Rudolf Steiner zu der Tiefe, die in Goethe, Schlegel, Schelling liegt

 

Aus Nr. 174 der Rudolf Steiner Gesamtausgabe, S. 278:

Aus einem instinktiven Bedürfnis weiterer Menschheitskreise ging das Bestreben hervor, das sich eben dann ausdrückte in der Flut von Literatur und Schrifttum, von der ich gesprochen habe. Nun, sehen Sie, sowohl demjenigen, was in der eigentlichen theosophischen Bewegung, namentlich in der Theosophical Society zutage trat, wie auch der andern Flut von allerlei zum Spirituellen hinarbeitenden Schriften, stand man mit der mitteleuropäischen anthroposophischen Bewegung eigentümlich gegenüber, weil eine eigentümliche Erscheinung vorlag. Es war möglich durch die Evolutionsbedingungen des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, dass eine große Anzahl von Menschen geistige Nahrung fand in der Literatur, die also zutage trat, es war möglich, dass eine große Anzahl von Menschen auch furchtbar anstaunte dasjenige, was durch Sinnett und die Blavatsky zutage getreten ist. Aber mit dem mitteleuropäischen Bewusstsein stimmte das nicht ganz gut zusammen. Denn für denjenigen, der die mitteleuropäische Literatur kennt, gibt es gar keinen Zweifel, dass man zum Beispiel nicht ohne weiteres im Fahrwasser dieser mitteleuropäischen Literatur stehen und sich ganz gleich wie viele andere zu dem verhalten kann, was da als eine Flut heraufkam, einfach, weil die mitteleuropäische Literatur unendlich vieles in sich hat – nur durch eine eigentümliche Sprache, auf die sich viele Menschen nicht einlassen wollen, verborgen -, was die spirituell Suchenden haben wollen. 

Wir haben ja öfters von einem der Geister gesprochen, die so recht ein Beweis sein können, wie einfach in der künstlerischen Literatur, in der schöngeistigen Literatur das spirituelle Leben waltet und webt: Novalis. Wir hätten ebensogut, wenn wir für prosaischere Stimmungen hätten sorgen wollen, Friedrich Schlegel anführen können, der über die Weisheit der Inder so geschrieben hat, wie eben jemand schreibt, der nicht nur die Weisheit der Inder wiedergibt, sondern der sie aus dem westlichen Geiste heraus wiedergebiert. Wir hätten auf vieles verweisen können, was mit der Flut, von der ich gesprochen habe, nichts zu tun hat und was dann, ich möchte sagen, historisch im Abrisse von mir charakterisiert worden ist in meinem Buche «Vom Menschenrätsel». Bei Leuten wie Steffens, wie Schubert, wie Troxler findet man ja alles vielfach präziser, viel mehr auf moderner Höhe stehend vor als in der Flut von Literatur, die da plötzlich in den letzten Jahrzehnten des 19. und im Beginne des 20. Jahrhunderts hereingebrochen ist. Man muss sagen, gegenüber der Tiefe, die in Goethe, Schlegel, Schelling liegt, sind wahrhaftig die Dinge, die angestaunt wurden als hohe Weisheit, trivial, richtig trivial. Denn schließlich gilt es ja doch, dass für jemanden, der den Geist Goethes in sich aufgenommen hat, selbst so etwas wie «Licht auf den Weg» etwas Triviales ist. Ich meine, dieses soll man nicht vergessen. Wer den hohen Schwung von Novalis oder Friedrich Schlegel aufgenommen hat, oder sich erfreut hat an Schellings «Bruno», für den gilt diese ganze theosophische Literatur, wie sie aufgetreten ist, dennoch nur als etwas Vulgär-Triviales. Daher stand man vor der eigentümlichen Erscheinung, dass viele Menschen da waren, welche den ernsten, aufrichtigen Willen hatten, zum spirituellen Leben hinzukommen, die aber schließlich durch ihre geistige Artung eine gewisse Befriedigung finden konnten gerade an der charakterisierten Trivial-Literatur. 

Und auf der andern Seite hatte die Entwickelung des 19. Jahrhunderts allmählich den Charakter angenommen, dass die wissenschaftlich gebildeten Leute aus Gründen, die ich oft erörtert habe, materialistische Denker geworden waren, mit denen nichts anzufangen war. Will man aber so recht feststehend das verarbeiten, was um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert durch Schelling, Schlegel, Fichte und andere zutage getreten ist, dann braucht man schon wenigstens einige wissenschaftliche Begriffe. Man kann ohne die nicht auskommen. Daher stand man vor einer sehr eigentümlichen Erscheinung. Es war nicht möglich, zur rechten Zeit etwas herbeizuführen, was hätte wünschenswert erscheinen können, nämlich, dass eine Anzahl, wenn auch eine kleine Anzahl von wissenschaftlich gebildeten Persönlichkeiten in die Lage gekommen wäre, ihre wissenschaftlichen Begriffe so auszubilden, dass sie den Anschluss gefunden hätten an die spirituelle Wissenschaft. Diese Leute waren überhaupt gar nicht zu finden, die waren gar nicht da. Das ist ja überhaupt eine Schwierigkeit, die vorliegt, und diese Schwierigkeit muss man sich klar vor Augen führen.

Nehmen Sie an, man wende sich mit der Anthroposophie an die durch die heutige wissenschaftliche Bildung Gegangenen. Nun, wenn die Leute durch die wissenschaftliche Bildung gegangen sind, Juristen, Mediziner, Philologen geworden sind – von den Theologen gar nicht zu reden -, dann sind sie bei einem bestimmten Lebensalter angekommen, das es notwendig macht, dasjenige, was sie, ich will nicht sagen gelernt haben, aber was sie aufgenommen haben, nun auch wirklich im Leben zu verwerten, so wie das Leben es verlangt. Dann haben sie nicht mehr die Neigung und nicht mehr die Elastizität, aus ihren Begriffen sich herauszuarbeiten nach irgend etwas anderem hin. Und daher, gerade wenn man sich an wissenschaftlich gebildete Menschen wendet mit der Anthroposophie, wird man am allermeisten zurückgestoßen, trotzdem es nur ein weniges bedürfte für den heutigen Wissenschafter, die Brücke zu schlagen. Aber er will diese Brücke nicht schlagen. Es beirrt ihn. Wozu braucht er das? Er hat das gelernt, was das Leben von ihm fordert, und etwas anderes will er nicht haben, weil es ihn beirrt, weil es ihn unsicher macht, wie er glaubt.

Und deshalb wird es schon noch einige Zeit dauern, bis Männer, die die Bildung ihrer Zeit – so wie man das definiert – in sich aufgenommen haben, die Brücke schlagen, wenigstens eine größere Anzahl von Männern. Da muss man durchaus Geduld haben. Das wird sich nicht so leicht machen lassen, insbesondere auf gewissen Gebieten nicht. Bevor aber auf gewissen Gebieten ernsthaftig in Angriff genommen wird dieses Brückenschlagen, werden immer große Hindernisse und Hemmungen eintreten. Vor allen Dingen wird es notwendig sein, auf den Gebieten, die heute den Umkreis der verschiedenen Fakultäten darstellen, mit Ausnahme der Theologie, diese Brücke zu schlagen.  

 

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