von Ingo Hagel
In diesem vorigen Artikel hatte ich darauf hingewiesen, dass die allermeisten Menschen Geist – wenn überhaupt – als etwas irgendwo Außenliegendes vorstellen. Geist, so glauben sie, hat nichts mit ihnen selber zu tun, existiert vielleicht in seiner Realität überhaupt nicht. Sollte das entgegen aller missgünstigen Anthroposophie-, Waldorfschulen-, Biodynamiker- und Homöopathie-Dokus im Fernsehen dennoch der Fall sein, dann ist der Geist auf jeden Fall unerreichbar. Andere, der Esoterik aufgeschlossenere Leute, sind der Ansicht, dass man mit diesem Denken, dass der Mensch so mit sich herum trägt, mit Blick auf den Geist nichts anfangen kann, dass dieses also über Bord geworfen werden muss, damit man mit einer ordentlichen Ladung Räucherkerzen und stimmungsvoller Meditationsmusik in die unbewussten Untergründe seines „göttlichen Selbst“ hinunterkommt.
Rudolf Steiner versuchte immer wieder, diese Jahrhunderte alten Denk- beziehungsweise Nicht-Denk-Gewohnheiten aufzulösen, in dem er die Menschen durch auch philosophische Darstellungen anzuregen versuchte, ihr Denken in einer vorher nie gekannten Weise zu mobilisieren, das heißt, es zu erleben.
In der Erstausgabe seines öffentlich erschienenen
und sich damit durchaus an jeden Menschen richtenden Buches „Rätsel der Philosophie“ –
GA 18, Zweiter Teil, Seite 188 – zur Neuauflage des Buches 1924 GA 18 siehe hier –
verwendete Rudolf Steiner in diesem Absatz zwölf mal die Formulierungen ich, mir, mein, meinen, mich – und hob damit hervor, dass es einzig und allein das denkende Ich des Menschen ist, das jede Ideen- und Geisteswelt hervorbringt (Hervorhebungen IH):
Wenn ich mit meinen Gedanken die Dinge durchdringe, so füge ich also ein seinem Wesen nach in mir Erlebtes zu den Dingen hinzu. Das Wesen der Dinge kommt mir nicht aus ihnen, sondern ich füge es zu ihnen hinzu. Ich erschaffe eine Ideenwelt, die mir als das Wesen der Dinge gilt. Die Dinge erhalten durch mich ihr Wesen. Es ist also unmöglich, nach dem Wesen des Seins zu fragen. Im Erkennen der Ideen enthüllt sich mir gar nichts, was in den Dingen einen Bestand hat. Die Ideenwelt ist mein Erlebnis. Sie ist in keiner anderen Form vorhanden, als in der von mir erlebten.
Menschen, die nicht denken wollen, deren Vorstellungsbilder
viel zu sehr von den Ereignissen der Sinneswelt dominiert werden, oder die kein intuitives Vermögen haben –
und sich ein solches auch nicht durch die Worte und Texte Rudolf Steiners anregen lassen wollen –
wird man also auch durch noch so viele treffende Argumente hinsichtlich des Geistgehaltes der Welt nicht umstimmen können. Der Mensch ist eben auf diesem Gebiet letztlich völlig auf sich selbst gestellt –
wenn man das Angebot Rudolf Steiners unbedingt außer acht lassen will. –
Der Mensch ist selber der Schöpfer seiner Gedanken- und Ideenwelt.
Und wenn er diese nicht selber bilden und schöpfen will, und die Turn- und Gelenkigkeitsübungen Rudolf Steiners seinen verknöcherten Intellekt empören, dann gibt es für ihn natürlich weder diese geistige Welt –
noch irgendein anderes Wesenhaftes der Dinge dieser Sinneswelt. –
Dem Menschen wird dann wohl nichts Anderes übrig bleiben, als letztlich in Form eines nicht denken wollenden „rein naturwissenschaftlich entstandenen organismischen Zusammenhangs“ so langsam auf die Tierstufe hinunterzusinken. Das ist nicht nur etwas Esoterisches, sondern wer einen Blick für die Phänomene des Zeitgeschehens hat, kann diese Dinge sich in aller Öffentlichkeit entwickeln sehen.
