von Stella Hagel
Die drei Grazien sollen einen Spaziergang machen mit mir, der Tante. Große Debatte, was auf diesen Spaziergang mitgenommen werden darf. Mir persönlich wäre es am liebsten, sie würden nichts mitnehmen, was ich nach kurzer Zeit mit ziemlicher Sicherheit schleppen muss. Püppchen, Hasen oder Bären, das geht. Dann kann ich die Kleinste immer noch an die Hand nehmen, wenn es nötig ist. Aber nein, es geht um Größeres: Roller und Puppenwagen. Ich sehe sie schon mit dem Roller viel zu schnell den Hügel runtersausen und fühle mein armes Herz einen Stock tiefer rutschen vor Angst. Schließlich habe ich keine sehr starken Mamaseelenmuskeln. Und dann den Hügel wieder rauf … Mir schwant schon, dass sie keine Lust haben werden, irgendetwas bergauf zu schieben und deshalb melde ich deutlichst meine Bedenken an: „Ach, bitte, bitte, nicht den Puppenwagen und den Roller.“ Aber die Mädchen sind beinhart und ich ziehe den Kürzeren. Nicht ohne ihnen eindringlich das Versprechen abzunehmen, alles, was sie mitgenommen haben, wieder selber nach Hause zu bringen. „Ja sälbstverständliach!“ versprechen sie. Die Mädchen können sich nicht erinnern, mir je Scherereien gemacht zu haben. „Ja nai, siacher nit! Was Du nur immer mainsch!“
Wir ziehen zusammen los. Schnell habe ich den Bären der Kleinsten in der einen und ihr Händchen in der anderen Hand. Die anderen ermahne ich, wenn es mir nötig erscheint, dass sie etwas vorsichtiger fahren, und bergauf erinnere ich sie an ihr Versprechen, dass nicht ich das Zeug schieben muss. Doch schon nach kurzem merke ich, wie’s ihnen anfängt zu stinken, und wie sie gern von allem Plunder befreit wären. Durch gutes Zureden und versteckte Drohungen lotse ich sie weiter. Doch auf dem Rückweg wird’s brenzlich. Mit unverhohlener Lustlosigkeit sind sie nur noch dabei, als hätten wir eine riesige Wanderung hinter uns. Als 300 Meter vor der Haustür noch eine kleine Spielkameradin auftaucht, schmeißen mir die beiden Großen den Roller vor die Füße, der Puppenwagen bleibt stehen, wo er steht, und sie hauen ohne ein Wort ab. Da schiebe ich den Roller mit der einen, den Wagen mit der anderen Hand, ärgerlich, aber gottergeben nach Hause. „Ich hab’s ja gewusst.“ Aber jetzt ist das kleine Clärchen total frustriert. Die Schwestern sind fort, sie ist allein, die Tante hat sie losgelassen und nun soll sie ganz allein nachhause tappeln, und müde ist sie auch. Beleidigt lässt sie sich auf die Erde nieder und bleibt verstockt hocken. Nach ein paar Metern merke ich, dass das Clärchen nicht mehr da ist, sehe sie am Straßenrand hocken und rufe: „Clärchen, komm, warum sitzt Du denn da?“ Clärchen: „Iach bi müad, Du muascht mi träge!“, kommt es weinerlich. „Aber Clärchen, ich kann dich nicht tragen, ich muss schon den Roller und den Puppenwagen schieben! Nun komm doch, bald sind wir daheim!“ Das sieht das Clärchen überhaupt nicht ein und legt es wirklich darauf an, dass ich sie holen komme und sie trage. Dabei ist sie, wenn auch wirklich nicht dick, doch ein kräftiges, kleines Persönchen, welches dementsprechend sein Gewicht hat. „Nein!“. Ich bleibe eisern stehen. „Ich kann dich nicht holen, Du musst kommen!“ Beleidigtes Schweigen und Hockenbleiben. Da stehen wir nun mindestens 20 Minuten, während die Dorfbewohner amüsiert an uns vorbeispazieren, unseren kleinen Machtkampf interessiert beäugend, bis endlich mal ich gewonnen habe. Das Clärchen gibt den Kampf auf, erhebt sich und kommt immer noch beleidigt angetrottet.