von Ingo Hagel
Mit Blick auf die Empfindungen gegenüber der Tatsache, dass der heutige Mensch (vom Arbeiter – früher meist als Proletarier bezeichnet – bis zum Angestellten etc.) seine Arbeitskraft wie eine Ware gegen Geld (Lohn) verkaufen muss, hatte Rudolf Steiner bereits in seinem Buch “Die Kernpunkte der sozialen Frage” darauf hingewiesen (Hervorhebungen IH):
” … wie stark als einer der Grundimpulse der ganzen modernen proletarischen sozialen Bewegung in den Instinkten, in den unterbewussten Empfindungen des modernen Proletariats ein Abscheu davor lebt, dass er seine Arbeitskraft dem Arbeitgeber ebenso verkaufen muss, wie man auf dem Markte Waren verkauft, der Abscheu davor, dass auf dem Arbeitskräftemarkt nach Angebot und Nachfrage seine Arbeitskraft ihre Rolle spielt, wie die Ware auf dem Markte unter Angebot und Nachfrage … Im Altertum gab es Sklaven. Der ganze Mensch wurde wie eine Ware verkauft. Etwas weniger vom Menschen, aber doch eben ein Teil des Menschenwesens selber wurde in den Wirtschaftsprozess eingegliedert durch die Leibeigenschaft. Der Kapitalismus ist die Macht geworden, die noch einem Rest des Menschenwesens den Charakter der Ware aufdrückt: der Arbeitskraft”.
Weiter beschreibt Rudolf Steiner dort die inneren Gründe für das beschriebene Herauslösen der menschlichen Arbeitskraft über ein Teilungsverhältnis des gemeinsam von Arbeitsleiter und Arbeitsleister Erwirtschafteten. Er schildert, warum man die menschliche Arbeitskraft aus dem Wirtschaftsprozess “herausreißen” muss, und warum es (mit Blick auf die Lohnfrage) gar nichts hilft, der Wirtschaft selber eine andere Form zu geben (Hervorhebungen IH):
“Man sieht, wie die moderne Wirtschaftsform in der neueren geschichtlichen Entwickelung der Menschheit heraufgezogen ist. Man sieht auch, dass diese Wirtschaftsform der menschlichen Arbeitskraft den Charakter der Ware aufgeprägt hat. Aber man sieht nicht, wie es im Wirtschaftsleben selbst liegt, dass alles ihm Eingegliederte zur Ware werden muss. In der Erzeugung und in dem zweckmäßigen Verbrauch von Waren besteht das Wirtschaftsleben. Man kann nicht die menschliche Arbeitskraft des Warencharakters entkleiden, wenn man nicht die Möglichkeit findet, sie aus dem Wirtschaftsprozess herauszureißen. Nicht darauf kann das Bestreben gerichtet sein, den Wirtschaftsprozess so umzugestalten, dass in ihm die menschliche Arbeitskraft zu ihrem Recht kommt,sondern darauf: Wie bringt man diese Arbeitskraft aus dem Wirtschaftsprozess heraus, um sie von sozialen Kräften bestimmen zu lassen, die ihr den Warencharakter nehmen? Der Proletarier ersehnt einen Zustand des Wirtschaftslebens, in dem seine Arbeitskraft ihre angemessenen Stellung einnimmt. Er ersehnt ihn deshalb, weil er nicht sieht, dass der Warencharakter seiner Arbeitskraft wesentlich von seinem völligen Eingespanntsein in den Wirtschaftsprozess herrührt.Dadurch, dass er seine Arbeitskraft diesem Prozess überliefern muss, geht er mit seinem ganzen Menschen in demselben auf. Der Wirtschaftsprozess strebt so lange durch seinen eigenen Charakter danach, die Arbeitskraft in der zweckmäßigsten Art zu verbrauchen, wie in ihm Waren verbraucht werden, so lange man die Regelung der Arbeitskraft in ihm liegen lässt. Wie hypnotisiert durch die Macht des modernen Wirtschaftslebens richtet man den Blick allein auf das, was in diesem wirken kann. Man wird durch diese Blickrichtung nie finden, wie Arbeitskraft nicht mehr Ware zu sein braucht. Denn eine andere Wirtschaftsform wird diese Arbeitskraft nur in einer andern Art zur Ware machen. Die Arbeitsfrage kann man nicht in ihrer wahren Gestalt zu einem Teile der sozialen Frage machen, solange man nicht sieht, dass im Wirtschaftsleben Warenerzeugung, Warenaustausch und Warenkonsumtion nach Gesetzen vor sich gehen, die durch Interessen bestimmt werden, deren Machtbereich nicht über die menschliche Arbeitskraft ausgedehnt werden soll.”