Der oben enthaltene Satz:
Das Wesen der Dinge kommt mir nicht aus ihnen, sondern ich füge es zu ihnen hinzu.
findet sich fast gleichlautend in einem anderen zu gleicher Zeit entstandenen Artikel von Rudolf Steiner:
Das Wesen der Dinge kommt mir also nicht aus ihnen, sondern aus mir zu.
Ausführlich und im Zusammenhang liest sich das so (GA 30, S. 149; Hervorhebungen IH):
Auf diese Weise haben wir in jedem Erkenntnisprozess ein Element, das sich uns auch ohne denkende Betrachtung darstellen würde, und ein anderes, das wir nur durch diese gewinnen können. – Wenn wir dann beide gewonnen haben, ist es uns klar, daß sie zusammengehören. Ein Vorgang verläuft im Sinne der Gesetze, die ich durch mein Denken über ihn gewinne. Daß für mich beide Elemente getrennt sind und durch meinen Erkenntnisvorgang ineinander gefügt werden, ist meine Sache. Der Vorgang kümmert sich um diese Trennung und Zusammenfügung nicht. Daraus folgt aber, daß das Erkennen überhaupt meine Sache ist. Etwas, das ich lediglich um meiner selbst willen vollbringe.
Die Welt zwingt Einen nicht zum Erkennen. Sie zwingt Einen vielleicht dazu,
sich die Haare zu raufen ob all des Elends, in dem man drin steckt – auch deswegen, weil man nicht erkennen will. Aber sie zwingt Einen nicht dazu zu erkennen. Denn das Erkennen ist nicht eine Gruppen- und Komm-ins-Team-Angelegenheit, sondern eine Angelegenheit des Ich – einsam im innersten Wesenskern des Menschen sich vollziehend, auf den Nichts und Niemand Zugriff hat, als man selber. Will ich also das Wesen der Welt erfassen, so muss ich denken und mein eigenes Wesen erfassen, also den in mir innenliegenden Geist –
also nicht irgendeinen irgendwo außenliegend verlinken im Kosmos spekulierten aber unzugänglichen Geist – weil bestenfalls nur Intellekt –
den ich nur denkend durch meine eigene Aktivität hervorbringen und erfahren kann –
Das Wesen der Dinge kommt mir also nicht aus ihnen, sondern aus mir zu.
Diese Denkaktivität vollzieht sich allerdings nur, wenn ich will.
Man beachte meine Hervorhebungen im weiteren Verlauf innerhalb dieses Absatzes dieses rein philosophischen Artikels –
der damals völlig öffentlich in einem nicht-anthroposophischen Buch erschien (GA 30 S. 149; Hervorhebungen IH) – man kann ja immer wieder staunen, was damals im Bereich Weltanschauung und Philosophie noch möglich war –
und die noch einmal diese besondere Bedeutung des Ich für diese Denkaktivität hervorheben:
Nun kommt aber noch etwas anderes hinzu. Die Dinge und Vorgänge würden mir aus sich selbst nie das geben, was ich durch meine denkende Betrachtung über sie gewinne. Aus sich selbst geben sie mir eben das, was ich ohne diese Betrachtung besitze. Es ist innerhalb dieser Ausführungen schon gesagt worden, daß ich dasjenige aus mir selbst nehme, was ich in den Dingen als deren tiefstes Wesen sehe. Die Gedanken, die ich mir über die Dinge mache, produziere ich aus meinem Innern heraus. Sie gehören, wie gezeigt worden ist, trotzdem zu den Dingen. Das Wesen der Dinge kommt mir also nicht aus ihnen, sondern aus mir zu. Mein Inhalt ist ihr Wesen. Ich käme gar nicht dazu, zu fragen, was das Wesen der Dinge ist, wenn ich nicht in mir etwas vorfände, was ich als dieses Wesen der Dinge bezeichne, als dasjenige, was zu ihnen gehört, was sie mir aber nicht aus sich geben, sondern was ich nur aus mir nehmen kann. — Im Erkenntnisprozess entnehme ich aus mir das Wesen der Dinge. Ich habe also das Wesen der Welt in mir. Folglich habe ich auch mein eigenes Wesen in mir. Bei den andern Dingen erscheint mir zweierlei: ein Vorgang ohne das Wesen und das Wesen durch mich. Bei mir selbst sind Vorgang und Wesen identisch. Das Wesen der ganzen übrigen Welt schöpfte ich aus mir, und mein eigenes Wesen schöpfe ich auch aus mir.
