Rudolf Steiner: Geisteswissenschaftliche Begriffe sind das Heizmaterial der Seele für die Liebe – Geisteswissenschaft ist für das Leben die große Schule der Liebe

 

Aus Nr. 63 der Rudolf Steiner Gesamtausgabe, Seite 418:

Welche Kraft allein ist es denn, die zum Handeln kommen kann, wenn nicht das, was uns von der äußeren Welt abgefordert wird, die Impulse zum Handeln liefert? Welche Impulse können dann wirken? 

Man wird durch eine leichte Erwägung sehen, dass es ein umfassender Impuls sein muss, der dadurch in die Seele dringt, dass diese von einer umfassend wirkenden Kraft erfüllt wird: das ist der Impuls der Liebe, der aus der Seele unmittelbar herausströmt, aber nur dann unmittelbar aus ihr herausströmt, wenn sie von innerlichen Impulsen getrieben wird. Es wird die Geisteswissenschaft, Verständnis für die Geisteswissenschaft, dem Menschen ein Lebensgut liefern, das von unbegrenztem Wert ist: ein immer freieres und freieres Hinneigen zu seinem Handeln, was allein die Kraft des Handelns beleben kann, wenn die Impulse geistige sind, und damit zur Kraft der Liebe. 

Ich habe es in diesen Vorträgen öfters ausgesprochen: Geisteswissenschaft ist für das Leben die große Schule der Liebe. Nicht dass die Geisteswissenschaft bei jeder Gelegenheit von Liebe reden will. Dieses Reden von Liebe und wieder Liebe erinnert einen erst an das Wort Schopenhauers: «Moral predigen ist leicht, Moral begründen schwer», aber noch an etwas anderes. Wenn man immer nur so reden hört von Liebe! Liebe! Liebe! – wenn man hört, dass sich Vereine begründen, welche die Liebe predigen wollen – die Geisteswissenschaft darf vielleicht doch manchmal die Dinge radikal bezeichnen; es wird aber schon herausgefunden werden können, was jeweilig gemeint ist -, dann kommt es einem so vor wie bei den braven Schildbürgern, die das Licht in Säcke fassen und in die Häuser entleeren wollten. Aber so leert sich die Liebe nicht in die Seele. Es ist mit der Menschenseele ähnlich wie mit einem Ofen, dem man nicht zureden braucht, das Zimmer warm zu machen, da dies seine Ofenaufgabe wäre; er tut es von selbst, wenn wir Holz in ihn hineinbringen und es anzünden. Vielleicht könnte jemand dazu sagen: dem Holz sieht man es ja gar nicht an, dass es Wärme gibt. Und doch gibt es Wärme! Indem wir das ganz anders aussehende Holz in den Ofen hineinbringen und es anzünden, bringen wir Wärme in unser Haus. Indem wir uns an die geisteswissenschaftlichen Begriffe gewöhnen, gewöhnen wir uns an eine freie Urteilsfähigkeit, an eine freie Orientierungsfähigkeit in der Welt. Indem wir uns dadurch das Gedächtnis befruchten, bringen wir in unsere Seele herein die Impulse der menschlichen Liebefähigkeit und gewöhnen uns an sie. Und so sicher es ist, dass Wärme in einem Hause entsteht, wenn das Holz richtig verwendet wird, so sicher ist es, dass Liebe, werktätige Menschenliebe, die wirklich helfen kann, entzündet wird durch jene Impulse, die mit der Geisteswissenschaft in die Seelen einziehen. Geisteswissenschaftliche Begriffe sind das Heizmaterial der Seele für die Liebe. 

Gewiss kann man auch da wieder viel einwenden. Vor allem könnte eingewendet werden, dass manche, nach ihrer Ansicht, an denjenigen, die sich mit Geisteswissenschaft beschäftigen, nicht genug Liebe finden. Aber da muss sich schon der Mensch dazu aufschwingen, dass etwas, was da oder dort das Aussehen der Lieblosigkeit an sich tragen könnte, vielleicht doch recht liebevoll sein kann. Wenn zum Beispiel jemand aus einem verkehrten Instinkt oder aus reinem Egoismus heraus dieses oder jenes weniger Erfreuliche anrichtet, und er wird aus einem gesunden Instinkt heraus angeschnauzt, so kann dies eine bessere Betätigung der Liebe sein als manches Wort, das in solchem Augenblicke wohl «liebevoll» sein könnte, aber zu gar nichts helfen würde als zu einem Verschlimmern des Zustandes, aus dem heraus der Betreffende diesen oder jenen Irrtum begangen hat. – Das aber wird die rechte, wahre Erfahrung liefern: dass niemand, der sich mit der Geisteswissenschaft durchdringt, ohne ihren Einfluss bleibt in Bezug auf die Liebe-Entfaltung. 

