Rudolf Steiner zur Entwicklung der Intelligenz

 

Aus Nr. 296 der Rudolf Steiner Gesamtausgabe, S. 9:

Zu keiner Zeit vielleicht war eigentlich weniger Neigung vorhanden, in wahrem und echtem Sinne des Wortes die Seele zu erheben zu den geistigen Welten, und notwendig ist es ganz besonders in dieser Zeit, die Seele zu erheben zu den geistigen Welten. Denn nur aus diesen geistigen Welten kann dasjenige kommen, was der gegenwärtigen Menschheit Kraft geben kann, weiter den Lebenspfad als ganze Menschheit zu gehen. Die Probleme, die Aufgaben, die der Gegenwart gestellt sind, von ihnen glaubt man heute in weitesten Kreisen, dass man sie lösen kann mit den Gedanken, mit den Impulsen, welche herzunehmen sind aus dem äußerlichen menschlichen Wissen. Wie lange es noch dauern kann, bis ein genügend großer Teil der Menschheit sich zu der Überzeugung durchringt, dass nur auf dem geistigen Wege ein wirkliches Heil zu erreichen ist, das ist heute eigentlich außerordentlich schwer zu sagen, schon aus dem Grunde, weil das Nachdenken gerade über diese Frage eigentlich nicht besonders fruchtbar ist. Aber sicher ist das andere, dass nur wird weitergeschritten werden können, wenn diese Überzeugung, dass nur aus den geistigen Welten die Rettung kommt, in einer genügend großen Anzahl von Menschen wirklich durchgedrungen ist. 

Was die Menschen heute in weitesten Kreisen beschäftigt, worüber aber doch ernstlich nachzusinnen den Menschen vor allen Dingen die intellektuelle Kraft fehlt, weil die intellektuelle Kraft in der gegenwärtigen Zeit fast wie gelähmt ist bei einem großen Teil der Menschheit, das sind ja die sozialen Probleme. Und der Glaube herrscht, dass man diese sozialen Probleme mit dem, was man heute Wissen und Erkenntnis nennt, bewältigen könne. Man wird sie nicht bewältigen können, man wird sie niemals bewältigen können, wenn sie nicht in Angriff genommen werden vom Gesichtspunkte geistiger Erkenntnis. …              

Und S. 88:

Während der ägyptisch-chaldäische Mensch in seiner Intelligenz empfand und wahrnahm seine Verwandtschaft mit dem ganzen Kosmos, nahm der griechische Mensch wahr durch seine Intelligenz dasjenige, was Grabstätten beherrscht. Auch wir nehmen durch unsere Intelligenz nur dasjenige wahr, was Grabstätten beherrscht, nur sind wir uns dessen nicht bewusst. Wir gehen deshalb – diejenigen, die das lernen sollen – in die Seziersäle, untersuchen den Leichnam und halten die Gesetzmäßigkeit des Leichnams, die wir durch unsere Intelligenz begreifen, für die Gesetzmäßigkeit des Menschen. Es ist aber nur die Gesetzmäßigkeit des Grabes; und dasjenige, was die Intelligenz begreift, ist die Gesetzmäßigkeit des Grabes. 

Aber wiederum mit dem Übergange durch die Mitte des 15. Jahrhunderts verändert sich neuerdings die Intelligenz, und wir stehen im Anfange dieser Veränderung, dieser Umwandlung der Intelligenz. Unsere Intelligenz geht einen gewissen Weg; heute sind wir noch sehr stark in einer solchen Entwickelung der Intelligenz darinnen, wie sie die Griechen hatten. Wir begreifen durch unsere Intelligenz dasjenige, was dem Tode unterliegt. Aber auch diese Art von Intelligenz, die das Tote begreift, verwandelt sich. Und in den nächsten Jahrhunderten und Jahrtausenden wird diese Intelligenz etwas anderes, etwas weit weit anderes werden. Sie hat heute schon eine gewisse Anlage, unsere Intelligenz. Wir werden als Menschheit einlaufen in eine Entwickelung der Intelligenz so, dass die Intelligenz wird die Neigung haben, nur das Falsche, den Irrtum, die Täuschung zu begreifen und auszudenken nur das Böse. 

Das wussten ja die Geheimschüler und wussten namentlich die Eingeweihten seit einer gewissen Zeit, dass die menschliche Intelligenz entgegengeht ihrer Entwickelung nach dem Bösen hin, dass es immer mehr und mehr unmöglich wird, durch die bloße Intelligenz das Gute zu erkennen. Die Menschheit ist heute in diesem Übergänge. Wir können sagen: Gerade noch gelingt es den Menschen, wenn sie ihre Intelligenz anstrengen und nicht in sich ganz besonders wilde Instinkte tragen, nach dem Lichte des Guten etwas hinzuschauen. Aber diese menschliche Intelligenz wird immer mehr und mehr die Neigung bekommen, das Böse auszudenken und das Böse dem Menschen einzufügen im Moralischen, das Böse in der Erkenntnis, den Irrtum.

Das war mit einer der Gründe, warum die Eingeweihten sich die Männer der Sorge nannten, weil in der Tat, wenn man in dieser Einseitigkeit, wie ich es jetzt auseinandergesetzt habe, die Entwickelung der Menschheit betrachtet, so macht sie Sorge; Sorge gerade wegen der Entwickelung der Intelligenz. Es ist schließlich gar nicht umsonst, dass die Intelligenz dem gegenwärtigen Menschen so viel Stolz und Hochmut einflößen kann. Das ist, möchte ich sagen, der Vorgeschmack für das Böse-Werden der Intelligenz im fünften nachatlantischen Zeitraum, an dessen Anfang wir stehen. Und würde der Mensch nichts anderes ausbilden als seine Intelligenz, dann würde er auf der Erde ein böses Wesen werden. Wir dürfen nicht rechnen, wenn wir mit der Zukunft der Menschheit rechnen und diese Zukunft uns als heilsam denken wollen, wir dürfen nicht rechnen auf die einseitige Ausbildung der Intelligenz. Diese Intelligenz war noch in der ägyptisch-chaldäischen Zeit etwas Gutes, diese Intelligenz ist dann dasjenige geworden, was seine Verwandtschaft eingegangen hat mit den Kräften des Todes. Diese Intelligenz wird eine Verwandtschaft eingehen mit den Kräften des Irrtums, der Täuschung und des Bösen. 

Das ist etwas, worüber sich die Menschheit eigentlich keiner Illusion hingeben sollte. Die Menschheit sollte unbefangen damit rechnen, dass sie sich zu schützen hat gegen die einseitige Entwickelung der Intelligenz. Und nicht umsonst wird gerade durch anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft ein anderes hinzukommen, hinzukommen die Aufnahme desjenigen, was durch ein erneuertes Schauen aus der geistigen Welt heraus gewonnen werden kann, was nicht durch Intelligenz begriffen werden kann, sondern nur begriffen werden kann, wenn man eingeht auf dasjenige, was die Wissenschaft der Einweihung holt aus den geistigen Welten heraus durch Schauung. 

 

 

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