von Stella Hagel
Mit Kieran will ich zum Einkaufen. Da er schon tüchtig laufen kann und große Freude daran hat, will er ohne Kinderwagen los. Ich freue mich über seinen guten Willen und erlaube es. Im Obstladen kaufe ich unter anderem Bananen ein. Wir ziehen weiter. Kieran verlangt eine Banane und bekommt sie auch. Kaum hat er sie aufgegessen – wir sind bereits im nächsten Laden – verlangt er die nächste Banane. Mein Hinweis, eine Banane sei genug, wird nicht akzeptiert. Kieran quengelt und wird peinlich unangenehm. So ergreife ich mit ihm die Flucht aus dem Laden, bleibe aber konsequent: Keine zweite Banane! Nun verlangt er gebieterisch sein Fläschchen mit Saft, die er „bottle“ nennt. „Bottle!“, befielt er scharf und schaut mich missbilligend und prüfend an. Bottle habe ich nicht dabei. Da verlangt er Rosinen. Auch Rosinen habe ich nicht, doch er hat einen wütend geschwollenen roten Kopf und ist sehr böse mit mir. Er verlangt nun, zu „Deas“ zu gehen. Das heißt, er will zu den Kindern gehen, für die „Deas“ der Sammelname ist, weil Andreas für ihn das herausragendste Kind unter seinen Freunden ist. „Nein Kieran, wir können jetzt nicht zu Deas, wir müssen einkaufen.“ Jetzt rastet er aus. Vorwurfsvoll und laut heulend zählt er mir alles auf, was er will und nicht bekommt, und dann fängt ein richtiger Kampf an. Auf der belebten Straße brausen die Autos laut vorbei, so dass ich meine Stimme, mit der ich Kieran sonst immer beeindrucke, nicht gebrauchen kann. Kieran hat sich in den verregneten Edinburgher Dreck geschmissen und brüllt. Die Leute schauen uns entsetzt an. Ich gehe ein Stück weiter und rufe „Bye bye, Kieran.“ Er steht auf, kratzt sich verzweifelt und dramatisch mit Dreckhänden übers Gesicht, kommt laut brüllend und tränenüberströmt zu mir, fällt vor meinen Füßen abermals bäuchlings in den Dreck. So geht das Drama ein paar Mal hin und her, dann kapituliere ich, denn das Kind sieht inzwischen todkrank und völlig außer sich aus. Mir krampft sich das Herz bei seinem erbarmungsvollem Anblick zusammen, und ich habe ein sehr schlechtes Gewissen. Schnell gehen wir daher in den Supermarkt und kaufen Rosinen. Kieran setze ich vorne auf den Einkaufswagen. Dort isst er alsbald fröhlich lächelnd, mich freundlich anstrahlend seine Rosinen, einen Teil davon um sich her verstreuend, mir liebevoll ein einziges Rosinchen anbietend, und nichts an ihm, außer ein bisschen Dreck im Gesicht, würde darauf schließen lassen, dass die Welt kurz zuvor fast untergegangen und das Kind halb gestorben wäre. Sein Wille geschah und er ist wieder vollkommen heil. Mir allerdings ist übel zumute und ich kann mich vor Schwäche kaum auf den Beinen halten. Als wir nach Hause kommen, fällt der Mutter an ihrem Kind gar nichts auf, aber als sie mich ansieht, fragt sie sofort. „Ja, was ist denn mit Dir los? Wie siehst Du denn aus?“ Da erzähle ich, was wir beide erlebt haben. Sie schaut etwas mitleidig und spöttisch ob meines erzieherischen Wirkens. „Wie kannst Du dich mit diesem Kind ohne Wagen, ohne „bottle“, ohne Rosinen überhaupt nur einen einzigen Schritt vom Haus entfernen? Klar bringst Du dich da nur selber um.“