Meditation als Seelenexperiment

von Ingo Hagel

Die Meditation ist ein „Seelenexperiment“, wie Rudolf Steiner hier in dieser längeren Passage wiederholt sagt: 

Systematisch, methodisch wird das erreicht durch eine intime innere Verrichtung, die man auch ein intimes inneres Seelenexperiment nennen kann, und die ich schon öfter hier mit dem Ausdruck Meditation bezeichnete. Man muss das Wort Meditation nur in dem Umfange nehmen, in dem es hier gemeint ist, als technischen Ausdruck für das Erstreben, eine solche Fähigkeit auszubilden, durch die der Seelenblick hingerichtet werden kann gerade auf diese Entwickelung des Denkens.

In diesem Seelenexperiment, wie Rudolf Steiner diese Meditation mit einem „technischen Ausdruck“ nennt, geht es nicht um irgendwelche schwülstigen Entwicklungen von Gefühlen, die Herabdrückung des Denkens zum Träumen oder überbordende „geistvolle“ Gedanken, sondern um die nüchterne Technik einer „Entwickelung des Denkens“. Dieses Experiment muss man immer wieder probieren, bis es gelingt. 

Probieren sagte Rudolf Steiner auch damals zu dem Philosophen Eduard von Hartmann 

mit Blick auf das Erlernen des reinen, sinnlichkeitsfreien Denkens – 

auf dessen Ebene jede Meditation ablaufen muss: 

Was auf dem hier gemeinten Wege von der Menschenseele durchlebt wird, das verläuft durchaus im Felde rein geistig-seelischen Erfahrens. 

Man muss das sinnlichkeitsfreie Denken immer wieder „probieren„, dann wird man es „zuletzt auch wirklich können„:  

Wenn ich in meiner «Philosophie der Freiheit» vom reinen Denken spreche, so war diese Bezeichnung für die damaligen Kultur Verhältnisse schon deplaciert; denn Eduard von Hartmann sagte mir einmal: «Das gibt es gar nicht; man kann nur an Hand der äußeren Anschauung denken!» Ich konnte ihm darauf nur antworten: «Man muß es probieren; man wird es dann schon lernen und zuletzt auch wirklich können.»

Auch die Denktechnik des Seelenexperimentes der Meditation 

wird man immer wieder probieren müssen, damit man dann zuletzt diese auch wirklich kann. Aber es gilt eben: Zwar ist es leicht, doch ist das Leichte schwer!       

Es ist eine scheinbar anspruchslose Betätigung des inneren Seelenlebens, aber man könnte mit Bezug auf das, was hier gemeint ist, wie es im Goetheschen «Faust» heißt, sagen: «Zwar ist es leicht, doch ist das Leichte schwer!»

Man kann die Technik dieses Seelenexperimentes keinem Menschen direkt mitteilen. 

Es handelt sich um ein Seelenexperiment. Auch im Labor muss der Chemiker die methodische Anweisung, die er in einer anderen Publikationen gelesen hat und für sich selber umsetzen will, immer wieder ausprobieren, bis er sie richtig im Griff und in den Händen, das heißt im Willen hat. Diese Geschicklichkeit kann man keinem theoretisch vermitteln. Jeder muss sie sich durch eigene probierende Praxis erwerben.  

Es handelt sich bei einer Anweisung zur Meditation also nicht um eine vom TÜV geprüfte 100-prozentig funktionierende und garantiert sichere Gebrauchsanleitung eines neuen Gerätes aus dem Elektromarkt, nach deren Lektüre man die entsprechenden Knöpfe drückt, und dann läuft es. 

Aber das dauert lange, weil man es selber finden muss. 

Keiner kann es einem sagen, man kann nur mit Worten die Richtung weisen. Es ist ein Seelenexperiment, dass man selber durchführen muss. Und alle Hinweise, die Rudolf Steiner diesbezüglich gab, müssen in der eigenen Seele immer von einem selber in ein entsprechend verständnisvolles Handeln auf seelisch-geistigem Gebiet umgewandelt werden. Wer dieses Gebiet nicht finden kann oder will, wird – weil er diese Hinweise nur mit dem Kopf versteht – nicht weiterkommen. 

Gilt es doch immer, das nur passiv Beobachtende des gewöhnlichen Bewusstseins zu überwinden 

und das Denken in eine Willenshandlung zu überführen. Zu lesen ist es zum Beispiel schon im Zusatz zum dritten Kapitel der „Philosophie der Freiheit“ (GA 4 S. 55): 

… es kommt darauf an, daß nichts gewollt wird, was, indem es sich vollzieht, vor dem «Ich» nicht restlos als seine eigene, von ihm überschaubare Tätigkeit erscheint. 

Das liest sich so schnell und denkt sich so einfach, aber machen tut es sich schwer. 

Zwar ist es leicht, doch ist das Leichte schwer! 

Macht man es genau so, wie es da steht, dann macht man es richtig. 

An anderen Stellen beschreibt Rudolf Steiner das immer wieder in anderen Worten – aber es bedeutet immer dasselbe Obige. 

… es kommt darauf an, daß nichts gewollt wird, was, indem es sich vollzieht, vor dem «Ich» nicht restlos als seine eigene, von ihm überschaubare Tätigkeit erscheint. 

Und es liegt immer an der Umsetzung des geschriebenen oder einstmals gesprochenen Wortes, ob dieses Seelenexperiment gelingt.  

Aber so ist es immer bei allen diesen Schilderungen Rudolf Steiners zur Meditation, zum wirklichen Denken, zur Beobachtung des Denkens, zum Finden des realen Geistes: 

Zwar ist es leicht, doch ist das Leichte schwer!