Schließlich beschreibt Rudolf Steiner das wirkliche Verhältnis (auf das es also ankommt, das zu beachten ist) zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit Blick auf deren aufgewendete Arbeit bei der Produktion einer Ware so (GA 23, alle Anmerkungen und Hervorhebungen IH):
“Innerhalb der kapitalistischen Wirtschaftsform hat sich diese Arbeit dem sozialen Organismus so eingegliedert, dass sie durch den Arbeitgeber wie eine Ware dem Arbeitnehmer abgekauft wird. Ein Tausch wird eingegangen zwischen Geld (als Repräsentant der Waren) und Arbeit. Aber ein solcher Tausch kann sich in Wirklichkeit gar nicht vollziehen. Er scheint sich nur zu vollziehen. In Wirklichkeit nimmt der Arbeitgeber von dem Arbeiter Waren entgegen, die nur entstehen können, wenn der Arbeiter seine Arbeitskraft für die Entstehung hingibt. Aus dem Gegenwert dieser Waren erhält der Arbeiter einen Anteil
(denn er ist an der Entstehung dieser Ware genauso beteiligt wie der organisierend tätige Arbeitgeber; niemals darf dieser “Anteil” als Lohn – das heißt Bezahlung für die Ware Arbeit – bezeichnet werden, da es sich real eben um etwas völlig anderes handelt, nämlich um eine Teilung des von Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam Erarbeiteten; Anmerkung IH),
der Arbeitgeber den anderen. Die Produktion der Waren erfolgt durch das Zusammenwirken des Arbeitgebers und Arbeitnehmers. Das Produkt des gemeinsamen Wirkens geht erst in den Kreislauf des Wirtschaftslebens über. Zur Herstellung des Produktes ist ein Rechtsverhältnis zwischen Arbeiter und Unternehmer notwendig
(welches in der heutigen Zeit eben noch darin besteht, dass der Arbeiter seine Arbeit wie eine Ware für Geld verkaufen muss; dieses nicht mehr zeitgemäße Rechtsverhältnis muss durch ein anderes, nämlich einen Anteil an dem Erlös der gemeinsam hergestellten Ware ersetzt werden; Anmerkung IH).
Dieses kann aber durch die kapitalistische Wirtschaft in ein solches verwandelt werden, welches durch die wirtschaftliche Übermacht des Arbeitgebers über den Arbeiter bedingt ist. Im gesunden sozialen Organismus muss zutage treten, dass die Arbeit nicht bezahlt werden kann. Denn diese kann nicht im Vergleich mit einer Ware einen wirtschaftlichen Wert erhalten
(und wenn sie das heute doch erhält, dann nur, weil die Menschen noch nicht bewusst einsehen können, dass der Verkauf von Arbeitskraft für Geld ein unmenschlicher Anachronismus ist, etwas, was überhaupt nicht mehr in die Zeit und das (Rechts-) Empfinden der Menschen passt; Anmerkung IH).
Einen solchen hat erst die durch Arbeit hervorgebrachte Ware im Vergleich mit anderen Waren. Die Art, wie, und das Maß, in dem ein Mensch für den Bestand des sozialen Organismus zu arbeiten hat, müssen aus seiner Fähigkeit heraus und aus den Bedingungen eines menschenwürdigen Daseins geregelt werden. Das kann nur geschehen, wenn diese Regelung von dem politischen Staate ausin Unabhängigkeit von den Verwaltungen des Wirtschaftslebens geschieht.”
