von Ingo Hagel
Wie zu lesen war, ist ein Drittel aller Studenten in Deutschland leider arm. Die anderen zwei Drittel erforschen, woran das liegt – am Kapitalismus, an Ausgrenzung und an Benachteiligung. Ich kenne das, mir ging es wie Vielen: Ich war während des Studiums so arm, ich musste zum Essen in die Mensa. … Viele gehen zum Studium, weil sie falsch beraten wurden: Sie haben gehört, die Bildung würde bei uns vererbt, und sie erwarten, dass die Scheine der Eltern anerkannt würden.
Das ist ein wahres Wort, das der Senior-Influencer da aussprach. Die Menschen glauben nämlich wirklich, dass „die Bildung“ vererbt würde in dem Sinne, dass sie, also das Denken, mit dem die „Eltern“ –
und natürlich die Großeltern, Urgroßeltern, Ururgroßeltern und so weiter –
früher „gebildet“ wurden und dann vielleicht so einigermaßen durch die Welt gehumpelt sind –
ich erwähne nur mal nebenbei, dass wir in dieser Zeit zwei Weltkriege gehabt haben, und dass wir nun in einem weiteren Krieg aufeinanderprallender Welten stehen –
dass sie mit dieser Bildung und mit diesem Denken auch heute noch durch ihr Leben und ihren Beruf humpeln können – dass sie sich also weiterhin so durch ihr Leben und die Welt träumen können.
Rudolf Steiner macht oft darauf aufmerksam, dass die bloße Wahrnehmung im Leben
ohne den dazugehörigen Gedanken –
der natürlich Durchlichtungen und Verlebendigungen sehr unterschiedlicher Qualität und Stärke annehmen kann –
keine Wirklichkeit darstellt – also ein Traum ist. Der naive Realismus des Menschen, der glaubt, die Dinge seien in dem Sinne real und eine Wirklichkeit, wie er sie durch seine Sinne wahrnimmt, ist eben ein Traum. Der diesen naiven Realismus hinterfragende kritische Idealismus verfiel allerdings in den Fehler, zwar aus diesem naiven Realismus des Wahrnehmens ein paar intellektuelle Gedanken der Aufhellung zu suchen, die Lösung dieses Problems aber an einen naiven Realismus der eigenen Leibesorganisation zu gründen. Rudolf Steiner beschreibt das alles in den Kapiteln 3-5 seiner „Philosophie der Freiheit“ (GA 4)
Siehe dort zum Beispiel S. 78:
Der sogenannte kritische Idealismus kann nicht bewiesen werden, ohne eine Anleihe beim naiven Realismus zu machen. Der letztere wird nur dadurch widerlegt, daß man dessen eigene Voraussetzungen auf einem anderen Gebiete ungeprüft gelten läßt.
Soviel ist hieraus gewiß: durch Untersuchungen innerhalb des Wahrnehmungsgebietes kann der kritische Idealismus nicht bewiesen, somit die Wahrnehmung ihres objektiven Charakters nicht entkleidet werden.
Noch weniger aber darf der Satz: «Die wahrgenommene Welt ist meine Vorstellung» als durch sich selbst einleuchtend und keines Beweises bedürftig hingestellt werden.
Die kritischsten der kritischen Idealisten fassten aus diesen auf die Spitze getriebenen Überlegungen
von wegen einer Welt nur als Vorstellung diese Welt nur als einen völlig illusionistischen Traum auf. Zu diesen gehörte auch der deutsche Philosoph Johann Gottlieb Fichte, auf den Rudolf Steiner zum Beispiel hier (GA 220 S. 101) hinwies:
Man muß erst wirklich gründlich verstehen, wie diese moderne Zivilisation eben eine Schlafzivilisation geworden ist und wie ein Erwachen notwendig ist für die Menschheit. Dann aber müssen gerade die Tendenzen des Schlafens in der Gegenwart von denjenigen, welche nun einmal einen Drang haben nach einer geistigen Wissenschaft, klar durchschaut werden. Jene Momente müssen eintreten, die oftmals beim Träumer eintreten, wenn er sich als Träumer weiß, wenn er weiß: ich träume. Und so sollte die Menschheit heute eine besondere Empfindung haben für ein so starkes Wort – ich habe öfter auf dieses Wort hingewiesen -, wie es einstmals der so energische Philosoph Johann Gottlieb Fichte ausgesprochen hat: Die Welt, die vor dem Menschen ausgebreitet ist, ist ein Traum, und dasjenige, was der Mensch über sie denkt, ist ein Traum vom Traume.
In Rudolf Steiners „Philosophie der Freiheit“ (GA 4 S. 82) liest sich das so:
Einem kritischen Idealisten dieser Art erscheint die ganze Welt als ein Traum, dem gegenüber jeder Erkenntnisdrang einfach sinnlos wäre. Für ihn kann es nur zwei Gattungen von Menschen geben: Befangene, die ihre eigenen Traumgespinste für wirkliche Dinge halten, und Weise, die die Nichtigkeit dieser Traumwelt durchschauen, und die nach und nach alle Lust verlieren müssen, sich weiter darum zu bekümmern. Für diesen Standpunkt kann auch die eigene Persönlichkeit zum bloßen Traumbilde werden. Gerade so wie unter den Bildern des Schlaftraums unser eigenes Traumbild erscheint, so tritt im wachen Bewusstsein die Vorstellung des eigenen Ich zu der Vorstellung der Außenwelt hinzu. Wir haben im Bewusstsein dann nicht unser wirkliches Ich, sondern nur unsere Ichvorstellung gegeben. Wer nun leugnet, daß es Dinge gibt, oder wenigstens, daß wir von ihnen etwas wissen können: der muß auch das Dasein beziehungsweise die Erkenntnis der eigenen Persönlichkeit leugnen. Der kritische Idealist kommt dann zu der Behauptung: «Alle Realität verwandelt sich in einen wunderbaren Traum, ohne ein Leben, von welchem geträumt wird, und ohne einen Geist, dem da träumt; in einen Traum, der in einem Traume von sich selbst zusammenhängt» (vergleiche Fichte, Die Bestimmung des Menschen).
