Rudolf Steiner zu den Hintergründen des Bolschewismus

 

Aus Nr. 338 der Rudolf Steiner Gesamtausgabe, S. 222:

Nun, es gibt heute nämlich einfach den breiteren Untergrund, und dieser breitere Untergrund tritt uns entgegen in einem Scheinbilde heute, in einem wirklichen Scheinbilde. Er tritt uns entgegen im Westen mehr als verbürgerlichte Arbeiterbewegung, in der Mitte Europas als mehr oder weniger so und so nuancierte Sozialdemokratie, und je weiter wir nach Osten kommen, tritt er uns in der Form des Bolschewismus entgegen. Die Lebensbedingungen des Bolschewismus in Russland, die muss man sich einmal klarmachen. Übrigens liegt ja das schlesische Abstimmungsgebiet sehr nahe diesen Lebensbedingungen des Bolschewismus, und man muss sich über diese Lebensbedingungen des Bolschewismus vollständige Klarheit verschaffen.

Sehen Sie, der Bolschewismus rührt einmal davon her, dass die Oberschicht, sei es nun die Adelsschicht, sei es die Bourgeoisschicht, in der neueren Zeit keine Möglichkeit gefunden hat, das Denken auszudehnen über dieselben Gebiete, wohin die Arbeit ausgedehnt worden ist und wohin vor allen Dingen der menschliche Wille ausgedehnt worden ist. Man hat mit den alten Gedanken fortgearbeitet, hat das Kommerzielle, das Wirtschaftliche ausgebaut, hat herangezogen die breite Masse der Bevölkerung, man hat aber keine Schritte getan, um irgendwie anders als aus den alten Staatsverhältnissen heraus dieser breiten Masse der Menschheit irgendwie nachzukommen. Und es muss nun leider gesagt werden: es geschieht auch heute noch nicht, denn in der Weise, wie es einzig geschehen könnte, geschieht es eben noch nicht. Das muss unsere Hauptsorge sein. Denn es ist ein charakteristisches Beispiel, wie man führende Persönlichkeiten herangebracht hat an das, was sich in der breiten Masse der Menschheit eigentlich regt und rührt. Auf einem vernünftigen Wege ist es nicht geschehen. Der Ludendorff erzählt ja selber in seinen Erinnerungen, dass er die Führer des Bolschewismus nach Russland befördert hat; er sagt, es war für ihn eine militärische Notwendigkeit, und die Politiker wären dazu verpflichtet gewesen, die schlimmen Folgen dieser Notwendigkeit abzuwenden. Also er leugnet nicht, dass er dem Bolschewismus in Russland seine Führer gegeben hat, er sagt nur, die Politiker waren nicht gescheit genug, die große Torheit, die er begangen hat, wieder gutzumachen. Solche Dinge sind heute möglich und werden hingenommen. Also aus den urältesten staatlichen Verhältnissen, aus denen heraus Ludendorff gedacht hat, sind dem Bolschewismus die führenden Persönlichkeiten zugeführt worden, nicht aus einem vernünftigen Zusammenwirken der Menschen, die etwas wissen über den Gang der Menschheit und derjenigen Menschen, die eben geführt sein wollen, aber nicht innerhalb der alten Verhältnisse geführt sein wollen, sondern zu neuen Verhältnissen geführt sein wollen. Das ist etwas, was durchaus mit aller Gründlichkeit erkannt sein muss. Seit dem Weltkrieg ist es ja nicht mehr wahr, dass nur die alten Proletarier diese breite Unterschicht ausmachen. Zu dieser breiten Unterschicht gehören Mitglieder aller früheren Klassen. Und auch mit dieser Tatsache rechnet man heute noch nicht. Man rechnet noch nicht damit, dass auf diejenigen Menschen, die sich noch etwas von Intelligenz aus der Vorkriegszeit mitgebracht haben, vor allen Dingen mit vernünftigen Ideen gewirkt werden muss, so dass immer mehr und mehr eine führende Intelligenz auf vernünftige Weise in die Welt hineinkommt. Das ist die allerwichtigste Frage heute, dass den Menschen, die sich noch etwas von Intelligenz bewahrt haben, die Augen aufgetan werden, damit sie zu den richtigen Führern werden. Ohne dieses kommen wir nicht vorwärts. Denn sehen Sie, zwei Dinge stehen bevor. Das eine ist schon angedeutet worden vorhin: der Aufbau innerhalb Mittel- und Osteuropas ist aus anderen Untergründen heraus als durch die Dreigliederung nicht möglich; er ist nicht möglich durch die Menschen Mittel- und Osteuropas, aber auch nicht durch die Menschen der Entente. Die Menschen der Entente und Amerikas könnten nur unter einer Voraussetzung, sei es im Zusammenhang mit der Gewährung von Anleihen im großen Stil oder kleineren Krediten, irgend etwas machen, sie könnten es nur unter der Voraussetzung, dass ein bedeutendes Lohndrücken in Europa stattfände gegenüber Amerika. Da würde sich aber sofort das amerikanische Proletariat dagegen wehren, das würde vielleicht auch das englische Proletariat nicht zulassen. Es würde durch jede Maßregel, die nach dieser Richtung hin ginge, die Revolution in den westlichen Ländern selber gefördert werden. Und das ist dasjenige, was man unbedingt der Menschheit in Aussicht zu stellen hat, dass aus der breitesten Unterschicht heraus, jetzt nicht von auswärts, sondern aus der Unterschicht gedacht, die bolschewistische Revolution auch die westliche Welt ergreift. Die führenden Persönlichkeiten im Westen von heute mögen noch so viele Blockaden aufrichten gegen die bolschewistische Verseuchung des Westens, das, was vom Osten kommt durch Übertragung des Bolschewismus, das ist für diese westlichen Länder nicht die Hauptsache, sondern das ist die Hauptsache, was von unten nach oben steigt; das ist das Wesentliche. 

