Rudolf Steiner zum Empfinden der Menschen, dass die „Philosophie der Freiheit“ nicht auf Deutsch, sondern auf Chinesisch geschrieben war 

  

(GA 350 S. 148) 

Aber das ist es, worauf es zuallererst ankommt: daß man selbständig selber denken lernt. Ohne daß man selbständig selber denken kann, kann man nicht in die geistige Welt hineinkommen. Dazu ist natürlich notwendig, daß man überhaupt zuallererst darauf kommt: Donnerwetter, du hast ja in deiner Jugend gar nicht selber denken gelernt! Du hast nur gelernt, das zu denken, was seit Jahrhunderten durch den Gebrauch der lateinischen Sprache gedacht worden ist. – Und wenn man dies in der richtigen Weise weiß, dann weiß man, daß die allererste Bedingung, auf die es ankommt zum Hineinkommen in die geistige Welt, ist: Lerne selbständig denken. 

Aber jetzt kommt das, worauf ich hindeuten wollte, indem ich sagte, in der letzten Zeit ist etwas Merkwürdiges vorgekommen. Diejenigen Menschen, die am meisten nur nach dem Lateinischen gedacht haben, das waren ja die Gelehrten, und die Gelehrten haben zum Beispiel die Physik gemacht. Die Physik haben sie ausgedacht, sie haben sie gedacht ganz im Sinne der lateinischen Sprache mit dem physischen Gehirn. Als wir klein waren, als ich so alt war wie zum Beispiel da der junge Erbsmehl, da haben wir nur eine Physik gelernt, die ausgedacht worden ist mit dem lateinischen Gehirn. Nur das haben wir ja gelernt, was ausgedacht worden ist mit dem lateinischen Gehirn. Aber seither, meine Herren, ist ja ungeheuer viel geschehen. Sehen Sie, als ich klein war, kam eben das Telephon auf. Es war ja vorher nicht da. Nachher kamen alle die anderen großen Erfindungen, in die heute der Mensch schon so hineinwächst, als wenn sie immer dagewesen wären. Die sind ja erst in den allerletzten Jahrzehnten gekommen. Dadurch sind immer mehr Leute in die Wissenschaft hineingekommen, die nicht lateinisch dressiert worden sind. Das ist solch eine merkwürdige Geschichte. Wenn man nämlich dem wissenschaftlichen Leben in den letzten Jahrzehnten nachgeht, so findet man, daß immer mehr solche Techniker hineinkommen in die Wissenschaft. Die haben sich nicht viel mit dem Lateinischen befaßt. Dadurch ist ihr Denken nicht so automatisch geworden. Und dieses nichtautomatische Denken ist dann auch auf die anderen übergegangen. Daher ist es heute so, daß die Physik lauter Begriffe, Ideen hat, die zerfallen. Die sind höchst interessant. Da ist zum Beispiel der Professor Grüner in Bern, der vor zwei Jahren über die Neuorientierung der Physik gesprochen hat. Da hat er gesagt: Alle Begriffe sind anders geworden in den letzten Jahren. 

Daß man das nicht bemerkt, kommt eben nur davon her, daß, wenn Sie heute in populäre Vorträge gehen, Ihnen die Leute noch das erzählen, was man vor zwanzig Jahren gedacht hat! Das was heute gedacht wird, das können sie Ihnen nicht erzählen, weil sie selber noch nicht denken können. Es ist nämlich gerade so, wenn man die Begriffe nimmt, die man noch vor dreißig Jahren hat gelten lassen, wie wenn man ein Stückchen Eis hat und das zerschmilzt: die Ideen zerschmelzen. Sie sind nicht mehr da, wenn man sie genau denken will. Wir müssen das eben einsehen. Es ist ja so: Wenn einer vor dreißig Jahren Physik gelernt hat und heute sich anschaut, wie es geworden ist, möchte er sich die Haare ausraufen, weil er sich sagen muß: Ja, da komme ich nicht zu Brande mit den Begriffen, die ich gelernt habe! – Dies ist eben so. Und woher rührt das? Ja, das rührt eben davon her, weil in den letzten Jahren die Menschen durch die Entwickelung der Menschheit dazu gebracht worden sind, daß der Ätherleib anfangen soll zu denken. Und das wollen sie nicht, sie wollen mit dem physischen Leib weiter denken. Aber im physischen Leib fallen einem die Begriffe ganz auseinander. Und mit dem Ätherleib wollen sie nicht denken lernen. Selbständig denken wollen sie nicht lernen. 

Nun, sehen Sie, da ist es eben so, daß es notwendig geworden ist, daß ich im Jahre 1893 dieses Buch geschrieben habe über die Philosophie der Freiheit. Dieses Buch, «Die Philosophie der Freiheit», ist nicht so wichtig durch das, was drinnen steht. Natürlich, das, was drinnen steht, das wollte man schon auch dazumal der Welt sagen, aber das ist nicht das Allerwichtigste, sondern das Wichtige bei diesem Buche «Die Philosophie der Freiheit» ist, daß zum ersten Mal ganz und gar selbständiges Denken in diesem Buche ist. Kein Mensch kann das Buch verstehen, der nur unselbständig denkt. Er muß sich Seite für Seite, ganz von Anfang an, daran gewöhnen, zurückzugehen zu seinem Ätherleib, um solche Gedanken überhaupt haben zu können, wie sie in diesem Buche sind. Deshalb ist dieses Buch ein Erziehungsmittel – es ist ein sehr wichtiges Erziehungsmittel – und als solches muß man es auffassen.

Als das Buch erschienen war in den neunziger Jahren, da haben die Leute überhaupt nicht gewußt, was sie mit ihm machen sollen. Das ist für sie so gewesen, wie wenn einer in Europa chinesisch schreibt und kein Mensch das verstehen kann. Es war ja natürlich deutsch geschrieben, aber es war in Gedanken geschrieben, die den Leuten gar nicht gewohnt waren, weil in dieser Beziehung alles Lateinische ganz absichtlich abgestreift ist. Es ist zum ersten Male ganz bewußt Rücksicht darauf genommen: Da drinnen sollen keine Gedanken sein, die noch durchs Lateinische beeinflußt sind, sondern nur ganz selbständige Gedanken. – Ein Lateiner ist ja nur das physische Gehirn. Der Ätherleib des Menschen ist kein Lateiner. Daher muß man sich erst bemühen, in einer Sprache solche Gedanken auszudrücken, wie man sie dann hat, wenn man sie im Ätherleib hat. 

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