Viele Menschen gehen heute immer noch davon aus, dass das, was „das Gesetz sagt“, die beste und anständigste Abspiegelung und Regelung menschlicher Verhältnisse darstellt – Das ist jedoch ein Irrtum

 

von Ingo Hagel

 

Bewerbungskostenerstattung vom Jobcenter erfolgt erst nach Untätigkeitsklage

Hartz IV-Bezieher müssen mit Sanktionen in Form von Leistungskürzungen rechnen, wenn sie ihren Pflichten nicht nachkommen. Ganz anders sieht es auf Seiten des Jobcenters aus. Die Behörde benötigt nicht selten mehrere Monate für die Bearbeitung von Anträgen. Das bleibt jedoch für das Amt folgenlos. Erwerbslose berichtet über eine Hartz IV-Bezieherin, die über ein Jahr auf die Erstattung von Bewerbungskosten warten musste. Erst eine Untätigkeitsklage verhalf der Frau zu ihrem Recht.

Das erleben Viele. Man muss eben klar sehen, dass dieser „Rechtsstaat“, dieses Unrechtssystem, das hinter Hartz IV steht, sich schon die nötigen Gesetze geschaffen hat, die so etwas möglich machen. Es ist legal und bleibt daher folgenlos, wenn das Jobcenter nicht reagiert. Im schlimmsten Falle muss es eben nach langer Zeit – in der Viele längst aufgegeben haben – die Bewerbungskosten (oder anderes) erstatten. Strafen oder Sanktionen hat das Jobcenter nicht zu fürchten. Ganz anders ist die Lage für die Hartz-4ler: Sie werden wegen kleinster Verstöße sanktioniert.

Zu den Abstrusitäten dieser sozialen Gesetzgebung zählt auch, dass gegen die Anordnungen und Maßnahmen des Jobcenters zwar Einspruch erhoben werden kann, dass dieser aber keine aufschiebende Wirkung hat. Das Unrecht, das das Jobcenter verhängt hat über die Hartz IVler, wird also erst einmal vollzogen, dann kann im Nachhinein festgestellt werden dass es eben Unrecht war. So liegen die Dinge heute. Peter Deutschmann, Rechtsanwalt für Sozialrecht und StrafrechtRechtsanwalt schreibt dazu:

Damit wurde nun den Behörden ausdrücklich Tür und Tor für willkürliches Handeln geöffnet. Denn bei der immer noch sehr hohen Quote von rechtswidrigen Bescheiden (über 50 % der vor den Sozialgerichten verhandelten Fälle) hat diese Regelung zur Folge, dass die Betroffenen die Rechtswidrigkeit zunächst hinnehmen und erst in sehr langwierigen Verfahren vor den Sozialgerichten ihr Recht erstreiten müssen. Bis dahin haben sie aber z. B. die Sanktionen zu ertragen oder werden z. B. wegen der Sanktionsandrohung in für sie völlig unsinnige Maßnahmen gezwungen.

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Ich halte diese Gesetzeskonkretsierung für skandalös, denn damit werden bisher gültige allgemeine Grundsätze des Verfahrensrechts in Sozialverfahren einseitig zu Lasten der Hilfebedürftigen für den Bereich des SGB II praktisch abgeschafft. Insbesondere wird diese Regelung der nachgewiesenen Fehlerquote in Bescheiden der JobCenter und Argen in keiner Weise gerecht. In der Praxis wird sich das noch mehr als bisher so auswirken, dass rechtswidrige Zustände von den Betroffenen häufig über Jahre hingenommen werden müssen, bis endlich irgendwann ein Sozialgericht Einhalt gebietet. Damit werden den Betroffenen teilweise erhebliche Beträge ihrer Existenzsicherung vorenthalten, was in einigen Fällen verfassungswidrig sein dürfte. Meiner Meinung nach sollen damit die Hilfebedürftigen  v. a. davon abgehalten werden durch Widerspruch und Klage ihre Rechte durchzusetzen. Denn die Motivation für rechtlichen Widerstand sinkt natürlich erheblich, wenn der Erfolg sich erst nach Monaten oder Jahren einstellen kann, die Betroffenen aber ihren aktuellen Bedarf nicht decken können.

Die Menschen vertrauen heute immer noch viel zu sehr auf „das Gesetz“. Ein Freund erzählte mir neulich von einem Gespräch, dass er – mit Blick auf seine eigene Firma bei gerade eben geänderten Gesetzen – mit einem hohen und ausgesprochen hilfsbereiten und anständigen Verwaltungsjuristen geführt hatte. Dieser sagte ihm: „Dann schauen wir doch einfach mal, was das Gesetz sagt.“

Viele Menschen gehen heute immer noch davon aus, dass das, was „das Gesetz sagt“, die beste und anständigste Abspiegelung und Regelung menschlicher Verhältnisse darstellt. So ist es aber nicht mehr. Das muss man einsehen. Man muss einsehen, dass es heute nicht mehr ausreicht, bloß „in das Gesetz“ zu sehen und zu fragen, was „das Gesetz sagt“, denn „das Gesetz“ entwickelt sich immer mehr weg vom Recht hin zum Unrecht.

Und leider können es auch höchste Verwaltungsjuristen nicht einsehen, dass sich die Verhältnisse in der Gesetzgebung heute so verändert haben, dass dieses Gesetz eben nicht mehr das Recht, das „gute alte Recht“, darstellt und wiedergibt, sondern ein gebeugtes Recht – eben das Unrecht, das dann aber Gesetz ist. Da guckt man dann hinein und schaut, was „das Gesetz“ sagt. Die Zeiten sind vorbei, in denen das möglich war.

So wie es aussieht, werden wir nächstens – zum Beispiel – TTIP bekommen. Das wird dann „Gesetz“ sein. Dann kommen braven und anständige Verwaltungsjuristen und sehen nach, was in diesem „Gesetz“ steht. Mit dieser Haltung, die von oben Gegebenes (das Gesetz) gedankenlos nach unten weitergibt und anwendet, kommen wir heute jedoch nicht weiter. Wir leben in einer Zeit, in der „das Gesetz“ und die Gesetzgebung selber angezweifelt werden müssen. Davon gibt der oben zitierte Beitrag mal wieder ein Beispiel – von so vielen, die aufgezählt werden könnten und hier auf Umkreis-Online immer wieder erwähnt worden sind. Und wir leben in einer Zeit, in der die Menschen die Gesetze aus ihrem eigenen Rechtsempfinden und aus Ihrem gesunden Menschenverstand heraus werden gestalten müssen. Sie werden einsehen müssen, dass sie diese Gesetzgebung nicht weiter an korrupte und/oder unfähige und mit den Lobbyisten der Wirtschaft zusammenarbeitende Politiker abgeben dürfen, die Hartz IV nur als Druckmittel geschaffen haben, um die Menschen gegen die immer feindlicher werdenden Arbeits- und Lohnverhältnisse nicht aufbegehren zu lassen. Rechtsleben (Politik), das Wirtschaftsleben und die Rechtsprechung müssen eben getrennt werden, wenn Recht wirklich Recht bleiben und nicht immer mehr zum Unrecht werden soll.

 

 

 

 

 

 

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