Wer nun glaubt, das seien alles Entgleisungen eines Ich-besessenen Philosophen,
der hat nicht erfasst, worum es eigentlich geht: Wenn es überhaupt einen realen, erlebbaren Geist gibt, dann in mir, und er wird nur durch mich erlebt. Irgendeinen kolportierten, irgendwo außenliegenden Geist gibt es nicht. Wenn es Geist gibt, dann nur in mir, also innenliegend. Rudolf Steiner variiert dieses Thema noch einmal in einem anderen Buch – also durchaus öffentlich – und für eine nicht-anthroposophische Leserschaft gedacht (GA 7 S. 90):
Er darf sich dann sagen: Alle anderen Dinge finde ich in einer gewissen Weise fertig vor; und ich, der ich außer ihnen stehe, füge zu ihnen hinzu, was der Geist über sie zu sagen hat. Was ich so aber selbst zu den Dingen in mir hinzu schaffe, darin lebe ich selbst, das bin ich; das ist mein eigenes Wesen. Was aber spricht da auf dem Grunde meines Geistes ? Es spricht das Wissen, das ich mir über die Dinge der Welt erworben habe. Aber in diesem Wissen spricht nicht mehr irgendeine Wirkung, eine Äußerung; es spricht etwas, was nichts zurückbehält von dem, was es in sich hat. Es spricht in diesem Wissen die Welt in aller ihrer Unmittelbarkeit. Dieses Wissen habe ich aber von den Dingen und von mir selbst, als einem Dinge unter Dingen, erworben. Aus meinem eigenen Wesen spreche ich selbst, und es sprechen die Dinge. Ich spreche also, in Wahrheit, gar nicht mehr bloß mein Wesen aus; ich spreche das Wesen der Dinge aus. Mein «Ich» ist die Form, das Organ, in dem sich die Dinge über sich selbst aussprechen. Ich habe die Erfahrung gewonnen, daß ich in mir meine eigene Wesenheit erlebe; und diese Erfahrung erweitert sich mir zu der anderen, daß sich in mir und durch mich die All-Wesenheit selbst ausspricht, oder, mit anderen Worten, erkennt. Ich kann mich nun nicht mehr als ein Ding unter Dingen fühlen; ich kann mich nur mehr als eine Form fühlen, in der das All-Wesen sich auslebt.
Das wird Alles also erst einmal einfach hingestellt und nicht weiter erklärt.
Was bedeutet und impliziert das hier:
… und diese Erfahrung erweitert sich mir zu der anderen, daß sich in mir und durch mich die All-Wesenheit selbst ausspricht, oder, mit anderen Worten, erkennt.
Und:
Ich kann mich nun nicht mehr als ein Ding unter Dingen fühlen; …
Wer ist diese All-Wesenheit? Und wie lebt diese Wesenheit sich durch mich aus? Wieso braucht sie mich zum Erkennen? Beziehungsweise erkennt durch mich? Und wie sieht dieses Wesen aus, von dem Rudolf Steiner sagt, dass er es als das Wesen der Dinge ausspricht:
Ich spreche also, in Wahrheit, gar nicht mehr bloß mein Wesen aus; ich spreche das Wesen der Dinge aus.
Das wird alles hier nicht anthroposophisch-geisteswissenschaftlich, sondern rein philosophisch erklärt –
was viele Leute für abstrakt halten, was es aber bei Rudolf Steiner niemals ist. –
Die damaligen nicht-anthroposophischen Leser dieses Buches hatten damit allerdings sehr viele Anregungen zum vertieften Nachdenken erhalten. – Und die heutigen Leser mit ihren heutigen Lese- und Denkgewohnheiten noch mehr.
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