von Ingo Hagel
(Hier und hier gibt es diesen Artikel als Clipversion) Verdienstvoll und zutreffend berichtete Monitor vor einer Weile über die Proteste der Menschen in Frankfurt gegen die Rettung der Banken und die Rettungspolitik der Parteien:
Die Polizei schützt die Banken – vor der Bevölkerung. Warum ist es aber nicht umgekehrt? Warum schützt niemand die Bürger vor den Banken? In Spanien geht eine ganze Generation auf die Straße. Sie fühlt sich von ihren Politikern nicht mehr vertreten. In Griechenland wackelt das ganze politische System. Monitor nennt die Profitgier der Banker als eigentlichen Grund für die Finanzkrise 2008, die das Finanzsystem nach unten riss. Innerhalb weniger Wochen wurden damals 10 Billionen Dollar verbrannt und 22 Millionen Arbeitsplätze vernichtet. Es war die Finanzwelt, die der Politik ihre Regeln aufzwang. Die Steuerzahler zahlten viele Milliarden, denn die großen Banken behaupteten, ohne sie bräche die Welt zusammen.
In diesem Bericht, der in aller Kürze die Ursachen und Wirkungen der Finanz- und Eurokrise darstellte, breitete dann leider auch noch Prof. Ulrich Beck, Professor der Soziologie und Gastprofessor an der London School of Economics, seine gutgelaunten Ablenkungen aus. So warnte Beck angesichts der Verhältnisse vor den Folgen für unsere Demokratie. Offenbar kann auch ein Professor der Soziologie soweit die Verhältnisse aus den Augen verlieren, dass er ernsthaft der Meinung sein kann, wir hätten eine Demokratie. Was wir haben ist doch ein real existierender Parlamentarismus- und Demokratiebankrott. Und gerade aus diesem Grund musste vor kurzem der ehemalige Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) Hans Olaf Henkel eine „außerparlamentarische Opposition“ fordern, weil eben diese Demokratie nicht mehr funktioniert – und zwar über fast alle Parteien hinweg, wie die Abstimmungen im Bundestag zum ESM und zu den Milliardenhilfen für Spanien usw. gezeigt haben! Henkel sagte mit Blick auf die Abstimmung des Bundestages zum ESM:
„Es ist auch eine Blamage für die Abgeordneten, denn den wenigsten von ihnen war wirklich klar, für was sie sich da entschieden haben. Jetzt ruht die Hoffnung auf dem Bundesverfassungsgericht. Aber darauf sollten wir uns nicht verlassen, denn wenn der Bundestag in so eklatanter Weise gegen den dokumentierten Volkswillen entscheidet, hilft nur noch die außerparlamentarische Opposition; solange bis solche Parteien im Bundestag einziehen, die sich für eine alternative Europolitik und ein föderales Europa und damit für die Mehrheit des Volkswillens einsetzen.“
Und im Juli 2012 wurde Prof. Wilhelm Hankel im Deutschen Anleger Fernsehen zum Stand der Klage beim Bundesverfassungsgericht gegen den ESM befragt und berichtete Vernichtendes über die „Qualität unserer politischen Führung“.
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Na klar trauen sich die Parlamentarier nicht, die Befehle ihrer Parteioberen zurückzuweisen, sie möchten natürlich nicht ihre Karrieren und Pensionsansprüche riskieren. Auf diese Problematik wies ja auch David Icke sehr zutreffend hin. Aber eine Demokratie ist das nicht, soweit sollte doch zumindest ein Professor der Soziologie den Zustand unserer Republik durchschauen. Zudem ist diese Demokratie doch allerspätestens vernichtet worden, als – gegen den Willen des Volkes und daher völlig undemokratisch – die D-Mark abgeschafft und der Euro eingeführt worden ist.
Und gerade eben empfahl der (nicht gewählte) italienische Premierminister und ehemalige Goldman Sachs Banker Mario Monti allen Regierungschefs der Euro-Zone mehr Unabhängigkeit von den jeweiligen nationalen Parlamenten. Na klar doch, diese Parlamente – beziehungsweise das, was davon noch übrig ist – sind dieser EU-Diktatur – Verzeihung: dieser großartigen Maßnahme zur Völkerverständigung, die EU genannt wird – natürlich ausgesprochen lästig. Aber was hat das mit Demokratie zu tun?
