von Ingo Hagel
Herbert Ludwig:
Für eine Handlung kommt in Betracht, was an Motiven ins Bewusstsein tritt und was als Triebfedern aus der menschlichen Organisation wirkt. Zu Motiven werden augenblickliche Gedankeninhalte, Triebfedern sind in der dauerhaften individuellen Beschaffenheit, in seinen charakterologischen Anlagen begründet.
Herbert Ludwig schildert anhand der „Philosophie der Freiheit“ Rudolf Steiners mit Blick auf die Triebfedern als deren unterste Stufe die sinnlichen Triebe und Begierden des Menschen (wie Hunger und Geschlechtstrieb), Gefühle (Mitgefühl, Schamgefühl, Stolz und so weiter) sowie bestimmte Vorstellungen, die sich im Verlaufe des Lebens eines Menschen aus dessen Wahrnehmungen der Welt herausgebildet haben. Ludwig schreibt zusammenfassend:
Die geschilderten Triebfedern lassen keine freie Handlung entstehen, sondern nur solche, die der Mensch auf einen äußeren Anstoß aus innerem Zwang gleichsam automatenhaft vollzieht.
Nein, natürlich lassen diese von Herbert Ludwig „geschilderten Triebfedern“ keine freie Handlung entstehen. Denn er hat die Wichtigste unter den Triebfedern – so wie sie von Rudolf Steiner in seinem Buch „Die Philosophie der Freiheit“ geschildert werden – einfach weggelassen. Und das ist das reine Denken. Wenn man dies tut, dann müssen jedoch sämtliche weiteren Betrachtungen zu den Motiven sowie zu den Grundlagen und Bedingungen einer freien Handlung im Sinne der „Philosophie der Freiheit“ missverstanden werden.
Rudolf Steiner schildert dieses reine Denken als höchste Stufe der Triebfedern im neunten Kapitel seiner „Philosophie der Freiheit“ so:
Die höchste Stufe des individuellen Lebens ist das begriffliche Denken ohne Rücksicht auf einen bestimmten Wahrnehmungsgehalt. Wir bestimmen den Inhalt eines Begriffes durch reine Intuition aus der ideellen Sphäre heraus. Ein solcher Begriff enthält dann zunächst keinen Bezug auf bestimmte Wahrnehmungen. Wenn wir unter dem Einflüsse eines auf eine Wahrnehmung deutenden Begriffes, das ist einer Vorstellung, in das Wollen eintreten, so ist es diese Wahrnehmung, die uns auf dem Umwege durch das begriffliche Denken bestimmt. Wenn wir unter dem Einflüsse von Intuitionen handeln, so ist die Triebfeder unseres Handelns das reine Denken. Da man gewohnt ist, das reine Denkvermögen in der Philosophie als Vernunft zu bezeichnen, so ist es wohl auch berechtigt, die auf dieser Stufe gekennzeichnete moralische Triebfeder die praktische Vernunft zu nennen. Am klarsten hat von dieser Triebfeder des Wollens Kreyenbühl (Philosophische Monatshefte, Bd. XVIII, Heft 3) gehandelt. Ich rechne seinen darüber geschriebenen Aufsatz zu den bedeutsamsten Erzeugnissen der gegenwärtigen Philosophie, namentlich der Ethik. Kreyenbühl bezeichnet die in Rede stehende Triebfeder als praktisches Apriori, das heißt unmittelbar aus meiner Intuition fließenden Antrieb zum Handeln.
Es ist klar, dass ein solcher Antrieb nicht mehr im strengen Wortsinne zu dem Gebiete der charakterologischen Anlagen gerechnet werden kann. Denn was hier als Triebfeder wirkt, ist nicht mehr ein bloß Individuelles in mir, sondern der ideelle und folglich allgemeine Inhalt meiner Intuition. Sobald ich die Berechtigung dieses Inhaltes als Grundlage und Ausgangspunkt einer Handlung ansehe, trete ich in das Wollen ein, gleichgültig ob der Begriff bereits zeitlich vorher in mir da war, oder erst unmittelbar vor dem Handeln in mein Bewusstsein eintritt, das ist: gleichgültig, ob er bereits als Anlage in mir vorhanden war oder nicht.
Aber auch mit Blick auf die Motive, die einer Handlung zugrunde liegen, lässt Ludwig schlichtweg dasjenige höchste Motiv aus Rudolf Steiners „Philosophie der Freiheit“ weg, das eben allein geeignet ist, Freiheit und eine freie Handlung zu begründen: das reine Denken.
Teil 1) Warum nehmen so viele Menschen die Unfreiheit hin? – Wie lässt sich Freiheit wirklich begründen?
Teil 2) Die Triebfedern einer Handlung
Teil 3) Die Motive einer Handlung
Teil 7) Aber was ist und wie komme ich denn nun zum reinen Denken?
Teil 8) Eine weitere Möglichkeit, um dieses reine Denken zu üben
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