wollen weder mit einem philosophischen Anspruch in ihrem Fachgebiet noch mit diesem reinen Denken etwas zu tun haben, sondern auch viele Anthroposophen glauben, diesen grundlegenden Arbeitsaspekt einer strengen Gedankenschulung außer Acht lassen können, um sozusagen auf einem Hintereingang zu höheren Erkenntnissen zu kommen. Da dieses natürlich einen fundamentalen Irrtum darstellt, sah Rudolf Steiner sich damals genötigt, am Ende dieser Artikelserie, die schließlich in oben angeführtem Buch zusammengefasst wurde, zur Auflage des 8. – 11. Tausend diesen unten angeführten Nachtrag zu formulieren. Dessen Stilisierung ist völlig anders als der vorhergehende Text des zugehörigen Buches, aber man kann daran für dessen methodischen Ansatz viel lernen. Vor allen Dingen, dass es für die höheren Gebiete der Erkenntnis keinen gesunden Ausweg aus dieser Notwendigkeit gibt, sich das reine Denken anzueignen. Ein großes Missverständnis wäre es jetzt jedoch, jeden Menschen mit dieser Forderung des reinen Denkens belästigen zu wollen. Aber nicht nur wenn man aus den Niederungen menschlicher Erkenntnis in übersinnliche Gebiete aufsteigen sondern auch wenn die Grundlagen der Freiheit verhandeln werden sollen, dann müssen doch bestimmte Forderungen an das (reine) Denken gestellt werden.
Aus Nr. 10 der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (Hervorhebungen IH):
Der Weg zu übersinnlicher Erkenntnis, der in dieser Schrift gekennzeichnet wird, führt zu einem seelischen Erleben, demgegenüber es von ganz besonderer Wichtigkeit ist, dass, wer es anstrebt, sich keinen Täuschungen und Missverständnissen über dasselbe hingibt. Und es liegt dem Menschen nahe, sich über dasjenige zu täuschen, was hier in Betracht kommt. Eine der Täuschungen, die besonders schwerwiegende, entsteht, wenn man das ganze Gebiet des Seelenerlebens, von dem in wahrer Geisteswissenschaft die Rede ist, so verschiebt, dass es in der Umgebung des Aberglaubens, des visionären Träumens, des Mediumismus und mancher anderer Entartungen des Menschenstrebens eingereiht erscheint. Diese Verschiebung rührt oft davon her, dass Menschen, welche in ihrer von echtem Erkenntnisstreben abliegenden Art sich einen Weg in die übersinnliche Wirklichkeit suchen möchten und die dabei auf die genannten Entartungen verfallen, mit solchen verwechselt werden, die den in dieser Schrift gezeichneten Weg gehen wollen. Was auf dem hier gemeinten Wege von der Menschenseele durchlebt wird, das verläuft durchaus im Felde rein geistig-seelischen Erfahrens. Es ist nur dadurch möglich, solches zu durchleben, dass sich der Mensch auch noch für andere innere Erfahrungen so frei und unabhängig von dem Leibesleben machen kann, wie er im Erleben des gewöhnlichen Bewußtseins nur ist, wenn er sich über das von außen Wahrgenommene oder das im Innern Gewünschte, Gefühlte, Gewollte Gedanken macht, die nicht aus dem Wahrgenommenen, Gefühlten, Gewollten selbst herrühren. Es gibt Menschen, die an das Vorhandensein solcher Gedanken überhaupt nicht glauben. Diese meinen: der Mensch könne nichts denken, was er nicht aus der Wahrnehmung oder dem leiblich bedingten Innenleben herauszieht. Und alle Gedanken seien nur gewissermaßen Schattenbilder von Wahrnehmungen oder von inneren Erlebnissen. Wer dieses behauptet, der tut es nur, weil er sich niemals zu der Fähigkeit gebracht hat, mit seiner Seele das reine, in sich beruhende Gedankenleben zu erleben. Wer aber solches erlebt hat, für den ist es Erfahrung geworden, dass überall, wo im Seelenleben Denken waltet, in dem Maße, als dieses Denken andere Seelenverrichtungen durchdringt, der Mensch in einer Tätigkeit begriffen ist, an deren Zustandekommen sein Leib unbeteiligt ist. Im gewöhnlichen Seelenleben ist ja fast immer das Denken mit anderen Seelenverrichtungen: Wahrnehmen, Fühlen, Wollen usw. vermischt. Diese anderen Verrichtungen kommen durch den Leib zustande. Aber in sie spielt das Denken hinein. Und in dem Maße, in dem es hineinspielt, geht in dem Menschen und durch den Menschen etwas vor sich, an dem der Leib nicht mitbeteiligt ist. Die Menschen, welche dieses in Abrede stellen, können nicht über die Täuschung hinauskommen, welche dadurch entsteht, dass sie die denkerische Betätigung immer mit andern Verrichtungen vereinigt beobachten. Aber man kann im inneren Erleben sich seelisch dazu aufraffen, den denkerischen Teil des Innenlebens auch abgesondert von allem andern für sich zu erfahren. Man kann aus dem Umfange des Seelenlebens etwas herauslösen, das nur in reinen Gedanken besteht. In Gedanken, die in sich bestehen, aus denen alles ausgeschaltet ist, was Wahrnehmung oder leiblich bedingtes Innenleben geben. Solche Gedanken offenbaren sich durch sich selbst, durch das, was sie sind, als ein geistig, ein übersinnlich Wesenhaftes. Und die Seele, die mit solchen Gedanken sich vereinigt, indem sie während dieser Vereinigung alles Wahrnehmen, alles Erinnern, alles