Nun gibt es heute schon eine Anzahl von Leuten – und diese wird rasch wachsen -, welche einsieht, dass es ganz unmöglich ist, durch irgend etwas anderes als durch die Revolution hindurchzugehen, wenn man im alten Sinne weiterarbeitet. Und gerade so, wie man im alten Sinn den Leuten gesagt hat: wir müssen einen Krieg machen, damit wir die Revolution im eigenen Lande besiegen, heißt es nichts anderes, als dass hingearbeitet werden muss gerade unter den im alten Sinn verständigen Menschen des Westens auf den zweiten Weltkrieg. Es geht gar nicht anders, als dass zur Abwendung des inneren Bolschewismus im Westen auf den zweiten Weltkrieg hingearbei- tet werden muss. Dieser zweite Weltkrieg steht um so sicherer in Aussicht, als im Osten niemals ein Verständnis, sobald die Dinge auf die Spitze getrieben sein werden, gewonnen werden kann für die wirtschaftlichen Maßnahmen des Westens. Im Osten wird sich diejenige Denkweise, die heute in Russland zutage tritt, verbinden sogar mit den religiösen Vorstellungen des Ostens, und es wird über ganz Asien eine Stimmung entstehen, zu deren Führerschaft die japanische Bevölkerung und deren Machthaber außerordentlich taugen, so dass in die wirtschaftlichen Wirren der Zukunft hineinfallen wird die Ost-West-Spannung. Der zweite Weltkrieg, der sich zwischen Asien und Amerika, und was dazwischen liegt, entwickeln muss, er muss sich aus wirtschaftlichen Untergründen heraus ganz unbedingt entwickeln. Sie hören ja, wie aus den Unterschichten heraus der Ruf ertönt: Weltrevolution! Dieser Weltrevolutionsgedanke, er wird mit einem Nebel allein dadurch zugehüllt werden können, dass diese zweite Weltkriegskatastrophe entfesselt wird. Das ist gar nicht anders denkbar.  

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