von Ingo Hagel
Nachdem Rudolf Steiner in seiner „Philosophie der Freiheit“ –
siehe dazu auch hier auf Umkreis-Online –
im dritten Kapitel „Das Denken im Dienste der Weltauffassung„, dann im vierten Kapitel „Die Welt als Wahrnehmung“ und schließlich im fünften Kapitel „Das Erkennen der Welt“ behandelt hatte, geht er in diesem fünften Kapitel noch einmal auf die Frage ein, warum
das Denken bei der Betrachtung der Dinge zumeist übersehen wird …
das heißt auf den der heutigen sogenannten modernen Weltauffassung zugrunde liegenden „verwüstenden Fundamental-Irrtum Kants“ (GA 35 S. 85), dass „da draußen“ die wirkliche Welt sei, und deren Erkennen bestünde darin, von dieser irgendwie Nachricht und ein inneres Bild zu erhalten. Und die Begriffe und das Denken, durch die der Mensch mit diesen inneren Bildern, die die Wirklichkeit abbilden sollen, hantiert, sollen selber nichts Wirkliches sein, sondern nur etwas völlig Subjektives, das mit den Dingen nichts zu tun habe, und die der Mensch nur benutzt, um diese Sinneswahrnehmungen rein informativ im Leben und im Beruf hin- und her zu schieben: also nur Info, die auch mit der wirklichen Welt nichts zu tun habe – beziehungsweise nur als schattenhaftes begriffliches Abbild.
Dabei wird übersehen, dass die Begriffe und das Denken,
das der Mensch in der Auseinandersetzung mit der Welt ausführt, der andere Teil ist, der zu der Wahrnehmungswelt dazugehört, ohne den diese eben nicht – wie geglaubt wird – eine Wirklichkeit darstellt.
Das alles wird in den oben erwähnten Kapiteln ja bereits in der einen oder anderen Form ausführlich behandelt. Hier in diesem fünften Kapitel kommt Rudolf Steiner dann allerdings auf eine solche Charakterisierung des Denkens zu sprechen, die dieses in einen sehr viel größeren Zusammenhang stellt – was einem allerdings beim Lesen der „Philosophie der Freiheit“ wohl nicht gleich auffällt.
Das naive Bewußtsein behandelt daher das Denken wie etwas, das mit den Dingen nichts zu tun hat, sondern ganz abseits von denselben steht und seine Betrachtungen über die Welt anstellt. Das Bild, das der Denker von den Erscheinungen der Welt entwirft, gilt nicht als etwas, was zu den Dingen gehört, sondern als ein nur im Kopfe des Menschen existierendes; die Welt ist auch fertig ohne dieses Bild. Die Welt ist fix und fertig in allen ihren Substanzen und Kräften; und von dieser fertigen Welt entwirft der Mensch ein Bild. Die so denken, muß man nur fragen: mit welchem Rechte erklärt ihr die Welt für fertig, ohne das Denken? Bringt nicht mit der gleichen Notwendigkeit die Welt das Denken im Kopfe des Menschen hervor, wie die Blüte an der Pflanze? Pflanzet ein Samenkorn in den Boden. Es treibt Wurzel und Stengel. Es entfaltet sich zu Blättern und Blüten. Stellet die Pflanze euch selbst gegenüber. Sie verbindet sich in eurer Seele mit einem bestimmten Begriffe. Warum gehört dieser Begriff weniger zur ganzen Pflanze als Blatt und Blüte? Ihr saget: die Blätter und Blüten sind ohne ein wahrnehmendes Subjekt da; der Begriff erscheint erst, wenn sich der Mensch der Pflanze gegenüberstellt. Ganz wohl. Aber auch Blüten und Blätter entstehen an der Pflanze nur, wenn Erde da ist, in die der Keim gelegt werden kann, wenn Licht und Luft da sind, in denen sich Blätter und Blüten entfalten können. Gerade so entsteht der Begriff der Pflanze, wenn ein denkendes Bewusstsein an die Pflanze herantritt.