Beck meinte, in dieser Lage entsteht so etwas wie vorrevolutionäre Situationen! Wie in der DDR – Keiner hat erwartet, dass das so schnell zusammenbrechen kann. – Was möchte Beck den Zuschauern weismachen? Dass Europa plötzlich so wie die marode DDR in sich zusammenbricht? Nein, das hat allerdings keiner erwartet. Niemals wäre Europa zusammengebrochen ohne dieses Zwangskonstrukt einer gemeinsamen Währung, dem Euro, und allen wirtschaftlichen Ungleichgewichten dieser Völkergemeinschaft, die damit zusammenhängen. Und niemals würde Europa so vor dem Zusammenbruch stehen ohne die Ereignisse der Finanzkrise. Aber dieses alles nun mit dem Zusammenbruch der DDR in einen Topf zu werfen, wie Prof. Beck es tut, dazu gehört schon eine Menge politisches Unverständnis.
Man kann es doch an den verschiedensten Stellen nachlesen, dass es sich bei der sogenannten Finanzkrise nicht um einen Unfall handelt, sondern um einen gezielten Wirtschaftskrieg der anglo-amerikanischen Finanzoligarchie gegen Europa.
Zum Beispiel hier: Dirk Müller berichtet, dass es sich bei der amerikanischen Immobilienkrise nicht um einen Unfall sondern um ein bewusstes Ruinieren des Systems gehandelt hat:
Und natürlich kann man so etwas heute wissen, vielleicht nicht als Professor der Soziologie, aber als ein Mensch, der mit offenen Sinnen und gesundem Verstand durch die Welt geht und sich aus den verfügbaren unabhängigen Medien – vor allem im Internet – die nötigen Informationen besorgt. Diese vorrevolutionären Verhältnisse entstehen nicht einfach so, sondern weil die Politiker inklusive aller auf diese vertrauenden Teile der Gesellschaft nicht auf die wirklichen Ursachen hinsehen wollen, das heißt genauso in Illusionen verhaftet sind wie Prof. Beck.
Andere jedoch zeigten mit Blick auf diese „vorrevolutionären Situationen“, die plötzlich und unerwartet in Europa entstehen sollen, sehr viel gesünderen Menschenverstand als Beck. So erwähnte ich im Juni 2011 zum Beispiel den Autor Rolf Hochhuth. Dieser sprach von dem großen Verhängnis der EU, „die nämlich zugunsten der Wirtschaft den Einzelnen immer mehr entrechtet“.
Die Österreicher, die ja auch zur EU gehören, fassen diese Notwendigkeit einer Revolution bereits sehr realistisch ins Auge. Sie sind der Ansicht, eine Reformierung der politischen Verhältnisse sei auf normalem Wege nicht durchführbar, man benötige daher einen Umsturz. Der österreichische Standard schrieb:
57 Prozent der Befragten sagten diese Woche in einer Market-Umfrage für den Standard, Österreichs Politik sei “langweilig und uninteressant”. Ebenfalls 57 Prozent – zu etwa zwei Dritteln dieselben Personen – erklärten, dass das politische System nicht reformierbar sei und einen Umsturz brauche.
Mittlerweile hat der österreichisch-kanadische Unternehmer Frank Stronach, der ein Befürworter befreundeter Völker Europas jedoch ein entschiedener Gegner einer europäischen Gemeinschaftswährung, also des Euro ist, in Österreich eine Partei gegründet, die beachtliche Unterstützung findet.
Während die Österreicher in dieser pessimistischen Einschätzung der Lage offensichtlich schon so weit sind, dass sie einen politischen Umsturz für unumgänglich halten, sind die Deutschen nach einer von der Financial Times Deutschland zitierten Studie „nahezu unbekümmert“. Diese schrieb:
Glücklich sind die Deutschen – die Wirtschaft wächst und die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie lange nicht. Und das stimmt sie hoffnungsfroh fürs kommende Jahr. Die Fußball-Europameisterschaft bessert die Stimmung zusätzlich auf. …. Doch die Stimmung hat sich verändert. Jetzt machen sich nur noch drei Prozent der Deutschen “große Sorgen” um ihre Zukunft, sechs Prozent sind “eher in Sorge”. Die restliche Bevölkerung ist nahezu unbekümmert.