Den „Geist“ denken sich die Menschen irgendwo außen liegend – 

wenn sie ihn heute überhaupt noch anerkennen, suchen und – denken wollen.

Sie stellen sich das so vor, wie Rudolf Steiner das mit Blick auf Eduard von Hartmann in der GA 232 beschreibt: Stühle, Tische und so weiter, draußen, außen liegend:  

Die Menschen, auch die sogenannten denkenden Menschen der Gegenwart, kommen mit ihrem Denken eigentlich nur dazu, in ihm ein Abbild der sinnlichen Außenwelt zu erleben. Und dann sagen sie: Vielleicht könnte einem in dem Denken auch etwas kommen von einer überphysischen Welt; aber es müßte dann das auch so sein, daß geradeso, wie der Stuhl, wie der Tisch draußen ist, und von dem Denken vorausgesetzt wird, daß es drinnen ist, so müßte nun dieses Denken, das da drinnen ist, auch auf irgendeine Weise erleben können ein außerhalb des Menschen zu erfassendes Übersinnliches, wie der Tisch und der Stuhl außerhalb sind. – So ungefähr dachte sich Eduard von Hartmann die Aufgabe des Denkens. 

Und genau so – wie Eduard von Hartmann damals – wollen sie den Geist 

ebenfalls nur passiv mit dem gewöhnlichen Bewusstsein beobachten – 

was nicht angebracht ist in dieser Angelegenheit – 

wie sie alles mögliche andere im Leben in der Sinneswelt außen Liegende nur passiv nach Art der naturwissenschaftlichen Methode beobachten wollen – 

aber in der Naturwissenschaft ist diese Methode angebracht. 

Aber so ist der reale Geist nicht zu beobachten. 

Er ist innen liegend, er ist ein rein menschliches Erzeugnis dahingehend, dass ohne die Aktivität des Willens des Menschen es diesen Geist nicht gibt. Es gibt dann nur den „Geist“ des Kopfes, der – auch wenn man Idealist ist – kein wirklicher, lebendiger Geist ist, sondern nur der tote, abstrakte Intellekt – vielleicht geistvoll, anerkennenswert, aber eben toter, abstrakter Intellekt. Und Alles, was beobachtet werden soll, muss durch den Willen von Einem selber erzeugt werden. Das ist – 

im Prinzip – es kommt schon noch einiges Andere dazu –  

das ganze Geheimnis. 

Zwar ist es leicht, doch ist das Leichte schwer! 

Dieses Geheimnis ist im Prinzip so leicht umzusetzen, 

dass Rudolf Steiner an anderer Stelle von einer Verwandlung des reinen Denkens der „Philosophie der Freiheit“

im Handumdrehen – sagen wir im Denkumdrehen

spricht. Dieses reine Denken der „Philosophie der Freiheit“ –

das, wie oben gezeigt, der Denktechnik der Meditation zugrundeliegt –

kann dann genauso gut als reiner Wille bezeichnet werden:

Nehmen Sie also an, Sie könnten Gedanken im reinen Gedankenflusse haben. Dann beginnt für Sie der Moment, wo Sie das Denken bis zu einem Punkte geführt haben, an dem es gar nicht mehr Denken genannt zu werden braucht. Es ist im Handumdrehen – sagen wir im Denkumdrehen – etwas anderes geworden. Es ist nämlich dieses mit Recht «reines Denken» genannte Denken reiner Wille geworden; es ist durch und durch Wollen. Sind Sie im Seelischen so weit gekommen, daß Sie das Denken befreit haben von der äußeren Anschauung, dann ist es damit zugleich reiner Wille geworden. Sie schweben, wenn ich so sagen darf, mit Ihrem Seelischen im reinen Gedankenverlauf. Dieser reine Gedankenverlauf ist ein Willensverlauf. Damit aber beginnt das reine Denken, ja sogar die Anstrengung nach seiner Ausübung, nicht nur eine Denkübung zu sein, sondern eine Willensübung, und zwar eine solche, die bis in das Zentrum des Menschen eingreift. Denn Sie werden die merkwürdige Beobachtung machen: Erst jetzt können Sie davon sprechen, daß das Denken, wie man es im gewöhnlichen Leben hat, eine Kopftätigkeit ist.

Wie oben gesagt: 

Es handelt sich immer wieder um das bereits in der „Philosophie der Freiheit“ Gesagte: 

Das reine Denken muss reiner Wille werden. Was beobachtet werden soll am Denken wird willentlich von Einem selber bewusst gedacht. Und nichts Anderes wird gedacht, als was der Wille denken will: 

… es kommt darauf an, daß nichts gewollt wird, was, indem es sich vollzieht, vor dem «Ich» nicht restlos als seine eigene, von ihm überschaubare Tätigkeit erscheint.

Das liest sich so leicht – denkt man sich mit dem Kopf des gewöhnlichen Bewusstseins. Und verstanden hat man es mit diesem Kopf vielleicht auch – was aber nichts Anderes heißt, dass man es nicht verstanden hat, sondern vielleicht nur Worte auswendig gelernt hat. Das Ganze harrt also der Umsetzung. Es ist leicht, wenn man diese Umsetzung einmal raus hat. Aber bis dahin ist dieses Leichte eben schwer:   

Je nach der Anlage des Menschen dauert es wochen-, monate-, jahrelang, bis irgendein Ergebnis erreicht wird. So dass allerdings die meisten Menschen, wenn sie einen solchen inneren Weg nehmen, längst die Geduld verloren haben, wenn es zu irgendeinem Ergebnis kommen könnte.

  

  

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