Anmerkung: Dieses Beispiel von einem Denken und einer Erkenntnis,
die sich wie eine lebendige Pflanze aus einem Samenkorn entwickeln können, wird von Rudolf Steiner immer mal wieder angeführt, so zum Beispiel auch hier in seinem Buch „Die Rätsel der Philosophie“ (GA 18 S. 623):
Die Philosophie führt durch ihre eigenen Wege zu der Erkenntnis, daß sie von der Betrachtung zu einem Erleben schreiten müsse der Welt, die sie sucht. In der Betrachtung der Welt erlebt die Seele etwas, bei dem sie nicht stehenbleiben kann, wenn sie sich nicht unaufhörlich Rätsel sein will. Es ist mit dieser Betrachtung in der Tat so wie mit dem Samenkorn, das sich in der Pflanze entwickelt.
Dieser Abschnitt findet sich in diesen „Rätseln der Philosophie“ im Kapitel „Skizzenhaft dargestellter Ausblick auf eine Anthroposophie“. Und weil das alles so ist, wie es ist, darf man getrost annehmen, dass auch oben angeführtes Samenkorn-Beispiel aus der „Philosophie der Freiheit“ ein solches Element eines Ausblickes auf eine Anthroposophie darstellt.
Aber an welches Denken mag der Leser der „Philosophie der Freiheit“ wohl denken,
wenn er dort liest:
Bringt nicht mit der gleichen Notwendigkeit die Welt das Denken im Kopfe des Menschen hervor, wie die Blüte an der Pflanze?
Das Denken, von dem Rudolf Steiner hier spricht, ist eben nicht das mechanistische Denken, wie man es sich so auf den ersten Blick beim ersten Durchnehmen der „Philosophie der Freiheit“ –
und als wohlgeschliffener Soldat der „Kasernen der Wissenschaft“ –
vielleicht vorstellen mag.
Man könnte auf den ersten Blick und beim ersten Durchnehmen der „Philosophie der Freiheit“
versucht sein und das Gefühl haben, dass bei dem, was Rudolf Steiner dort in dieser zum Erkennen sagt, immer nur das Erkennen der Sinneswelt gemeint ist –
welches Gefühl ja, wie oben angeführt, teilweise richtig ist – aber eben nur teilweise –
beziehungsweise die Auseinandersetzung des menschlichen Organismus mit den Objekten der Sinneswelt im Wahrnehmungsakt, was immer man sich auch dabei denken mag –
was allerdings, wenn man es richtig denkt, in eine übersinnliche Sinnesphysiologie hineinführt – was ich hier allerdings nicht ausführe. Das in diesem Artikel Gesagte ist auch ohne diese zu verstehen. –
Hat man mit einer ordentlichen Universitätsausbildung das durchlaufen,
was Rudolf Steiner die „Kasernen der Wissenschaft“ nennt –
beziehungsweise das, was die Vor-Kasernen dieser Hauptkasernen sind, nämlich unsere sogenannten modernen Schulen –
dann kann man sich unter dem, was Rudolf Steiner in der „Philosophie der Freiheit“ „die Welt“ nennt, die die „Blüte an der Pflanze“ hervorbringt natürlich nur den genetisch-mechanistischen Unsinn vorstellen –
der als solch begrenzter Unsinn natürlich zutrifft – der aber in dieser Begrenzung eine Beschränktheit der Weltauffassung darstellt –
der in die armen Menschen, diese verderbend, in jungen Jahren eingetrichtert wird. –
Was daraus wird, kann man heute erfahren, wenn man zum Beispiel die Zeitung aufschlägt oder das Fernsehen anmacht. –
Aber dieser oben angeführte Hinweis Rudolf Steiners auf „die Welt“ –
Bringt nicht mit der gleichen Notwendigkeit die Welt das Denken im Kopfe des Menschen hervor, wie die Blüte an der Pflanze? –
ist eines dieser Beispiele, die, wenn man genau hinsieht und genauer darüber nachdenkt, einem sagen können, dass Rudolf Steiner in den Passagen, Formulierungen und Wendungen dieser Art sehr wohl –
und bereits in seiner „Philosophie der Freiheit“ – das ist nicht unwichtig –
die gesamte übersinnliche Welt im Auge hatte. –
Mit allen Konsequenzen für das menschliche Erkennen, denn das wirkliche Erkennen läuft auf das übersinnliche Erkennen der Welt hinaus – ansonsten verkennt es sich selber und ist letztlich kein wirkliches Erkennen. –
Denn was ist damit gemeint, wenn Rudolf Steiner sagt: „Die Welt“ bringt die Pflanze hervor?
