Eurokrise und Petitionswahn: Wer hat über ökonomische Fragen zu entscheiden? Die Professoren? Wir, das Volk? Das Wirtschaftsleben?

von Ingo Hagel 

Vor kurzem veröffentlichte ifo-Chef Prof. Sinn zusammen mit ihn unterstützenden Ökonomen einen Aufruf gegen die Eurorettungspolitik der Regierung und der Kanzlerin. Dazu erschien dann in der Zeitschrift Cicero ein kritischer satirischer Artikel, der unter dem Motto beziehungsweise der Überschrift PETITIONSWAHN: Unterschreiben Sie hier! – Ständig und überall soll man seinen Namen unter irgendwelche Listen setzen den Sinn dieser Petitions- und Unterschriftenaktionen kritisierte:

Ich unterschreibe gar nichts mehr. Früher habe ich oft und gerne unter jeden auf deutschen Fußgängerzonen vorgehaltenen Zettel meinen Namen gesetzt, plus Adresse und womöglich sogar Kontonummer. Es diente ja dem guten Zweck. Wer will denn schon unverrichteter Dinge davonlaufen, wenn mit einer simplen Signatur das Abschmelzen der Polkappen verhindert werden kann? Wenn sich mit einem Füllfederstreich die EU-Agrarsubventionen und damit der Hunger in der Dritten Welt beseitigen lassen? Wenn eine einfache Paraphe genügt, um das örtliche Schwimmbad zu retten oder das globale Klimasystem?

Über die satirischen und sonstigen Qualitäten des Artikels wird man geteilter Meinung sein können. Die Kernfrage nach dem Sinn dieser Unterschriftenaktionen ist aber berechtigt. Auch ich habe sie hier auf Umkreis-Online in zwei Artikeln gestellt:

Nur Zeitverschwendung? – Internet-Initiative abgeordneten-check.de feiert mit einer Million Petitionen gegen den ESM einen neuen Rekord

sowie hier: 

Klage gegen ESM beim Bundesverfassungsgericht – Interview mit Prof. Hankel: Beschämender Zustand unseres Parlamentarismus

Diese Meinungsäußerungs- und Bittschriftaktionen mittels Unterschriften von Bürgern zu den vielen Themen der Gesellschaften und der Welt sind sicher Ausdruck des Wunsches eines breiteren Bevölkerungsteils, sich stärker und direkter an demokratischen Entscheidungsprozessen zu beteiligen, als es unsere sogenannte „parlamentarische Demokratie“ ermöglicht. So wie diese Aktionen im Moment durchgeführt werden, stellen sie allerdings nur ein diffuses Stimmungsbild dar. Zudem muss man sich fragen, ob diese Unterschriften- und Petitionsaktionen das adäquate Mittel sind, um über wichtigste Fragen in den sehr unterschiedlichen Angelegenheiten einer Gesellschaft zu fruchtbaren Entscheidungen zu kommen. Immer wieder ist die Ansicht zu hören: „Wir sind das Volk“, womit begründet und bekräftigt werden soll, dass das Volk – als ja auch im Grundgesetz erwähnter Souverän – letztlich alles zu entscheiden hat. Aber ist dem wirklich so, und wenn ja, in welcher Weise? Gibt es innerhalb des sozialen Ganzen vielleicht sogar verschiedene Gebiete, in denen man durchaus in sehr verschiedener Weise zu Entscheidungen und Beschlüssen kommt, so dass sinnvollerweise durchaus nicht jeder, nur weil er „Wir, das Volk“ repräsentiert, einfach über alles wird abstimmen können? Welche Bereiche innerhalb eines sozialen Ganzen gibt es denn überhaupt, innerhalb deren möglicherweise Abstimmungen anstehen könnten? Ich möchte nun einige Dinge dazu aus der Perspektive der von Rudolf Steiner entworfenen Sozialen Dreigliederung heraus sagen. Deren grundlegender Ansatz besagt, dass nur etwas Heilsames für den sozialen Organismus einer Gesellschaft entstehen kann, wenn dieser in die Bereiche des Geisteslebens, des Rechtslebens und des Wirtschaftsleben differenziert wird. Mehr dazu findet sich auf Umkreis-Online

 

Geistesleben

Der Schreiber obiger satirischer Zeilen des Cicero erregte sich aus verschiedenen Gründen in abfälliger Weise über den Anspruch Prof. Sinns und der Professoren, auf die Entscheidungen der Politik über einen solchen Aufruf Einfluss nehmen zu wollen:

Wer sich Sinns Suada etwas genauer anschaut (was schnell getan ist, weil das Pamphlet nur ein paar dünne Zeilen umfasst), kommt in Anbetracht seines ostentativen Willens zur Problemverkürzung ins Staunen: Ist das denn wirklich alles so einfach? Nee, ist es natürlich nicht. Aber wie gesagt: Ich habe früher ja auch jeden Unsinn unterschrieben – warum sollten sich also zwei Hundertschaften Nationalökonomen nicht entblöden, das gleiche zu tun? Was zählt, ist doch letztlich nur der gute Wille. Und wenn mit einer kleinen, folgenlosen Unterschrift die deutsche Volkswirtschaft vor ihrem Niedergang gerettet werden kann: nur zu! Um das Ansehen der Volkswirtschaftslehre brauchen sich Sinns Listen-Lemminge zum Glück keine allzu großen Sorgen mehr zu machen, das haben die Herren Hochschullehrer schon vor ihrer törichten Unterschriftenaktion weitgehend ruiniert. Da hilft am Ende auch jene Liste nicht weiter, auf der ein anderes wirtschaftswissenschaftliches Professoren-Geschwader für die exakte Gegenposition zu Hans-Werner Sinn gestimmt hat: Eine Disziplin, deren wichtigste Vertreter ihre Ratlosigkeit in fundamentalen Fragen anhand von Unterschriftenlisten zur Schau stellen, hat die Bezeichnung „Wissenschaft“ nicht verdient.

Sicher, Prof. Sinns Aufruf mag kurz sein: dessen Aussagen sind jedoch klar und deutlich, wie bereits der erste Absatz des Aufrufs zeigt:

Liebe Mitbürger, die Entscheidungen, zu denen sich die Kanzlerin auf dem Gipfeltreffen der EU-Länder gezwungen sah, waren falsch. Wir, Wirtschaftswissenschaftlerinnen und Wirtschaftswissenschaftler der deutschsprachigen Länder, sehen den Schritt in die Bankenunion, die eine kollektive Haftung für die Schulden der Banken des Eurosystems bedeutet, mit großer Sorge. Die Bankschulden sind fast dreimal so groß wie die Staatsschulden und liegen in den fünf Krisenländern im Bereich von mehreren Billionen Euro. Die Steuerzahler, Rentner und Sparer der bislang noch soliden Länder Europas dürfen für die Absicherung dieser Schulden nicht in Haftung genommen werden, zumal riesige Verluste aus der Finanzierung der inflationären Wirtschaftsblasen der südlichen Länder absehbar sind. Banken müssen scheitern dürfen. Wenn die Schuldner nicht zurückzahlen können, gibt es nur eine Gruppe, die die Lasten tragen sollte und auch kann: die Gläubiger selber, denn sie sind das Investitionsrisiko bewusst eingegangen und nur sie verfügen über das notwendige Vermögen. ….

Zusätzlich hat Prof. Sinn an vielen anderen Stellen (im Fernsehen und in Büchern) seine Auffassungen ausgeführt und steht sicher auch weiterhin mit den übrigen Unterzeichnern für ausführlichere Darlegungen zur Verfügung, so denn zum Beispiel Bundesregierung und Kanzlerin dies wünschen – aber bis jetzt wünschten sie nicht. Das Argument des Cicero-Artikels, Sinns Aufruf sei zu kurz, trifft also nicht zu.

Und natürlich muss ausdrücklich das Recht der Professoren, ihre Meinung zu äußern, unterstützt werden. Wo kämen wir denn hin, wenn nur die Autoren von Cicero sich äußern dürften – weil deren Artikel vielleicht etwas länger sind – nicht aber die anderer Institutionen des Geisteslebens? Die Teilnahme von Vertretern des Geisteslebens an dieser – und allen anderen – Diskussionen ist lebenswichtig und notwendig. Auch wäre es eine Katastrophe, dem Geistesleben das Recht auf Äußerung ihrer Position zu verweigern, nur weil sich „exakte Gegenpositionen“ ergeben können – nach dem Muster: weil Plus und Minus Null ergibt und sich aufheben, benötigt man weder das Plus noch das Minus.

Es ist durchaus nicht verwerflich, dass sich innerhalb des Geisteslebens polare Auffassungen zu einem Problem ergeben. Dieses ist vielmehr integraler Bestandteil dieses Geisteslebens. Letzteres ist keine Institution, die alle Fragen der Welt widerspruchsfrei gelöst aus einer Kristallkugel schöpft, sondern im Geistesleben muss um die Wahrheit gerungen werden. Sie muss individuell vom einzelnen Menschen gefunden und erkannt werden – ein letztlich einsamer Prozess. Im Geistesleben ist daher sogar der Kampf gegensätzlicher Auffassungen berechtigt – natürlich nicht mit Fäusten, sondern mit den Waffen des Geistes.

Anders ist es im Wirtschaftsleben: Würde der heutige Kampf, der dort herrscht, fortgesetzt, würde er nicht durch das Prinzip der Brüderlichkeit ersetzt, dann würde dieser Kampf schließlich zum Niedergang aller Kultur und aller Lebensmöglichkeiten einer Gesellschaft führen. Zur Frage der Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben siehe auch hier:

Regierung lehnt Mindestlohn gegen die breite Zustimmung des Volkes ab – Aber darum geht es nicht – Sondern menschliche Arbeitskraft darf nicht mehr wie eine Ware verkauft werden müssen – Denn die Menschheit ist im Wirtschaftlichen eine Familie

Anmerkung: MMNews verwies ja gerade auf die Äußerungen Carl Friedrich von Weizsäckers, die jedoch das Obige eines unbrüderlichen Wirtschaftslebens völlig bestätigen:

Carl Friedrich von Weizäcker: „Die Menschheit wird nach dem Niedergang des Kommunismus, das skrupelloseste und menschenverachtendste System erleben, wie es die Menschheit noch niemals zuvor erlebt hat, ihr Armageddon“

„1. Die Arbeitslosenzahlen werden weltweit ungeahnte Dimensionen erreichen.  ….  2. Die Löhne werden auf ein noch nie da gewesenes Minimum sinken.  ….  3. Alle Sozialsysteme werden mit dem Bankrott des Staates zusammenbrechen. Rentenzahlungen zuerst. Auslöser ist eine globale Wirtschaftskrise ungeheurer Dimension, die von Spekulanten ausgelöst wird.  …. usw. usw.   ….  Carl Friedrich von Weizsäcker lässt keinen Zweifel daran, dass die Menschheit kaum eine Chance hat, diesem Szenario zu entgehen. Wir können nur hoffen, dass er vielleicht doch nicht Recht hat. Vielleicht hat er nicht sehen können, was vernetzte Opposition in allen Teilen der Welt bewegen kann.“

Aber man könnte sich ja fragen, warum in dieser wichtigsten Angelegenheit Deutschlands sich überhaupt nur rund 200 Professoren zu dieser „vernetzten Opposition“ eines Aufrufs zusammengeschlossen haben. Wir haben rund 24.500 Professoren in Deutschland! Sind sie alle mit Sinns Aufruf nicht einverstanden? Dann hätten sie sich ja der erwähnten „exakten Gegenposition“ zu Prof. Sinn anschließen können. Handelt es sich um eine derart fachfremde Professorenschaft, die sich nicht zutraut, ökonomische Fragen beurteilen, und daher der Sache nicht gewachsen ist? Oder ist sie etwa völlig unpolitische? Noch unpolitischer als die Leser der FAZ, in der Prof. Sinns Aufruf abgedruckt wurde, und der die Redaktion doch offenbar ein Urteil zutraute? Oder fürchten die Professoren bei abweichender Meinungsäußerung um ihre Posten, Beförderungen und Karrieren, da sie – als Angestellte des Bundes und von Frau Merkel – nur Teil eines unfreien Geisteslebens und nicht eines freien und unabhängigen Geisteslebens sind – das es erst zu schaffen gilt?

Aber der Vorwurf wäre berechtigt, dass das Geistesleben – zum Beispiel die Professorenschaft, weil gerade davon die Rede ist, aber diese macht das Geistesleben natürlich nicht allein aus – innerhalb der Bevölkerung versucht, auf diesem Wege von Unterschriftenaktionen den Wahrheitsgehalt einer Frage entscheiden zu wollen. Denn das ist natürlich nicht möglich. Man kann über geistige, wissenschaftliche Fragen debattieren. Aber die Wahrheit – zum Beispiel zur Frage: wieviel ist 2 x 2? oder: entspricht die Fläche des Quadrates über der Hypothenuse der Summe der beiden Kathetenquadrate? – wird individuell in jedem einzelnen Menschen und nicht über die Mehrheitsentscheidung einer Abstimmungs- und Unterschriftenaktion gefunden werden müssen. Also: über Angelegenheiten des geistigen Lebens darf zwar heftig argumentativ gekämpft – aber es kann nicht abgestimmt werden! Aber das weiß natürlich auch Prof. Sinn, und er würde dies niemals anstreben. Aber etwas ganz anderes wäre möglich.