Und im Band “Soziale Zukunft” charakterisierte Rudolf Steiner den Lohn als solchen (also nicht die Höhe des Lohns) als etwas, was es eigentlich gar nicht mehr gibt (beziehungsweise geben sollte), da er nur noch durch einen Betrug der wirtschaftlich Stärkeren zustande kommt (Hervorhebungen IH):
“Man denkt so stark im Sinne der heutigen Gesellschaftsordnung, der heutigen Ordnung, dass man in weitesten Kreisen überhaupt nicht gewahr wird, wie der Lohn als solcher ja in Wirklichkeit eine soziale Unwahrheit ist. In Wirklichkeit besteht das Verhältnis so, dass der sogenannte Lohnarbeiter zusammenarbeitet mit dem Leiter der Unternehmung, und was stattfindet, ist in Wirklichkeit eine Auseinandersetzung – die nur kaschiert wird durch allerlei täuschende Verhältnisse, durch Machtverhältnisse meistens und so weiter – über dieVerteilung des Erlöses. Wenn man paradox sprechen wollte, so könnte man sagen: Lohn gibt es ja gar nicht, sondern Verteilung des Erlöses gibt es – heute schon, nur dass in der Regel derjenige heute, der der wirtschaftlich Schwache ist, sich bei der Teilung übers Ohr gehauen findet. Das ist das ganze.”
Aufgrund dieser Zusammenhänge (das heißt in der geschichtlichen und geistigen Entwicklung der Menschheit, nicht als immer noch bestehendes soziales Problem) habe
“das Lohnverhältnis überhaupt vollständig seine Bedeutung verloren.” Daher “darf nicht mehr daran gedacht werden, die Arbeit als solche zu bezahlen. … Die Arbeit wird einem Rechtsverhältnis … unterstellt; …”
In GA 330 geht Rudolf Steiner auf die Aspekte eines richtig verstandenen Sozialismus ein (Hervorhebungen und Anmerkungen IH):
“Ich habe in früheren Vorträgen bereits darauf hingewiesen, worin der Hauptpunkt liegt. Man könnte sagen, zwei Hauptpunkte des ganzen Sozialismus liegen in den zwei Forderungen, zu denen sich dann wie von selbst, als eine selbständige Konsequenz, eine dritte ergibt. Sie liegen erstens in der Forderung, dass künftighin das in die Produktionsmittel eingeflossene Kapital nicht mehr Besitz sein dürfte. Kapital wird des Besitzcharakters entkleidet. Zweitens, Arbeit darf in der Zukunft nicht mehr Ware sein, das heißt in der zukünftigen sozialistischen oder sozialen Gesellschaft, im gesunden sozialen Organismus wird das Lohnverhältnis aufhören. Arbeit oder Arbeitskraft darf fernerhin nicht Ware sein
(die gegen Lohn verkauft werden muss; Anmerkung IH).
Derjenige, der handarbeitet, produziert als Kompagnon mit dem geistigen Arbeiter in der Weise, wie es schon charakterisiert worden ist. Es besteht kein Arbeitsvertrag
(der ja heute immer noch die Legitimation für das unwürdige Verhältnis eines Verkaufs der zu leistenden Ware Arbeitskraft gegen Lohn darstellt; Anmerkung IH),
es besteht ein Vertrag lediglich über die Teilung der Leistungen. Das ist dasjenige, was nur erreicht werden kann, wenn der Arbeiter dem Arbeitsleiter als ein völlig freier Mensch gegenübersteht, das heißt wenn er imstande ist, auf einem ganz anderen Boden als dem der Wirtschaftsordnung Maß, Zeit, Art seiner Arbeitskraft festzulegen, wenn er frei verfügen kann über sich als ganzen Menschen, bevor er in ein Vertragsverhältnis eintritt. Ich weiß, dass die Zöpfe von heute
(der Vortrag wurde im Jahr 1919 gehalten, die Bemerkung trifft heute aber sicher noch zu; Anmerkung IH)
sich das Gesagte noch nicht vorstellen können als etwas Praktisches. Allein, man hat vor fünfzig Jahren sich manches nicht als praktisch vorstellen können, was in den fünfzig Jahren seither etwas Praktisches geworden ist. Der Arbeiter tritt in das Vertragsverhältnis als ein freier Mensch ein, der sagen kann: Weil ich auf einem von dem Wirtschaftsleben unabhängigen Boden den Charakter meiner Arbeitskraft feststellen kann, trete ich dir jetzt entgegen und arbeite so, wie meine Arbeitskraft geregelt ist, mit dir zusammen. Dasjenige, was wir erzeugen, unterliegt einem Teilungsvertrag mit dir!”
Hier mehr zum Teilungsvertrag.