Um nicht missverstanden zu werden: Ich plädiere nicht für einen Umsturz, und ich rufe nicht zu einer Revolution auf. Aber ich bin – wie Hochhuth und viele Andere – überzeugt, dass schlimme Verhältnisse kommen werden, wenn nicht sehr bald sich ein größerer gesellschaftlicher Konsens für Gegenmaßnahmen und für konstruktive Veränderungen sich einstellen. Diese müssen auf wirtschaftlichem, rechtlichem und geistigem Gebiet vollzogen werden. Und sie müssen eben vor allem darin bestehen, die mit dem Wirtschaftsleben verfilzte Politik zu trennen und dazu ein selbständiges Geistesleben zu etablieren. Jeder wache Blick in die Welt liefert doch anschaulich die Phänomene dazu und bestätigt dies. Nur müssten die richtigen Konsequenzen für eine neue Gesellschaftsstruktur daraus gezogen werden, wenn die pessimistische Perspektive eines gesamtgesellschaftlichen Niedergangs nicht Realität werden soll.
Nichts anderes wird helfen als die Trennung der unheilvoll miteinander verbundenen Bereiche Politik und Wirtschaftsleben in absolut selbständige Bereiche, das heißt ein selbständiges Wirtschaftsleben, ein selbständiges Rechtsleben beziehungsweise Politik, also das, was man bis jetzt als „Staat“ bezeichnet hat. Und dazu muss die Etablierung eines völlig freien Geisteslebens kommen. Dass wir dieses nicht haben, ist in Wirklichkeit die Wurzel der geschilderten Probleme.
Eine weitere Maßnahme der von Prof. Beck angewandten Taktik, mit Nebelkerzen um sich zu werfen, war seine Behauptung, das Gemeinwohl sei nicht Sache des Kapitalismus oder der Banken, sondern es sei Sache der Politik.
Selbstverständlich war das Gemeinwohl niemals eine Sache des Kapitalismus oder der Banken. Muss das denn überhaupt noch betont werden? Aber wenn Beck und so viele Andere meinen, das Gemeinwohl sei eine Sache der Politik, dann irren sie doch ganz gewaltig, das heißt sie liegen zu zwei Dritteln falsch. Denn sie vergessen die beiden anderen Drittel, die zu einem Gemeinwohl nötig sind, und das sind eben ein selbständiges, nicht mit der Politik verfilztes Wirtschaftsleben und ein freies Geistesleben, das heißt zum Beispiel die Schulen, Universitäten und so weiter müssen selbständig werden und sich aus der Gängelung durch den Staat befreien. Aber wenn man wie Beck weiterhin an dieser längst überholten Vision des alten, alles regelnden Einheitsstaates festhalten will, dann wird auch nichts Besseres herauskommen zur Lösung der Probleme.
Kann man das denn überhaupt als eine ernstzunehmende Perspektive ansehen, dass diese Politik, die die Geschicke der Nationen ins Unglück lenkt, weiter für das Gemeinwohl zuständig sein soll? Diese Politik hat doch längst versagt in der Regelung des Gemeinwohls. Diese korrupte und unfähige Politik darf nicht noch einmal mit der Regelung des Gemeinwohls betraut werden. Einer politischen Kaste, die mit ihrer Vision von Politik dabei ist, ganze Gesellschaften in den Ruin zu treiben und die Existenzen der Menschen zu zerstören, darf nicht noch einmal eine neue „Vision“ für Politik entwickeln? Wie soll sie das denn können, wo sie doch so jämmerlich versagt hat? Es gilt also, überhaupt eine völlig neue Politik, ein neues politisches Leben, eine neue politische Kultur zu begründen. Und die wird eben mit Blick auf die Gesichtspunkte, die Rudolf Steiner zur Begründung einer Gesellschaftsstruktur, die wirklich das Gemeinwohl fördern wird, darin bestehen, dass Politik in Zukunft nur noch zu tun haben wird mit dem, was auf dem Verhältnis von Mensch zu Mensch beruht, das heißt den Rechtsverhältnissen. Mit etwas anderem wird es die Politik beziehungsweise der Staat in einem gesellschaftlichen System, das wirklich auf das Gemeinwohl abzielt, nicht zu tun haben können.
Beck meinte dann, der Trick, die Banken für systemrelevant für die gesamte Welt zu bezeichnen, sei genial gewesen, so hätten diese eine Sonderstellung eingeräumt bekommen.
