Dasjenige, was wir uns erringen, indem wir, wie ich es geschildert habe, das Intellektuelle mehr umwandeln, das ist das, daß wir nicht nur uns hineinarbeiten in ein tatsächliches Erleben des Seelischen, sondern daß wir dazu gelangen, jetzt auch den Übergang zu finden – und zwar nicht durch äußere Beobachtung, sondern jetzt durch inneres Erleben – zu dem, was wir nun rein im Geiste erfaßt haben. Denn wir sind durch Imagination, durch Inspiration und Intuition gegangen und haben das Geistige erfaßt. Und wir gelangen dazu, das, was wir imaginativ wirklich erfassen – wenn wir dazu die anderen Erkenntnisarten hinzufügen -, nun verfolgen zu können in bezug auf die physischen Vorgänge, die sich durch dieses seelisch-geistige Leben im menschlichen Organismus abspielen. Kurz, man kommt jetzt dazu, durch tatsächliche Forschung, durch Beobachtung oder, wenn ich nicht mißverstanden werde, kann ich mich auch so ausdrücken, daß ich sage: durch inneres Experiment, – man kommt dazu, das in der Wirklichkeit zu schauen, was heute die Psychologen, die Seelenkundigen durch Spekulation anstreben. Da wird immer gefragt: Ja, wie wirkt die äußere Welt auf den menschlichen Organismus? Wirkt sie auf dem Umwege durch die Beobachtung, durch das Denken? Wie wirkt auf der anderen Seite der Mensch durch den Willen in die Tätigkeit, in die Beweglichkeit des Organismus hinein und so weiter?
Zu diesen Dingen – man nenne es nun Wechselwirkung oder Paralellismus oder wie all die Worte heißen, die aber Worte bleiben -, zu diesen Dingen, die man in spekulativer Weise sucht, für die man aber durch Spekulation niemals zu einem Ergebnis kommen kann, zu ihnen dringt man einfach durch inneres Anschauen dann, wenn man zur Imagination gelangt ist. Dann erkennt man, daß diese Imagination nichts anderes ist als eine höhere Entwicklungsstufe dessen, was ich in meiner «Philosophie der Freiheit», die anfangs der neunziger Jahre in der ersten Auflage erschienen ist, genannt habe «das reine Denken», jenes reine Denken, das ich dazumal zugrunde legte dem Begriff der menschlichen Freiheit. Dieses reine Denken, in dem eigentlich auch der reine Wille lebt, das ist dasjenige Denken, von dem der Impuls der freien Handlung ausgehen muß. Im gewöhnlichen Leben wird es oft nicht bemerkt, wenn es auftritt, und es tritt dann auf, wenn in irgendeinem Teil unserer sonst determinierten Handlung Freiheit steckt. Wir können nicht fragen, ob wir frei sind oder nicht, wir sind immer in einem Teil nur frei, aber die Freiheit lebt in unserm Handeln. Das Höher-Entwickeln dieses Denkens zu einer wirklichen Realität hinauf, die nun geistiger Art ist, das ergibt die Möglichkeit, nun in innerer Anschauung die Beziehung des Denkens nicht nur zur Seele, wie ich es eben geschildert habe, sondern auch zu dem physischen Organismus zu finden. Wie gesagt, so paradox das für den heutigen Menschen auch erscheint, es ist doch so, daß derjenige, der in dieser Weise das Denken erlebt, weiß, daß in der Entfaltung des Denkens etwas liegt, was in dem menschlichen Organismus – es ist in der Tierheit ganz anders – in einer Konsolidierung des Materiellen gewissermaßen einen Prozeß darstellt, der im wesentlichen ein Nervenprozeß ist, der in seinem Zusammenhang mit dem Denken bis in sein Physisches hinein geschaut werden kann. Es ist ein Prozeß, den man vergleichen kann mit einem Konsolidieren der Materie, mit dem, was eintritt, wenn sich irgendein Stoff, der in einem anderen aufgelöst ist, absetzt. Dieses materielle Konsolidieren, dieses Dichterwerden des Materiellen, dieses Sich-Heraussondern des Materiellen aus einem Medium, das ist dasjenige, was nun tatsächlich erlebt wird.
Die andere Seite, die Ausbildung des Willens, sie wird anders erlebt, wenn das Erleben bis in das Physisch-Organische hineingeführt wird. Man erlebt nun: Jeder wirkliche Willensakt, alles, was dem Willen entspricht, das wirkt im Organischen so, daß es etwas darstellt, was sich vergleichen läßt mit einer Art von Auflösung, von Zerstäubung des Materiellen. Man könnte auch sagen: Es ist etwas, was sich in einer Art materiellem Vorgang auslebt, der mit dem Erwärmen beginnt und in einen Prozeß hineinläuft, der beim Erwärmen anfängt und der dann eben allmählich hineinläuft in dasjenige, was auch im gewöhnlichen Leben unsere Willensentfaltung mehr oder weniger bewußt darstellt. Während im gewöhnlichen Leben das Vollbewußte damit verknüpft ist, daß innerlich ganz feine Konsolidierungen der Materie vor sich gehen, gehen Auflösungen des Materiellen vor sich, wenn mehr oder weniger unbewußte Willensakte im gewöhnlichen Leben sich abspielen; – nicht so im geistigen Leben, da werden sie sich durchsichtig entfalten.