 

Rechtsleben

Das heißt nun aber nicht, dass überhaupt nicht im gesellschaftlichen Leben abgestimmt werden kann und muss. Überall dort, wo der eine Menschen zum anderen Menschen in ein Verhältnis tritt, muss ein Konsens gefunden werden. Dort wird man zu mehrheitlichen Beschlüssen kommen müssen und dürfen. Früher war es zum Beispiel rechtlicher Konsens in einer Gesellschaft, Menschen als Sklaven wie eine Ware zu verkaufen. Später gab es – bis vor gar nicht langer Zeit -Leibeigene, mit denen man in ähnlicher Weise wie mit Stückgut umging. Heute ist es – aber hoffentlich nicht mehr lange – rechtlicher Konsens, dass menschliche Arbeitskraft wie eine Ware nach den Gesetzen von Angebot und Nachfrage verkauft werden muss, so unwürdig dies auch ist (s. zum Beispiel hier und hier auf Umkreis-Online).

Solange das Rechtsempfinden der Mehrheit von Menschen einer Gesellschaft dieser Ansicht ist – so bedauerlich und falsch diese auch sein mag – so lange wird man eben zu solchen Mehrheitsbeschlüssen kommen, die die menschliche Arbeitskraft als Ware ansehen und entsprechende Gesetze erlassen. Aber es sind Mehrheitsbeschlüsse auf einem bestimmten Gebiet, mag die Wahrheit über diese Angelegenheit auch anders aussehen. Auf diesem Gebiet der Verhältnisse von Mensch zu Mensch wird man selbst die Wahrheit nicht erzwingen können, außer man befürwortet eine Diktatur. Und wäre dieser Allmächtige noch so weise und gut, es wäre immer noch eine Diktatur und keine Freiheit.

Geistige Fragen können also niemals auf dem Wege einer Abstimmung oder Bürgerbefragung beurteilt und entschieden werden können. Allerdings kann der Aufruf Prof. Sinn – oder anderer Mitglieder des Geisteslebens – so verstanden werden, dass sich Prof. Sinn für diesen Aufruf aus dem Geistesleben und seinen Gesetzmäßigkeiten herausgelöst hat und auf den Boden des Rechtslebens gestellt hat und mit den übrigen Teilnehmern des Rechtsleben (Bürger) über bestimmte Fragen debattieren und parlamentarisieren will. Dazu hätte auch ein Hochschullehrer das Recht. Man darf in diesen Dingen nicht dogmatisch und schematisch sein: Jeder Mensch gehört immer allen drei Teilen eines dreigliedrigen Gesellschaftssystems an: dem Geistesleben, dem Rechtsleben und dem Wirtschaftsleben. Man kann daher niemals sagen, ein Professor beziehungsweise ein Mitglied des Geisteslebens dürfte so einen Aufruf innerhalb des Rechtslebens nicht starten.

Prof. Sinns Aufruf – wenn wir bei diesem Beispiel bleiben wollen – mit dem er sich an seine Mitbürger wendet, kann somit nicht nur als ein Beitrag des Geisteslebens an die Allgemeinheit – auch an die Politik – verstanden werden, der diese über bestimmte Missstände aufklären will und möglicherweise über eine Abstimmung zur Klärung bestimmter Rechtsverhältnisse kommen will. Angesichts der hilflosen Lage, in der sich die Gesellschaft gegenüber den Machenschaften der Politik befindet, kann er auch – von dem Boden des Rechtslebens heraus – als Aufruf an das Volk, an die „lieben Mitbürger“, verstanden werden, auf diese desaströse Politik Einfluss auszuüben – möglicherweise sogar bis hin zu einem revolutionären Umsturz des bestehenden Systems, siehe dazu auch:

Sozialer Neuanfang statt Revolutionen und Bürgerkriege

Bis jetzt sind wir also dahin gekommen einzusehen, dass im Geistesleben nicht abgestimmt werden kann. Im Rechtsleben jedoch, welches das Verhältnis von Mensch zu Mensch regelt, sind Abstimmungen – nicht unbedingt als Ausdruck der Wahrheitsfindung, aber als eines Konsens von Menschen, die aus einem gemeinsamen Rechtsempfinden heraus zu Absprachen kommen und miteinander leben müssen – am Platze.