Die abwiegelnde Bewunderung des gut gelaunten Herrn Professor für die „genialen Tricks der Banken“ ist völlig fehl am Platz. Wer so frivol über diese Dinge spricht, hat allen moralischen Maßstab für den Ernst der Situation verloren.
Beck hat angesichts der ernsten sozialen Verwerfungen außer einer Finanztransaktionssteuer und ähnlichem, mit der er den Sozialstaat neu konzipieren will, keine Ideen. Er ist so einfallslos, dass er das ganze verwerfliche System – wozu ich auch diesen sogenannten „Sozialstaat“ zähle – so belassen will, nur möchte er diesem Finanzkapitalismus etwas Geld abzapfen, um ein paar soziale Löcher zu stopfen. Das ist alles, mehr an sozialen Ideen ist bei ihm nicht drin.
Und dann präsentierte Beck einen weiteren Höhepunkt seiner trüben Ideen, indem er gleich mal die Ideale der Französischen Revolution verdrehte:
„Freiheit, Gleichheit und Demokratie ist sozusagen nur dann zu gewährleisten, wenn die Menschen auch das Gefühl haben, dass diese Perspektive für sie auch umgesetzt wird….“
Was ist das für eine Zeit-Signatur, in der ein Professor für Soziologie so etwas äußert? Natürlich weiß jeder Jugendliche mit nur ein wenig sozialem Engagement und Interesse, dass die Ideale der Französischen Revolution nicht „Freiheit, Gleichheit und Demokratie“ sondern „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ lauten. Aber nein! Brüderlichkeit, das ist heute ja so etwas von Igittigitt für jemanden, der an der London School of Economics lehrt, selbst wenn er Professor der Soziologie ist, dass er das doch schnell in was viel Besseres verdreht, wenn schon mal die Kameralinse auf ihn gerichtet ist.
Dabei ist es gerade diese Brüderlichkeit, und zwar im Wirtschaftsleben, auf die es ankommen wird – neben der Etablierung eines vom Wirtschaftsleben unabhängigen Rechtsleben (also der eigentliche Rechtsstaat, die Politik) sowie eines freien Geisteslebens. Aber damit kann Beck nichts anfangen, dass es genau diese Brüderlichkeit im Wirtschaftlichen geben muss. Und da formt er die Ideale der Französischen Revolution zu irgendeinem verballhornten Quatsch um, der ihm besser passt. Aber um was es wirklich geht, ist natürlich „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“!
Zu dieser Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben gehört zum Beispiel auch, dass menschliche Arbeitskraft nicht mehr wie eine Ware am Markt nach den Gesetzen von Angebot und Nachfrage verkauft werden darf. Denn dabei handelt es sich um die letzten Reste des alten Sklavenhandels beziehungsweise der alten Leibeigenschaft. Man kann es verstehen, wenn zu Zeiten einer sehr guten Kartoffelernte der Preis für dieses Produkt sinkt, da zu viel von dieser Ware am Markt ist. Aber es ist des Menschen unwürdig zu sagen, man könne ihm nicht das zum Leben Notwendige bezahlen, weil leider zu viele Mitbewerber auf dem Arbeitsmarkt sind. Aber das versteht ein oberflächlicher Schwadroneur und Phrasendrescher wie Professor Beck nicht, und daher kann er weder eine zutreffende Analyse der sozialen Situation liefern noch mit den Idealen der Französischen Revolution „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ etwas anfangen.
Aber es ist doch nun einmal so: auf dem wirtschaftlichen Gebiet ist die Menschheit eine Familie und sie muss auf diesem Gebiet nun auch so brüderlich handeln lernen wie eine Familie brüderlich handelt: Und dazu gehört eben, dass Arbeit und Einkommen getrennt werden müssen. Sie dürfen nichts mehr miteinander zu tun haben. In einer Familie geschieht das bereits, denn die Versorgung erfolgt nicht nach dem, was einer beruflich leistet und an Geld mit nach Hause bringt, sonst würden Kinder, alte Menschen, Kranke und Gebrechliche eben alle verhungern – und dazu die Mutter und Hausfrau, die eben auch nichts „mit nach Hause bringt“. In einer Familie ist das den Menschen völlig klar und selbstverständlich, dass das nicht geht, dass es unmenschlich ist. Dieses selbstverständliche Verstehen muss nun aus dem Bereich der kleinen Familie erweitert werden auf die ganze Menschheit. Und die Zeichen, dass die Zeit reif ist dafür, sind alle am Horizont.