Aus der Rudolf Steiner Gesamtausgabe des Internets, GA 1, S. 122:
Es ist ja richtig: Wir haben auf allen Gebieten der Kultur Fortschritte zu verzeichnen. Daß das aber Fortschritte in die Tiefe sind, kann kaum behauptet werden. Für den Gehalt eines Zeitalters sind aber doch nur die Fortschritte in die Tiefe maßgebend. Unsere Zeit möchte man aber am besten damit bezeichnen, daß man sagt; Sie weist überhaupt Fortschritte in die Tiefe als für den Menschen unerreichbar zurück. Wir sind mutlos auf allen Gebieten geworden, besonders aber auf jenem des Denkens und des Wollens. Was das Denken betrifft: Man beobachtet endlos, speichert die Beobachtungen auf und hat nicht den Mut, sie zu einer wissenschaftlichen Gesamtauffassung der Wirklichkeit zu gestalten. Die deutsche idealistische Philosophie aber zeiht man der Unwissenschaftlichkeit, weil sie diesen Mut hatte. Man will heute nur sinnlich schauen, nicht denken. Man hat alles Vertrauen in das Denken verloren. Man hält es nicht für ausreichend, in die Geheimnisse der Welt und des Lebens einzudringen; man verzichtet überhaupt auf jegliche Lösung der großen Rätselfragen des Daseins. Das einzige, was man für möglich hält, ist: die Aussagen der Erfahrung in ein System zu bringen. Dabei vergißt man nur, daß man sich mit dieser Ansicht einem Standpunkt nähert, den man längst für überwunden hält. Die Abweisung alles Denkens und das Pochen auf die sinnliche Erfahrung ist, tiefer erfaßt, doch nichts als der blinde Offenbarungsglaube der Religionen. Der letztere beruht doch nur darauf, daß die Kirche fertige Wahrheiten überliefert, an die man zu glauben hat. Das Denken mag sich abmühen, in ihren tieferen Sinn einzudringen; benommen aber ist es ihm, die Wahrheit selbst zu prüfen, aus eigener Kraft in die Tiefen der Welt zu dringen. Und die Erfahrungswissenschaft: was fordert sie vom Denken? Daß es lausche, was die Tatsachen sagen, und diese Aussagen auslege, ordne usw. Selbständig in den Kern der Welt einzudringen, versagt auch sie dem Denken. Dort fordert die Theologie blinde Unterwerfung des Denkens unter die Aussprüche der Kirche, hier die Wissenschaft blinde Unterwerfung unter die Aussprüche der Sinnenbeobachtung. Da wie dort gilt das selbständige, in die Tiefen dringende Denken nichts. Die Erfahrungswissenschaft vergißt nur eins. Tausende und aber Tausende schauten eine sinnenfällige Tatsache und gingen an ihr vorüber, ohne etwas Auffälliges an ihr zu merken. Dann kam einer, der sie anblickte und ein wichtiges Gesetz an ihr gewahr wurde. Woher kommt das? Doch nur davon, weil der Entdecker anders zu schauen verstand als seine Vorgänger. Er sah die Tatsache mit andern Augen an als seine Mitmenschen. Er hatte bei dem Schauen einen bestimmten Gedanken, wie man die Tatsache mit andern in Zusammenhang bringen müsse, was für sie bedeutsam sei, was nicht. Und so legte er sich denkend die Sache zurecht und er sah mehr als die andern. Er sah mit den Augen des Geistes. Alle wissenschaftlichen Entdeckungen beruhen darauf, daß der Beobachter in der durch den richtigen Gedanken geregelten Weise zu beobachten versteht. Das Denken muß die Beobachtung naturgemäß leiten. Das kann es nicht, wenn der Forscher den Glauben an das Denken verloren hat, wenn er nicht weiß, was er von dessen Tragweite zu halten hat. Die Erfahrungswissenschaft irrt ratlos in der Welt der Erscheinungen umher; die Sinnenwelt wird ihr eine verwirrende Mannigfaltigkeit, weil sie nicht die Energie im Denken hat, in das Zentrum zu dringen.
Man spricht heute von Erkenntnisgrenzen, weil man nicht weiß, wo das Ziel des Denkens liegt. Man hat keine klare Ansicht, was man erreichen will und zweifelt daran, daß man es erreichen wird. Wenn heute irgend jemand käme und uns mit Fingern auf die Lösung des Welträtsels zeigte, wir hätten nichts davon, weil wir nicht wüßten, was wir von der Lösung zu halten haben.
Hat Ihnen dieser Artikel etwas gegeben? Dann geben Sie doch etwas zurück! – Unterstützen Sie das Freie Geistesleben, also zum Beispiel meine Arbeit im Umkreis-Institut durch eine
Das geht sehr einfach über eine Überweisung oder über PayPal.
Sollte Ihnen aber Ihre Suchmaschine diesen Artikel nur zufällig auf den Monitor geworfen haben, Sie das alles sowieso nur für (elektronisches) Papier beziehungsweise nur für Worte – also für Pille-Palle – halten, dann gibt es
einen angenehmen und lustigen Ausgang für Sie.
Falls Ihnen dieser Artikel jedoch unverständlich, unangebracht, spinnig oder sogar „esoterisch“ vorkommt, gibt es vorerst wohl nur eines: