Wir werden an diesen zwei intimeren Abenden zu sprechen haben über eine Frage, über eine Angelegenheit der Menschheit, welche in einer zweifachen Beziehung ganz außerordentlich tief in unsere Seelen eingreift, einmal darum, weil die Christus-Frage ja eine solche ist, welche nun schon zwei Jahrtausende hindurch nicht etwa bloß zahlreiche Seelen der Erde beschäftigt hat, sondern aus welcher für zahlreiche Erdenseelen geflossen ist geistiges Lebensblut, seelische Kraft, Trost und Hoffnung im Leiden, Stärke und Sicherheit im Handeln. Und nicht allein das, sondern wenn wir in Betracht ziehen alles dasjenige, was wir an äußerer, exoterischer Kultur um uns herum haben, was geschaffen haben viele Jahrhunderte, dann sehen wir bei tieferer Erkenntnis, daß alles das unmöglich gewesen wäre, wenn der Christus-Impuls nicht einen großen Teil der Menschheit ergriffen hätte. Dies ist die eine Überlegung, die uns zeigt, welch starkes Interesse die Christus-Frage bieten muß, wenn wir nun mit den Erkenntnissen der Anthroposophie uns der Christus-Frage nahen. Dies ist nur die eine Seite des Interesses, welches wir diesem Problem entgegenbringen; die andere Seite des Interesses, sie kommt aus den besonderen seelischen und geistigen Verhältnissen gerade unserer Zeit, unserer Epoche. Wir brauchen nur herumzuschauen in der Welt und verstehen wollen die Sehnsuchten, das Suchen der menschlichen Seele, und wir werden uns sagen können: Immer mehr suchen die menschlichen Seelen nach etwas, was mit dem Namen des Christus verbunden worden ist in den Seelen durch die Jahrhunderte hindurch, und immer mehr kommen die Seelen zu der Überzeugung, daß Erneuerung der Wege, Erneuerung des Interesses, Vertiefung der Erkenntnisse nötig sei, wenn die Bedürfnisse der menschlichen Seelen, so wie sie stets mehr kommen werden in bezug auf den Christus, befriedigt werden sollen. Finden wir auf der einen Seite ein Lechzen nach Aufschlüssen über den Christus, so finden wir auf der anderen Seite bei zahlreichen Seelen der Gegenwart Bedenklichkeit und Unsicherheit in bezug auf die bisherigen Mittel. Und so ist denn gerade diese Frage, wegen der Sehnsucht eine Antwort haben zu müssen und wegen der Unsicherheit die Wahrheit zu erfahren, eine der brennendsten in der Gegenwart.
Selbstverständlich ist es daher, daß eine geistige Bewegung, die tiefer in die spirituellen Grundlagen hineindringt, die Aufgabe hat, über diese Frage Klarheit zu schaffen. Stehen heute die Dinge so, in verhältnismäßig kurzer Zeit, wahrhaftig in recht kurzer Zeit werden sie noch ganz anders stehen! Wenn wir ein wenig unegoistisch auf dasjenige sehen, was in bezug auf den Christus die Menschen bedürfen werden, die Nachkommen sind unserer Zeit, dann werden wir uns sagen müssen: Wenn auch viele Menschen der Gegenwart aus dem, was da ist, Befriedigung schöpfen, so werden doch immer mehr die Seelen sich unsicher fühlen, und immer mehr werden sie lechzen nach Aufschlüssen. So sprechen wir, wenn wir von dem Christus heute sprechen, von dem, wovon wir voraussehen, daß es notwendig für die Menschen einer ganz nahen Zukunft sein wird. Anthroposophie würde ihre Aufgabe nicht erfüllen, wenn sie sich nicht in die Lage versetzen würde, mit ihren Erkenntnissen Klarheit zu schaffen über diese Punkte, insoweit das heute möglich ist.
Mein Ausgangspunkt soll sein, hinzuweisen auf die drei Wege, auf denen nach dem Gange der Menschheitsentwickelung die Seele zum Christus gelangen kann. Wenn man von den drei Wegen spricht, muß man auch kurz hinweisen auf den ersten Weg, der heute kein Weg mehr ist, es aber war; der heute kein esoterischer Weg sein muß, so wie gerade in unserer Zeit der anthroposophische Weg es ist, der aber ein Weg war für Millionen von Seelen durch die Jahrhunderte hindurch. Dieser erste Weg ist der durch die sogenannten christlichen Urkunden, durch die Evangelien. Dieser Weg war für Millionen und aber Millionen von Menschen und ist noch heute für unzählige Menschen der einzig mögliche. Der zweite Weg, auf dem die Menschenseele den Christus suchen kann, ist der, den man nennen kann den Weg durch innere Erfahrung, den vorzugsweise zahlreiche Seelen in der Gegenwart und in der nächsten Zukunft aus ihrer besonderen Beschaffenheit und ihren besonderen Eigenschaften heraus gehen müssen. Der dritte Weg ist der, welcher wenigstens begonnen werden kann verstanden zu werden in unserer Zeit von der anthroposophischen Bewegung aus, der Weg durch die Initiation. – So gibt es also drei Wege zum Christus: erstens den Weg durch die Evangelien, zweitens den Weg durch die innere Erfahrung und drittens den Weg durch die Initiation.