Entwicklung inneren Feuers beim Denken

 

von Ingo Hagel

 

Man muss diesen Vortrag (GA 237, 1. Vortrag) über die großen Schwierigkeiten und inneren Kämpfe bei der Entwicklung des intellektuellen Denkens zu Zeiten der Scholastik – 

aus dem ich hier nur kurz zitiere – 

ganz gelesen haben, um verstehen zu können, welchen bedeutsamen Bezug er zu den Aufgaben hat, die an das Denken heute gestellt werden – und welche Hilfestellung er mit einem unauffällig erscheinenden Hinweis bietet, diese Aufgabe zu erfüllen. 

Das heutige abstrakte, intellektuelle, aber immer an der Sinneswelt entlang sich vollziehende „Denken“ ist kein wirkliches Denken. Aber das Denken der Menschen war nicht immer so geschmiert und geölt intellektuell entwickelt wie heute. Es wurde unter großen Schwierigkeiten und „furchtbarsten inneren Kämpfen“ entwickelt. Diese waren darin begründet, dass die Menschen der damaligen Zeit, die ein eigenständiges und individuelles, persönliches Denken entwickeln wollten, noch ganz deutlich die Gedanken der Verstorbenen vernahmen, diese aber abweisen mussten, um dieses neue, eigenständige, moderne, nicht mehr atavistische Denken zu entwickeln. 

 

Heute ist das intellektuelle Denken fertig entwickelt. 

So fertig entwickelt, dass der Verstand, wenn er nicht auf eine neue lebendige, bewusste, spirituelle Stufe gehoben wird, verfallen muss. Es gilt auch hier das berühmte Wort des Fußballtrainers: „Habe fertig!“ – 

Zum Verfall des Verstandes siehe hier auf Umkreis-Online, diesen Grundsatzartikel und natürlich auch hier Rudolf Steiner: 

Das ist eine wichtige Tatsache, daß um die Mitte des 19. Jahrhunderts der menschliche Organismus in Bezug auf seine physische Gestaltung gewissermaßen bei einer Kulmination, bei einem Höhepunkt angekommen war und daß er seitdem wiederum zurückgeht, und zwar – in einer gewissen Weise für das verständige Erfassen der Welt – rasch zurückgeht. –

  

Rudolf Steiner beschreibt, wie bei den damals die scholastische Philosophie entwickelnden Dominikanermönchen  

sich diese Entwicklung vollzog:

… unter den furchtbarsten inneren Kämpfen hat sich dasjenige ausgebildet, was zum Beispiel vom Dominikanerorden als eine gewisse Philosophie ausgegangen ist … –

Man kann darin auch einen kleinen Hinweis auf diejenigen inneren Kämpfe sehen, die der heutige, sogenannte moderne Mensch wird auszustehen haben, um sein intellektualistisches, totes, passives Denken auf eine neue, lebendige –

und wirklich moderne und derzeit angemessene –

Stufe zu heben. So einfach und so hurtig, wie man heute gewöhnt ist, Zeitung zu lesen oder Artikel im Internet abzuratschen, ging es damals nicht (GA 237 S. 23): 

Heute ist denken leicht, denn die Menschen haben sich schon gewöhnt, intellektualistisch zu denken. Dazumal fing es eben an, da war es noch schwer. Da war man sich noch bewußt einer ungeheuren inneren Anstrengung, da war man sich bewußt einer Ermüdung durch das Denken wie durch das Holzhacken, wenn ich mich trivial ausdrücken darf. 

Anmerkung: Zum Holzhacken siehe auch hier.

 

Heute müssen die Menschen, um das Denken auf eine neue Stufe hinaufzuheben, 

genauso in inneren Kämpfen ihr schon automatisch gewordenes Denken abweisen, so dass als menschliches, persönliches Denken – besonders als meditatives Denken – nur noch das im Bewusstsein zugelassen wird, was der einzelne Mensch von sich aus und aus sich heraus auch wirklich aktiv und bewusst denken will und in sein Bewusstsein hineinlassen will. 

So wie früher die die scholastische Philosophie entwickelnden Mönche zum Beispiel des Dominikanerordens die Gedanken der Verstorbenen aus der geistigen Welt abweisen mussten, so muss der Mensch heute, wenn er zu einem eigenständigen, aber nicht mehr intellektuellen, sondern lebendigen und immer realer werdenden Denken kommen will, die schon automatisch gewordenen Gedanken abweisen, die immer durch sein Gehirn flitzen und ihn in der verschiedensten Weise bis hin zu Zwangsgedanken quälen können. –

Das kann man bereits an dem Denken der „Philosophie der Freiheit“ Rudolf Steiners üben. –

 

Auf welche Dimension des Denkens diese oben angeführten Darstellungen Rudolf Steiners eigentlich hindeuten –

(GA 237 S. 23): 

Heute ist denken leicht, denn die Menschen haben sich schon gewöhnt, intellektualistisch zu denken. Dazumal fing es eben an, da war es noch schwer. Da war man sich noch bewußt einer ungeheuren inneren Anstrengung, da war man sich bewußt einer Ermüdung durch das Denken wie durch das Holzhacken, wenn ich mich trivial ausdrücken darf. –

kann man ermessen, wenn man seine Ausführungen zur Meditation, zur Imagination, kennt, die besagen, dass das Denken, das bei diesem Imaginieren ausgeführt wird, anstrengend wie zum Beispiel Holzhacken ist. 