sonstige Innenleben ausschließt, weiß sich mit dem Denken selbst in einem übersinnlichen Gebiet und erlebt sich außerhalb des Leibes. Für denjenigen, welcher diesen ganzen Sachverhalt durchschaut, kann die Frage gar nicht mehr in Betracht kommen: gibt es ein Erleben der Seele in einem übersinnlichen Element außerhalb des Leibes? Denn für ihn hieße es in Abrede stellen, was er aus der Erfahrung weiß. Für ihn gibt es nur die Frage: was verhindert die Menschen, eine solche sichere Tatsache anzuerkennen? Und zu dieser Frage findet er die Antwort, dass die in Frage kommende Tatsache eine solche ist, die sich nicht offenbart, wenn der Mensch sich nicht vorher in eine solche Seelenverfassung versetzt, dass er die Offenbarung empfangen kann. Nun werden zunächst die Menschen misstrauisch, wenn sie selbst etwas erst rein seelisch tun sollen, damit sich ihnen ein an sich von ihnen Unabhängiges offenbare. Sie glauben da, weil sie sich vorbereiten müssen, die Offenbarung zu empfangen, sie machen den Inhalt der Offenbarung. Sie wollen Erfahrungen, zu denen der Mensch nichts tut, gegenüber denen er ganz passiv bleibt. Sind solche Menschen außerdem noch unbekannt mit den einfachsten Anforderungen an wissenschaftliches Erfassen eines Tatbestandes, dann sehen sie in Seelen-Inhalten oder Seelen-Hervorbringungen, bei denen die Seele unter den Grad von bewusster Eigenbetätigung herabgedrückt ist, der im Sinneswahrnehmen und im willkürlichen Tun vorliegt, eine objektive Offenbarung eines nicht sinnlichen Wesenhaften. Solche Seelen-Inhalte sind die visionären Erlebnisse, die mediumistischen Offenbarungen. – Was aber durch solche Offenbarungen zutage tritt, ist keine übersinnliche, es ist eine untersinnliche Welt. Das menschliche bewusste Wachleben verläuft nicht völlig in dem Leibe; es verläuft vor allem der bewussteste Teil dieses Lebens an der Grenze zwischen Leib und physischer Außenwelt; so das Wahrnehmungsleben, bei dem, was in den Sinnesorganen vorgeht, ebensogut das Hineinragen eines außerleiblichen Vorganges in den Leib ist wie ein Durchdringen dieses Vorganges vom Leibe aus; und so das Willensleben, das auf einem Hineinstellen des menschlichen Wesens in das Weltenwesen beruht, so dass, was im Menschen durch seinen Willen geschieht, zugleich Glied des Weltgeschehens ist. In diesem an der Leibesgrenze verlaufenden seelischen Erleben ist der Mensch in hohem Grade abhängig von seiner Leibesorganisation; aber es spielt die denkerische Betätigung in dieses Erleben hinein, und in dem Maße, als das der Fall ist, macht sich in Sinneswahrnehmung und Wollen der Mensch vom Leibe unabhängig. Im visionären Erleben und im mediumistischen Hervorbringen tritt der Mensch völlig in die Abhängigkeit vom Leibe ein. Er schaltet aus seinem Seelenleben dasjenige aus, was ihn in Wahrnehmung und Wollen vom Leibe unabhängig macht. Und dadurch werden Seeleninhalte und Seelen-Hervorbringungen bloße Offenbarungen des Leibeslebens. Visionäres Erleben und mediumistisches Hervorbringen sind die Ergebnisse des Umstandes, dass der Mensch bei diesem Erleben und Hervorbringen mit seiner Seele weniger vom Leibe unabhängig ist als im gewöhnlichen Wahrnehmungs- und Willensleben. Bei dem Erleben des Übersinnlichen, das in dieser Schrift gemeint ist, geht nun die Entwickelung des Seelen-Erlebens gerade nach der entgegengesetzten Richtung gegenüber der visionären oder mediumistischen. Die Seele macht sich fortschreitend unabhängiger vom Leibe, als sie im Wahrnehmungs- und Willensleben ist. Sie erreicht diejenige Unabhängigkeit, die im Erleben reiner Gedanken zu fassen ist, für eine viel breitere Seelenbetätigung.
Für die hier gemeinte übersinnliche Seelenbetätigung ist es außerordentlich bedeutsam, in voller Klarheit das Erleben des reinen Denkens zu durchschauen. Denn im Grunde ist dieses Erleben selbst schon eine übersinnliche Seelenbetätigung. Nur eine solche, durch die man noch nichts Übersinnliches schaut. Man lebt mit dem reinen Denken im Übersinnlichen; aber man erlebt nur dieses auf eine übersinnliche Art; man erlebt noch nichts anderes Übersinnliches. Und das übersinnliche Erleben muss sein eine Fortsetzung desjenigen Seelen-Erlebens, das schon im Vereinigen mit dem reinen Denken erreicht werden kann. Deshalb ist es so bedeutungsvoll, diese Vereinigung richtig erfahren zu können. Denn von dem Verständnisse dieser Vereinigung aus leuchtet das Licht, das auch rechte Einsicht in das Wesen der übersinnlichen Erkenntnis bringen kann. Sobald das Seelen-Erleben unter die Bewusstseinsklarheit, die im Denken sich auslebt, heruntersinken würde, wäre sie für die wahre Erkenntnis der übersinnlichen Welt auf einem Irrwege. Sie würde erfasst von den Leibesverrichtungen; was sie erlebt und hervorbringt, ist dann nicht Offenbarung des Übersinnlichen durch sie, sondern Leibesoffenbarung im Bereich der untersinnlichen Welt.
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