Bei der anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft, wie sie hier gemeint ist, handelt es sich nicht um jene nebulosen Dinge, von denen in der gewöhnlichen Mystik die Rede ist, sondern hier handelt es sich um eine ebenso strenge Ausgestaltung einer inneren Seelenverfassung, wie sie zum Beispiel eintritt bei der Heranbildung der mathematischen Methodik. Da handelt es sich darum, daß man für das übersinnliche Forschen darauf verzichten lernt, herumzureden, herumzumysteln, wenn ich mich des Ausdrucks bedienen darf; da handelt es sich darum, daß man in bezug auf die Entwicklung der Seele mit innerer Systematik streng vorgeht, wie man es gewöhnt geworden ist aus dem wissenschaftlichen Gewissen und der wissenschaftlichen Disziplin der neueren Zeit heraus. Daher werden in der Geisteswissenschaft auch diejenigen vor allen Dingen berufen sein, etwas zu sagen, die sich zuerst im äußeren Forschen wissenschaftliches Gewissen und wissenschaftliche Disziplin wirklich angeeignet haben.
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… Ich möchte auch noch erwähnen: Man kann sogar – und das ist nicht das Schlechteste dieser Geisteswissenschaft, denn es behütet vor Illusionen -, man kann, wenn man schon sehr viel für sich geleistet hat in dieser Beziehung, zum Skeptizismus kommen und kann immer wieder genötigt sein, diesen Skeptizismus zu überwinden. Man muß innerlich immer wieder arbeiten, in innerlicher Regsamkeit. Und diese innerliche Regsamkeit, die fließt auch von demjenigen aus, was mitgeteilt, was niedergeschrieben wird vom Geistesforscher, und was der andere Mensch auf seinen gesunden Menschenverstand hin annehmen kann. Denn Geisteswissenschaft kann von jedem Laien mit gesundem Menschenverstand, ohne daß er Geistesforscher zu sein braucht, ebenso aufgenommen werden, wie die astronomischen Wahrheiten von dem Laien aufgenommen werden können, der sie durchschaut, auch ohne Astronom zu sein. Es geht aber mit demjenigen, was in der Geisteswissenschaft als Begriff, als Idee, als Vorstellung entwickelt wird, die sich auf den ganzen Menschen überträgt, eine innerliche Regsamkeit auf den Menschen über. Es geht, mit anderen Worten, dasjenige Element auf den Menschen über, das man nennen könnte ein geistesgegenwärtiges Anschauen der Welt. Diese Geistesgegenwart, dieses Auffassen des Konkreten, dieses Liegenlassen des bloß Abstrakten, das ist das, was man besonders heranerzieht in der Geisteswissenschaft. Dadurch aber wird man vorbereitet für das Leben in einer lebendigen Erkenntnis.
Man muß es immer wieder und wiederum sagen: In der neueren Zeit ist es für den Menschen schwer, aus der inneren Individualität heraus zu einem solchen sozialen Leben zu kommen, wie ich es beschrieben habe in meiner «Philosophie der Freiheit», die ich schon erwähnt habe, weil dieser Anfang gemacht werden muß mit dem Anschauen der Geistigkeit, wenn auch in primitiver Weise, aber eben doch mit dem Anschauen der Geistigkeit selbst. Wenn man sich aber hineinfindet durch das Studium der Geisteswissenschaft, durch das Einleben in Geisteswissenschaft, dann wird man hingeleitet zum Konkreten. Dieses Konkrete aber, das muß man ergreifen, wenn man dieses Leben, das wir heute im Sinne der neueren Zeit das soziale Leben nennen können, verstehen will. Man braucht nur einige Jahrhunderte zurückzuschauen, um die Veränderung zu erkennen, die vor sich gegangen ist mit der Kulturmenschheit in bezug auf das soziale Leben. Die sozialen Verbände, die sozialen Bindungen sind in früherer Zeit hervorgegangen aus gewissen instinktiven Grundlagen, die in den Menschen gelebt haben, und aus diesen sozialen Bindungen, man könnte sagen, aus dem, was der eine Mensch am anderen Menschen erlebte, ging auch hervor jener besondere Grad von Liebe, der heute ja natürlich nicht mehr zeitgemäß ist, der aber in früheren Jahrhunderten, selbst in denen, die wir nicht heraufbeschwören wollen, doch gelebt hat von Mensch zu Mensch. Dieser Grad von Liebe muß aus den instinktiven Verhältnissen von Mensch zu Mensch verstanden werden.