 

Heute leben wir in einer Zeit, in der der Mensch vor die Aufgabe gestellt ist, beim wirklichen Denken, 

das zum Beispiel beginnt bei der „Philosophie der Freiheit“, dann aber letztendlich in seiner höchsten Ausprägung das Denken der Meditation ist, Ermüdung wie beim Holzhacken spüren muss. 

Das intellektuelle Denken sollte der Mensch nun in der heutigen Zeit eigentlich beherrschen. –

Dass die meisten Menschen es nicht beherrschen beziehungsweise dass der einmal errungene Verstand längst wieder im Verfall begriffen ist, zeigen die verschiedenen Phänomene des Zeitgeschehens. –

 

Damals im Mittelalter der Scholastik beherrschten die Menschen dieses intellektuelle Denken noch nicht, 

und die Scholastiker selber mussten sich dazu gewaltig anstrengen. Heute muss der Mensch sowohl beim wirklichen Denken –

das ja zum Beispiel ersteinmal das wirkliche Denken der „Philosophie der Freiheit“ sein kann –

beziehungsweise in der Meditation alle störenden Gedanken so mit „innerem Feuer“ abweisen, wie damals die Scholastiker die störenden übersinnlichen Erlebnisse der Gedanken der Verstorbenen mit „innerem Feuer“ abweisen mussten (GA 237 S. 22; Hervorhebungen IH):

Heute liest man die Schriften der Scholastiker und empfindet nur trockene Gedanken. Aber trocken sind ja eigentlich bloß die Leser heute. Diejenigen Menschen, die sie geschrieben haben, waren schon nicht trocken in ihrem Gemüte. Die waren voll inneren Feuers gegenüber ihren Gedanken. Und dieses innere Feuer kam eben von dem Bestreben, abzuweisen den objektiven Gedankeneinfluss. 

 

Heute erleben die trockenen Menschen die trockenen Gedanken als noch trockener als sie selber sind. 

Und nun soll dieses ganze trockene und langweilige „Rumgedenke“ noch stärker intensiviert werden als es sowieso schon im Alltag und zum Verdruss der Menschen für diese sich darstellt. Wie soll man daran Wärme, Enthusiasmus, Begeisterung entwickeln, wenn man das nicht irgendwie mit in die Wiege gelegt bekommen hat? Die Menschen sagen sich vielleicht – und nur zum Beispiel: 

Nun ja, wenn ich nun mal beim Denken keine Wärme empfinden kann und kein inneres Feuer, dann geht das eben nicht. Ich bin nun mal Praktiker, und kein Denker – und vor allen Dingen kein Scholastiker. Da kann man halt nichts machen, als auf bessere Zeiten hoffen – wenn man sich mit einem solchen überflüssigen Unsinn überhaupt abgeben will.

 

Liest man sich oben angeführten Hinweis Rudolf Steiners aber etwas genauer durch, 

könnte man darauf kommen, dass man doch von sich aus etwas aktiv machen und entwickeln kann, auch wenn einem erstmal diese Tätigkeit des Denkens als trocken, kalt und langweilig erscheint: So, wie die damaligen Scholastiker in ihren Anstrengungen, das moderne, intellektuelle, reine Denken zu entwickeln, die sie quälenden atavistischen Wahrnehmungen der Verstorbenen abweisen mussten, und dabei in dieser Tätigkeit, in diesem Bestreben und Bemühen „inneres Feuer“ entwickelten – 

Die waren voll inneren Feuers gegenüber ihren Gedanken. Und dieses innere Feuer kam eben von dem Bestreben, abzuweisen den objektiven Gedankeneinfluss. –

so können wir heute in unserem Bestreben, alle Gedanken, die wir nicht aktiv und aus unserem Ich heraus erzeugen und in unserem Bewusstsein halten und dort wahrnehmen, „inneres Feuer“ entwickeln. Wenn man das mal wirklich versucht, könnte man schon entdecken, wie viel Wärme und Kraft und Anstrengung – wie beim Holzhacken – von einem selber aktiv entwickelt werden kann, ohne dass man passiv darauf hoffen muss, dass es mit dem unglücklichen Seelengefüge von einem selbst in einer fernen und ungewissen Zukunft – 

vielleicht – sehr wahrscheinlich aber eher nicht – und ganz sicher nicht, wenn das Denken so automatisch weiterläuft, wie es heute eben geht – 

einmal besser aussehen wird. 

  

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