Ein seltenes Tier

 

von Stella Hagel

 

Ludwig stört die Eurythmie, indem er umhergeht und den Kindern etwas ins Ohr flüstert. Ein Kind wehrt sich empört: „Frau Hagel, der Ludwig hat Kacka in mein Ohr gesagt.“ Ich nehme Ludwig an meine Seite und mache weiter. Ludwig schleicht sich nach einer Weile von meiner Seite und fängt wieder mit seinem Gewisper an. Wieder beklagt sich ein Kind über das Kackageflüster in seinem Ohr. „So,“ spreche ich ein Machtwort, „der Ludwig bleibt nach der Eurythmie noch bei mir.“ Ludwig schaut mich weidwund an. „Wieso das denn?“, murmelt er verständnislos. Als alle weg sind frage ich ihn: „Sag mal Ludwig, wieso flüsterst Du denn den Kindern Kacka ins Ohr?“ Ludwig erstaunt und fast ein wenig empört: „Aber ich habe doch nicht Kacka gesagt, ich habe doch Kakadu gesagt, und Kakadu ist doch ein Vogel.“ Aus seinen blauen Augen schaut er mich offen und treuherzig an. Ich bin ich verunsichert. Flunkert er mir etwas vor, oder stimmt es, was er sagt? Ich beschließe, ihm zu glauben und erkläre ihm: „Weißt Du Ludwig, Du hast es nicht so gemeint, aber die Kinder haben Kacka verstanden und das ist halt nicht so schön, gelt?“ „Nein!“ Ludwig beteuert. „Das finde ich auch nicht schön, und das habe ich wirklich gar nicht gemeint. Ich habe wirklich nur Kakadu gemeint.“ Da lasse ich es gut sein und wir gehen in die Gruppe zurück. Versäumt habe ich allerdings, ihm zu sagen, dass ich das ins Ohrflüstern auch nicht so schön finde, ich sage ihm aber, dass wir den Kinder erklären wollen, dass er gar nicht Kacka gesagt hat sondern Kakadu. Und so machen wir es dann auch. Wir kommen in die Gruppe, die Kinder sitzen alle im Kreis und ich erkläre ihnen, dass Ludwig nicht Kacka sondern Kakadu gemeint hat, und dass der Kakadu ein Vogel ist. „Ja“, meint nun Ludwigs besonderer Freund David weise und etwas von oben herab. „Ach, das habe ich doch gewusst, dass der Kakadu gesagt hat. Aber die Eurythmie ist eben nur dazu da, dass man schön Eurythmie macht und nicht den Namen von einem Vogel sagt!“ Da wünsche ich mir heimlich, David möge seine weisen Erkenntnisse so oft wie möglich in die Tat umsetzten.