Geisteswissenschaft wird als ein merkwürdiges Lebensgut wirken gerade auf sittlichem Gebiete, auf dem Gebiete von Menschenhilfe und Menschenwirksamkeit. Sie wird nicht wirken wie äußere Mittel, die abschrecken sollen vor diesem oder jenem. Sie wird anders wirken, wird still in der Seele wirken, aber in der Seele jedes Einzelnen, so dass er die rechten Wege der Liebe-Betätigung findet. Geisteswissenschaft wird wirken wie das Gewissen, so, wie die innere Stimme des Gewissens nicht äußerlich vielleicht straft, die aber um so sicherer der Seele ein Führer ist. Wer sich in die geisteswissenschaftlichen Begriffe einlebt, wird es erfahren, dass da, wo er im wahren Sinne des Wortes Unrecht tut, die Geisteswissenschaft eine Kraft in ihn gesetzt hat, die wie eine Verstärkung des Gewissens wirkt, wie korrigierend, dem Leben Richtung weisend. Und so wird die Geisteswissenschaft nicht durch Programme, nicht durch äußere Vereine, nicht durch Wirksamkeiten wie sie sonst üblich sind, wenn man dieses oder jenes verbreiten will, zum besten auf sittlichem Gebiete wirken; sondern sie wird wirken, sagen wir, indem sie sich der Kultur einverleibt, wie das durch die Menschheit schreitende moralische Gewissen. In der Erhöhung der moralischen Gewissenhaftigkeit, die sich jeder Seele einfügen wird, welche sich mit Geisteswissenschaft durchdringt, wird der ganzen modernen Kultur ein Lebensgut gegeben werden, wenn die Geisteswissenschaft Verständnis findet.  

Und auf Seite 394:

So geht aus allem hervor, wie durch die lebendige Erfassung des geistigen Lebens der Homunkulismus überwunden werden soll. Wie der Homunkulismus vieles nicht sehen kann, so sieht er auch nicht, wozu ihn seine eigenen Kräfte führen. Die Dichter versuchten es darzustellen, und die Geisteswissenschaft fühlt sich durchaus im Einklange mit solchen Poeten, die aus ihrer Ahnung heraus das erfühlten, was die Geisteswissenschaft neu begründen muss. Was die Geisteswissenschaft dem Menschen als Lebensgut sein kann, wie sie ihn ergreifen kann, wie sie seine Seele erfassen kann, wie sie der einzig wahre, der einzig echte Überwinder alles Homunkulismus ist, das soll im nächsten Vortrage dargestellt werden. Heute wollte ich eben zur Anschauung bringen, wie das, was in den Verhältnissen der Gegenwart als Homunkulismus in mancherlei Strömungen unserer Zeit waltet, durchaus auch von Geistern, die mit offenen Augen und offenen Sinnen geschaut haben, erkannt worden ist. 

Ich glaube, man wird Hamerling verstehen auf dem Boden der Geisteswissenschaft; man wird gerade die letzten Worte, die ich mir schon anzuführen erlaubte, verstehen: 

Wer vermag zu sagen, wo

Und wie lang‘ mit dem Homunkel 

Und der Nixe, die gesellt ihm, 

Das verkohlte Riesenluftschiff 

In der ehernen Gesetze,

In des Stoffs, der Kräfte Wirbel

Auf den schrankenlosen Bahnen 

Jagt das waltende Verhängnis? 

Sonntagskinder noch erblicken 

Manchesmal in Sternennächten 

Jenes Wrack als dunklen Irrstern 

Hoch in unermess’ner Ferne,

Und das Schicksal ahnen schaudernd 

Sie des ewig Ruhelosen. 

Aber vielleicht darf man auch diesem Ausspruch gegenüber ein recht weit bekanntes Wort zur Geltung bringen: Warum mit dem Auge des Sonntagskindes in die Weiten des Weltalls blicken, um das Wrack des Riesenluftschiffes aufzusuchen? Der «Munkel» liegt so nahe, es kann ihn Sombart sogar schildern! Er liegt dem modernen Menschen ganz nahe, und zu hoffen ist nur, dass recht viele ahnende und sehende Seelen in dieser Beziehung durch die Geisteswissenschaft ein wenig Sonntagskinder werden, dass sie den ganz nahen, man möchte sagen, in unsere Zeitbildung eingebetteten Homunkulismus, das Wrack einer nur mit natürlichen Kräften genährten Weltanschauung, sehen. Und immer mehr und mehr solcher Sonntagskinder, durch die Geisteswissenschaft zu Sonntagskindern gewordene Menschen, wird es geben. Und was auch, der Ausdruck sei mir verziehen, der Homunkulismus gegen die Geisteswissenschaft wird vorbringen können: die Geisteswissenschaft wird der Menschheit das geben, was sie, wenn sie sich immer besser und besser verstehen lernen wird, doch nicht entbehren kann, wonach sie lechzen und worauf sie hoffen muss: die Seele, und mit der Seele das geistige Leben, wonach heute schon viele verlangen. Daher braucht man um die Zukunft der Geisteswissenschaft nicht besorgt sein. 

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