 

Wirtschaftsleben 

Immer wieder zeigen sich in dem chaotischen Flackern der realen Phänomene des sozialen Lebens Problempunkte, die es zu lösen gilt. Der Cicero-Artikel wirft einen dieser vielen Problempunkte blubbernd wie eine Blase im Sumpf der Verhältnisse an die Oberfläche, nämlich die Frage, ob und wie man in einer Gesellschaft über wirtschaftliche und Währungsfragen zu einem Konsens und zu einer Entscheidung kommt. Wer darf daran beteiligt sein, und wer nicht? Ist es sinnvoll, das gesamte Volk per Unterschrift in der Fußgängerzone über diese Dinge abstimmen zu lassen?

Ich möchte dazu noch etwas aus den Gesichtspunkten anführen, die Rudolf Steiner als ein Heilmittel für die chaotischen sozialen Zustände der Gegenwart und Zukunft formulierte. Er hat diese in seinem Buch „Die Kernpunkte der sozialen Frage“ sowie in vielen Artikeln dazu beschrieben. Rudolf Steiner führt die verschiedenen Bedingungen eines gesunden sozialen Organismus auf. Diese bestehen in der Trennung der heute noch unheilvoll miteinander verfilzten Gebiete des Geisteslebens, des Rechtslebens und des Wirtschaftslebens. Ich habe das verschiedentlich hier auf Umkreis-Online dargestellt.

Steiners Gesichtspunkt zur Frage, wer denn über Geld- und Währungsfragen wird zu entscheiden haben, unterscheidet sich so stark von den heutigen Denkgewohnheiten, dass viele Menschen ihn für Utopie oder Unsinn halten werden. Er nennt verschiedene Voraussetzungen (zum Beispiel: Arbeit darf nicht mehr als Ware verkauft werden, Abschaffung nicht des Zinses, aber des Zinses auf Zins, Schaffung der Möglichkeit, dass der Fähige und nicht der wirtschaftlich oder finanziell Mächtige zu Kapital für eine Unternehmung kommt etc.). Dann wird Folgendes möglich sein:

Durch die Verwirklichung solcher Voraussetzungen wird die Währungsfrage auf eine gesunde Grundlage gestellt. Denn gleichgültig wie aus andern Verhältnissen heraus die Geldform sich gestaltet: Währung wird die vernünftige Einrichtung des gesamten Wirtschaftsorganismus durch dessen Verwaltung. Die Währungsfrage wird niemals ein Staat in befriedigender Art durch Gesetze lösen; gegenwärtige Staaten werden sie nur lösen, wenn sie von ihrer Seite auf die Lösung verzichten und das Nötige dem von ihnen abzusondernden Wirtschaftsorganismus überlassen.

Damit liegt also die Entscheidungsbefugnis über Geld- und Währungsangelegenheiten im Wirtschaftsleben. Natürlich nicht in dem heutigen Wirtschaftsleben, zu dem die unselige und korrupte Finanzwirtschaft dazugehört, die durch einen Skandal nach dem anderen sämtliches Vertrauen verspielt hat. Selbstverständlich gehört dieses ersetzt wie auch unser Parlamentarismus ersetzt gehört:

Klage gegen ESM beim Bundesverfassungsgericht – Interview mit Prof. Hankel: Beschämender Zustand unseres Parlamentarismus

Sondern diese Entscheidungsbefugnis über Geld- und Währungsangelegenheiten gehört in ein neues Wirtschaftsleben, das es – wie einen neuen Rechtsstaat, eine neue Politik und ein freies Geistesleben – in Zukunft aus den Trümmern des Alten zu errichten gilt. Es ist das Wirtschaftsleben, das direkt verantwortlich mit Geld und Waren umgeht. Das Geistesleben mag über diese Dinge lehren, aber es liegt nicht in seinem unmittelbaren Lebens- und Erfahrungsbereich.

Die Professorenschaft hätte – als Teil des Geisteslebens – also durchaus das Recht, Wirtschaftsfragen zu beurteilen, nicht aber, sie zu entscheiden. Dies obläge nur dem Wirtschaftsleben. Sie hätte aber – auf dem Boden des Rechtslebens – durchaus das Recht, zu Debatten und Abstimmungen über Dinge aufzurufen, die das Verhältnis von Mensch zu Mensch in einer Gesellschaft betreffen. Und die vor sich gehenden politischen Veränderungen hin zu einer europäischen Schuldenunion, einer EU-Diktatur der Vereinigten Staaten von Europa betreffen durchaus dieses Verhältnis.