Welche Welt? Der Materialist, der gewohnt ist, alles mechanistisch aufzufassen, und auch das Entstehen der Pflanzen und der belebten Organismen, denkt sich nicht sehr viel dabei – beziehungsweise nur Mechanistisch-Chemisch-Physikalisches. Aber die Pflanze –
so wie alle anderen belebten, beseelten und geistfähigen Organismen ebenfalls –
werden nicht aus irgendwelchen Mechanismen hervorgebracht. Sie entstehen aus den geistigen Kräften und Wirkungen des Kosmos, und sie beinhalten als lebendige Wirklichkeit diese geistigen Kräfte und Wirkungen des Kosmos. –
Wäre die Welt wirklich so tot wie der Mensch sie sich vorstellt, dann könnte diese niemals die lebendigen, beseelten und geistfähigen Organismen dieser Welt hervorbringen. –
Genauso ist aber auch die Auseinandersetzung des Menschen mit den Objekten dieser Sinneswelt
nicht als etwas zu verstehen, das sich mit einem Toten auseinandersetzt. Alle Dinge dieser Welt –
wenn sie nicht von Menschen geschaffene Mechanismen und Maschinen sind –
sind aus dem lebendigen Kosmos entstanden. Indem der Mensch erkennend an diese Dinge der Welt herangeht, setzt er sich mit diesem lebendigen Kosmos auseinander. Dass er sich mit einem solchen auseinandersetzt, merkt er natürlich nicht, weil er diesen im Erkenntnisprozess tötet. Dann sagt der Mensch natürlich:
Die Welt ist tot, ein Mechanismus, eine große Maschine. Im Menschen sind nur tote Bilder, Vorstellungen. Auch der Mensch ist eine Maschine.
Und so weiter. Und so leben die Menschen eben heute in einer nicht erkannten, totgeglaubten Welt: In einem Traum, der so langsam immer mehr zu einem Alptraum wird.
Die „Philosophie der Freiheit“ Rudolf Steiners ist ein Mittel, um aus diesem Alptraum aufzuwachen.
Durch diese kann man lernen, zuerst die gegenständliche Welt ordentlich zu erkennen –
besonders im ersten Teil der „Philosophie der Freiheit“ wird, wie Rudolf Steiner (in GA 78 S. 129) selber sagte, das „gegenständliche Erkennen“ herausarbeitet:
Prinzipiell also liegt schon zwischen dem, was die erste Hälfte meiner «Philosophie der Freiheit» ist, wo ich herausarbeite die Wirklichkeit des gegenständlichen Erkennens, und zwischen dem zweiten Teil der «Philosophie der Freiheit», wo ich in dem Kapitel «Die moralische Phantasie» die moralische Intuition herausarbeite, zwischen dem liegt darinnen dasjenige, was Imagination und Inspiration ist. –
Dann ist auch die Grundlage geschaffen, um das von „der Welt„, das mit einem nur gegenständlichen Erkennen nicht abgeschlossen ist, in gesunder und fruchtbarer Weise angehen zu können – aber nur wenn man will.
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