von Stella Hagel
Mit fünf Jahren hatte ich den Impuls, dem Nikolaus ein Bild zu malen. Meine Ehrfurcht und Liebe zu ihm war ganz besonders angeregt worden, nachdem er in der Kleinkindeurythmie in wundervoller und ganz unbeschreiblicher Würde direkt aus dem Himmel zu uns gekommen schien. Was er erzählte und tat, wie feierlich und hoheitsvoll er aussah, hat sich tief in meine Seele eingegraben. Deshalb gab ich mir Mühe, ein ganz besonders schönes Bild für ihn zu malen. Meine Mutter musste mir helfen, hinten auf das Bild „Lieber Nikolaus, von Stella“ draufzuschreiben. Dann suchten wir auf unserer Loggia einen Platz aus, wo das Bild so lag, dass er es bei seinem Vorüberschweben gut sehen konnte.
Voller Spannung ging ich an diesem Abend zu Bett. Wird der Nikolaus mein Bild und meine Liebe für würdig halten? Wird er mein Bild wirklich mitnehmen? Und wird er es auch schön finden? Diese bangen Fragen bewegten mein Herz, und am nächsten Morgen war ich natürlich sehr früh wach. Das erste, was ich tat, war hinauszuhuschen um zu schauen, ob das Bild fort war. Und tatsächlich! Der Nikolaus hatte mein Bild mitgenommen! Es lag nicht mehr dort, wo ich es hingelegt hatte, und, o Wunder, er hatte für mich an dieser Stelle etwas dagelassen. Irgendetwas aus Schokolade. Meine Freude und mein Stolz waren übergroß. Ich hatte dem Nikolaus eine Freude machen wollen, und nun hatte er nicht nur das Geschenk angenommen, er hatte sogar ein Geschenk für mich dagelassen.
Den halben Tag war ich von diesem Erlebnis ganz erfüllt. Später am Nachmittag jedoch kam mir die Idee, dass, wenn dem Nikolaus meine Bilder so gut gefielen, ich ihm ja öfter oder sogar jeden Tag eines malen könnte. Schokolade mochte ich sehr, und da ich davon nicht besonders viel bekam (wahrscheinlich aus gesundheitlichen Gründen), könnte ich mich mit dem Nikolaus gutstellen und hätte dann immer meine eigene, selbstverdiente Schokolade, von der meine Mutter ja nichts zu wissen brauchte.
Gedacht, getan. Das nächste Bild war schnell gemalt, und heimlich deponierte ich es wieder auf dem selben Platz wie das vorherige. Aber dieses Mal lag das Bild am nächsten Morgen noch immer an der Stelle, wo ich es am Abend hingelegt hatte. Ein paar Nächte wartete ich geduldig, da ich mir denken konnte, dass der Nikolaus nicht jede Nacht vorüberschweben konnte. Nach mehreren Nächten allerdings erlosch meine Hoffnung und ich war ratlos. Die Ungewissheit plagte mich, und so erzählte ich meiner Mutter davon. Diese sagte nicht viel zu dieser Angelegenheit. Nur ungefähr so: „Weißt Du Stella, vielleicht kann man so etwas nur einmal machen und vielleicht ist es auch so, dass auch der Nikolaus so etwas nur einmal tut.“ Ach! Mir war sofort klar, dass es sich so verhalten musste, und plötzlich schämte ich mich sehr für meine Habgier.