Wer nun in vollem Brustton der Überzeugung behauptet,
diese Sache mit dem Erkenntnistraum der Welt sei doch ein völliger Blödsinn –
man brauche doch nur die Augen aufzumachen – und da ist sie doch, die wirkliche Welt –
zeigt damit nur, dass er eben noch auf dem Standpunkt des naiven Realismus steht, der die Welt so, wie sie durch die Sinne in den Menschen als Wahrnehmung hineinfällt, für real hält.
Die kritischen Idealisten hatten mit ihrer Behauptung, die Welt, so wie sie von dem gewöhnlichen Bewusstsein aufgefasst wird, sei nichts anderes als ein Traum, zwar durchaus recht. Allerdings ruhte die Beweisführung ihrer Aussage auf einem nicht tragfähigen Fundament. Die kritischen Idealisten konnten daher auch nicht dazu kommen, diesen illusionistischen Traum einer naiven Auffassung der Welt nur als Wahrnehmung –
sowie des Irrtums, die Welt nur als Vorstellung auffassen zu können, hinter der dann irgendwo und irgendwie irgendwelche „Dinge an sich“ sich befinden sollten, also die wirkliche Welt liegen sollte – die allerdings Niemand aus diesen trügerischen Erkenntnispostulaten finden konnte –
in eine Wirklichkeit verwandeln. Das tat allerdings dann Rudolf Steiner.
Rudolf Steiner zeigt in seiner „Philosophie der Freiheit“ die Auswege aus diesem Erkenntnistraum,
Erkenntnisschlaf und Erkenntnisdesaster, indem er den Unterschied zwischen der Wahrnehmung –
die zwar real, aber mit Blick auf eine Auffassung der Welt unvollständig und daher unwirklich ist –
und dem darstellt, was allein Vorstellung genannt werden darf: nämlich die Erinnerungsvorstellung.
Der traumhafte Charakter der bloßen Wahrnehmung der äußeren Welt wird dadurch zu einer Wirklichkeit gemacht, indem der Mensch durch ein energisches, aktives Denken den Begriff zu dieser Wahrnehmung in seinem Innern hinzufügt. –
Diese Hinzufügung des Begriffes ist allerdings tiefer aufzufassen als beispielsweise nur in der oberflächlichen Weise, in der man weiß, dass man beim Autofahren zuerst den ersten und nicht den vierten Gang einlegen sollte. – Viel ist dazu hier auf Umkreis-Online in der Rubrik „Philosophie der Freiheit“ bereits geschrieben – und noch sehr viel mehr könnte und müsste man dazu noch schreiben. –
Die Lösung Rudolf Steiners zu diesem ganzen Themenkomplex eines Lebens als Traum
wurde allerdings bis heute von den Menschen nicht aufgenommen und verwirklicht. Daher befinden wir uns nun nicht nur weiterhin in einem Traum, sondern dieser Traum entwickelt sich immer weiter hin zu einem Alptraum.
So wie früher der Arbeiter in der Fabrik träumend Teile von links nach rechts geschoben hat, so schieben heute bis in die höchsten Kreise hinauf auch Funktionäre, Diplomaten, Staatsmänner, Manager, Wissenschaftler, Wirtschaftler und so weiter ihre Traumbausteine dieser Welt von links nach rechts und glauben, dass das schon so in Ordnung ginge:
Das haben wir immer so gemacht. –
Früher hatte man innerhalb der Wissenschaft, der Philosophie
und innerhalb der Schicht der gebildeten Menschen, die nach einer Weltauffassung suchten, wenigstens noch Interesse gehabt an Gedanken über die Art und Weise, wie die Welt und die Wirklichkeit zu erfassen sei. –
Leider allerdings immer die falschen, indem man die richtigen Gedanken Rudolf Steiners – zum Beispiel seiner „Philosophie der Freiheit“ – seit über 130 Jahren nicht aufnehmen wollte. –
Heute hat man mit Blick auf diese Suche nach dem Geist, um die es sich letztlich handelt, vollständig kapituliert und dafür die Suche nach dem Bruttosozialprodukt hingestellt. Wirtschaft ist das einzig Reale, produzieren, Werte schaffen – was zum Anfassen. Nun, wir befinden uns in derjenigen Phase der Weltentwicklung, in der diese gemütlich-verträumten Postulate –
auch von wegen: Unsere westlichen Werte! –
von der harten Wirklichkeit vielleicht noch nicht ihrer geistigen Korrektur, aber jedenfalls erstmal dem dumpfen Empfinden entgegengeführt werden, dass irgendwas schief läuft. Dann sehen wir weiter – auch hier in dieser niedergehenden Republik.
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